RTO – The Really Terrible Orchestra

Ein Besuch bei einer der Hauptattraktionen des Edinburgh Festivals 

Exzerpt eines Beitrags
von Johannes von Weizsäcker
in der SZ, 2009-07-11/12 

Ein Projekt, das gut bürgerliches Extremlaientum mit dem Vortrag von Klassik-Musik verbindet: Das Really Terrible Orchestra (RTO) aus Edinburgh, ein tatsächlich bemerkenswert schlechtes Laienorchester, das seit 1996 eine stetig wachsende Fangemeinde durch seine Unbekümmertheit in Sachen Tonhöheneinhaltung und rhythmisches Zusammenspiel beeindruckt. 

Geprobt wird in der Aula der St. George's School for Girls, der angesehensten Privatschule im an angesehenen Privatschulen nicht armen Edinburgh. Viele der Orchestermitglieder schicken ihre Kinder hierher. Wie der organisatorische Leiter des Ensembles, Peter Stevenson, gehören die Mitglieder des RTO in der Mehrheit der gehobenen Mittelklasse an. Also treffen sich vor allem Finanzmanager, Schuldirektoren und Ärzte regelmäßig zu RTO-Proben in der Aula, die eher wie ein kleiner, aber professioneller Konzertsaal wirkt. Das reiche Angebot an musikalischen Aktivitäten für die Schüler bildete den Anstoß zur Gründung des RTO. "Wir waren neidisch auf unsere Kinder. Wir sahen, wie viel Spaß sie hier am Musizieren hatten und dachten: Davon wollen wir auch etwas abhaben", erklärt Peter Stevenson, "Wir sind begeisterte Hobbymusiker, aber allesamt zu schlecht, um selbst von anderen Laienorchestern aufgenommen zu werden. Also machten wir genau diesen Umstand zum Programm." 

Dirigent Richard Neville-Towle, der einzige Halb-Profi des Ensembles, dessen Mitgliederzahl bis heute auf mehr als 60 angewachsen ist, fasst seine Rolle beim RTO so zusammen: "Gelegentlich wird so getan, als versuchte ich, das Orchester zu verbessern." Und eine Probe des RTO erweckt denn auch gewiss nicht den Eindruck, als wolle hier jemand irgendetwas verbessern. Alles andere wäre auch verwunderlich bei einem Ensemble fröhlicher Upper-Middle-Class-Musiker, das sich sein Radikallaientum ins Wappen geschrieben hat. 

Nach ihren Ambitionen gefragt, teilen sich die einzelnen Mitglieder des Orchesters in solche, die das Really Terrible Orchestra tatsächlich nur als großen Jux ansehen und solche, die es immerhin als Plattform zur Verbesserung des eigenen Spiels begreifen: "Heutzutage spiele ich bei Konzerten etwa 65 Prozent aller Noten richtig" erklärt ein Klarinettist und sein Gesicht überzieht ein Anflug von Stolz und Genugtuung. "Vor zehn Jahren waren es vielleicht 40 Prozent." 

Ob ambitioniert oder nicht, die Orchestermitglieder machen sich nun mit sichtlichem Vergnügen daran, Versionen leichter Broadway-Klassiker dahinzumetzeln. Ein Stück aus dem Musical "Oklahoma" gleicht im Probelauf eher einer zutiefst psychedelischen Version des "Sacre du Printemps", Igor Strawinskys Meilenstein der Moderne, dessen Atonalität und rhythmische Unübersichtlichkeit bei seiner Uraufführung in Paris seinerzeit das Publikum derart empörte, dass es zu Schlägereien im Auditorium kam - inklusive gezückter Handfeuerwaffen. 

Nichts davon hier. Aber wie verkraftet das Publikum diese begeistert schlampigen Instrumentalisten des Edinburgher Mittelstands? "Wir produzieren einen enormen feel-good-factor", sagt Felizitas Macfie, geborene Münchnerin, Mutter von sechs Kindern und RTO-Geigerin. "Als ich noch als Teil des Publikums zu RTO- Konzerten ging, dachte ich hinterher immer, ach, das war doch wirklich wunderbar. Es war so schräg, dass es schon wieder schön war." 

Mancher Zweifler mag Bedenken haben, ob sich die in unfreiwillige Atonalität abdriftenden Versionen bekannter Musical-Nummern und pompöser Byron-Gedichtvertonungen tatsächlich so gut zur Erzeugung eines feel-good-factor eignen. Wer sich allerdings Live-Aufnahmen des RTO anhört, wird darauf ein höchst amüsiertes Publikum bemerken und selbst bald den Reiz der schiefen Akkorde, des rhythmischen Zerfalls spüren. 

Ein Mitglied des RTO fehlt an diesem Abend: Hobbyfaggotist, Juraprofessor und Romanautor Alexander McCall Smith(1), (auf deutsch:2). Seiner Feder entsprang die voluminös-charmante Mma Ramostwe, Botswanas fiktionale erste Privat Detektivin und Protagonistin des internationalen Bestsellers "The Number 1 Ladies' Detective Agency". Die Popularität des RTO beim Publikum stieg natürlich, als Mma Ramotswe sich ihren Platz in den Bestsellerlisten der Welt sicherte. Zur Freude von Peter Stevenson natürlich: "Wenn die Prominenz eines unserer Mitglieder unsere Einstellung, dass auch mäßig begabte Musiker unterhaltsam sein können, einem größeren Publikum näherbringt, kann ich das nur begrüßen" , erklärt er nach der Probe. 

Der wütenden Working-Class-Jugend aus der Punk-Zeit gar nicht unähnlich, benutzt das Ensemble seine musikalisch-technischen Limitierungen als verkaufsfördernde Attraktion. Das Publikum fühlt sich miteingeschlossen und nicht belehrt. Weg fällt der Druck, in der sich an das Konzert anschließenden Diskussion im Foyer durch Musikkennerschaft reüssieren zu müssen. Oder, wie es Felizitas Macfie beschreibt: "Man wird so schön runtergeholt. Nach einem Konzert der Berliner Philharmoniker fühlt man sich immer dazu aufgefordert, fachsimpelnd zu kritisieren: Das Tempo hier und die Dynamik da waren falsch etc. Nach einem RTO-Konzert kann man einfach sagen: Liebe Berliner Philharmoniker, alles ist verziehen, wir werden euch nie mehr kritisieren, denn die Alternative ist: Das hier!"

Exzerpt von Karlheinz


Wer den vollständigen Artikel lesen möchte, gehe zu:

Der schlechte Ton
von Johannes von Weizsäcker
Süddeutsche Zeitung |PORTRAIT|WOCHENENDE|2009-07-11/12


Siehe und höre auch:

- RTO Fingask Castle Concert June 2008 [

- Photo Gallery of The RTO in New York [

- Meet the RTO [

- RTO trumpet promenade [


Siehe auch:
(1)
And The Band Played Badly
By ALEXANDER McCALL SMITH
The New York Times, March 9, 2008

Der Versuch, den Beitrag ins Deutsche zu übertragen, von Karlheinz: [


nach oben