Nicht der Applaus, die Stille ehrt den Künstler

- Konstantin Wecker und Hannes Wader auf gemeinsamer Tour 2010 

Auszüge aus einem Interview von Nahuel Lopez 


- Über den "Gutmenschen"

- Erich Fromm: "Haben oder Sein"


Wader: Die alte Frage lautet immer: Glauben Sie, dass Ihre Lieder die Welt verändern? Nein, das tun sie leider nicht. Aber darum geht es auch überhaupt nicht.

Es geht darum, dass man etwas unterstützt, das man für sympathisch und richtig hält, dass man eine Haltung hat.

Ich bin nicht mit einem politischen Anspruch gestartet. Ich wollte singen und damit an Mädchen rankommen. Mein Vater war ein sehr engagierter Landarbeiter. Ich hatte immer das Gefühl, er vernachlässige durch sein politisches Engagement seine eigene Familie.

Schlichtweg deshalb war Politik für mich zunächst also negativ besetzt. Mit 13 kam ich aus der Schule und machte eine Lehre als Dekorateur in einem Schuhgeschäft, später wurde ich Grafiker. Erst nachdem in Berlin alles gelaufen war, die Studentenbewegung von 1968, da hab’ ich angefangen, mich für Politik zu interessieren.

Ich habe mich dann sogar bewusst vereinnahmen lassen. Ich bin in die DKP eingetreten. Das war damals für mich lebensrettend. Ich war der Junge vom Lande und auf einmal ein Star. Ich wurde berühmt und reich und total überrollt davon. Ich sollte ganz absichtlich vereinnahmt werden.

Wecker: Ich war als Bewunderer von Hannes in einem Konzert in München. Anschließend, im "Chez Margot", einer typischen Studentenkneipe, wo auch die gesamte linke Studentenschaft war, stand Hannes Wader und musste sich nach einem umjubelten Konzert permanent verteidigen. Alle Lager, Trotzkisten, Leninisten und wie sie alle hießen, wollten ideologisch kopulieren mit ihm. Keiner sagte einfach, danke Hannes, das war toll, wunderschön.

Für mich wäre eine Parteimitgliedschaft eine Einschränkung gewesen. Eine Partei ist keine geistige Heimat. Henry Miller sagte mal, im Grunde seines Herzens müsse jeder Künstler Anarchist sein, unabhängig bleiben und dürfe auf nichts Rücksicht nehmen.

Wenn sich heute einer wie Sting gegen die Vernichtung von Regenwäldern einsetzt, dann wird er als Gutmensch desavouiert.

Damit sollen engagierte Menschen lächerlich gemacht werden.

Als ich 2003 in den Irak gefahren bin, da stellte man mich als naiv dar in der Presse. Dabei ist Naivität doch etwas ganz Positives, mal wieder in die Gedankenwelt eines Kindes einzutreten und zu fragen, warum ist das so.

Der Musiker Sting, der Regisseur James Cameron, der sich durch seinen Film „Avatar“ für die indigenen Völker einsetzt, werden lächerlich gemacht.

Das ist ein Prinzip des Neoliberalismus, seit vielen Jahren schon.

Wader: Die politische Wirklichkeit, in der wir leben, kann doch nicht die einzige Alternative sein, die wir haben. Ich komme noch aus der Arbeiterklasse und merke jeden Tag, jede Sekunde, dass ich in diese Welt nicht hineingehöre. Ich fühle mich vollkommen allein, entwurzelt.

Wecker: Die Menschen sind voller Angst. Als wir anfingen zu studieren, da gab es pro Person fünf Arbeitsplätze. Heute gibt es auf zwei Personen einen Platz.

Der Student sagt sich heute, bevor ich auf die Straße gehe, ziehe ich mein Studium lieber fix durch, damit ich dann eine Chance hab’ auf eine vernünftige Beschäftigung.

Keine Ideen von Streik, Massenbewegungen in der Presse. Das sind Teile von Mechanismen, eines Systems, das funktioniert.

Nahuel Lopez, FAS: Zurzeit sind Sie gemeinsam auf Tour. Hat sich mit zunehmendem Alter die Intention, beim Publikum etwas zu bewirken, gewandelt?

Wecker: Der große Cellist Pablo Casals soll mal gesagt haben: "Nicht der Applaus, sondern die Stille ehrt den Künstler. Der Moment, wo das Publikum den Atem anhält und sich kaum zu klatschen traut, das ist die größte Ehrung, die man als Künstler bekommen kann."

Ich bin im Alter radikaler geworden in meiner Schlussanalyse eines Systems, das einfach versagt hat. Der Kapitalismus ist gescheitert. Vielleicht braucht es eine neue Revolution, eine die aus ihren Fehlern lernt. Es kann nur eine gewaltfreie Revolution der Liebe geben, einen geistigen, spirituellen und politischen Wandel.

Wader: Ich halte es mit Scott Fitzgerald, der sinngemäß sagte: Man sollte begreifen, dass die Dinge hoffnungslos sind, und man sollte trotzdem entschlossen sein, sie zu ändern.

Siehe auch:

Konstantin Wecker: []» [

Hannes Wader: []» [


Wer den vollständigen Artikel lesen möchte, gehe zu:

Wofür lohnt es sich zu kämpfen?
Die Liedermacher und Protestveteranen Konstantin Wecker und Hannes Wader über das Nichteinverstandensein
Interview von Nahuel Lopez
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. August 2010

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Gedanken zum "Gutmenschen"

Eine neoliberale Maxime 2.0 unter dem Motto: "Der tabuisierte Teil der Sozialkompetenz = Durchsetzungsfähigkeit, taktisches und strategisches Denken", lautet:

Wer sein Selbstwertgefühl nicht aus seinem Besitz, sondern aus seinen Handlungen bezieht, der ruht in sich, den kann man nicht manipulieren. Siehe Erich Fromm: [

Ein Mensch mit derartigen Einstellungen darf keinen Einfluss haben auf politisches und ökonomisches gesellschaftliches Handeln. "Utopisches" Denken muss ausgegrenzt, erstickt, muss lächerlich gemachen werden.

Objektiv ist er ja ein guter Mensch, leider. Aber einer, der an die kindliche Metapher des "Guten im Menschen" glaubt, der kann doch nur ein Depp, ein weltfremder Spinner sein. Also macht man daraus eine Bezeichnung, die ihn ins Lächerliche ziehen soll, den "Gutmenschen".

Dieser "Logik" folgte schon der Spruch des Kettenrauchers und Ex-Bundeskanzlers Schmidt-Schnauze, wonach jeder, der Visionen hat, zum Arzt gehen solle, ebenso wie zahlreiche Stammtisch-Angriffe gegen Intellektuelle in Kneipen und Internet-Foren.

Der "Gutmensch" gilt dort als ironische Bezeichnung für "Sozen", Menschen, die sich als sozial verpflichtet bekennen und argumentieren, denen unterstellt wird, sich als die "besseren Menschen" zu sehen und über alle anderen erheben zu wollen.

Mit der Bezeichnung "Gutmensch" soll die unterstellte Arroganz, mit der "Sozen" auf Andere herabschauen, hervorgehoben und bezeichnet werden.

"Gutmenschen" träumen angeblich von einer "idealen Welt", sie fühlten sich für ihre Taten nicht selber verantwortlich, an allen Problemen sei stets die Gesellschaft schuld, und sie erreichten mit ihrem Aktionismus und ihrem Betroffenheitsjargon nichts, richteten eher noch Schaden an, weil sie "nicht über den Tellerrand sehen könnten".

Die Titulierung "Gutmensch" tritt nicht selten an die Stelle sachlicher (Gegen-) Argumente, geht damit einer rechtschaffenen Diskussion über Inhalte aus dem Weg, und vermeidet ein offenes Bekenntnis womöglich in Wahrheit un- oder gar a-sozialer eigener Motive.

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Erich Fromm: "Haben oder Sein", 1976.

Das Haben entspricht nach Fromm dem Geist einer nekrophilen Gesellschaft, die mit einer zerstörerischen Charakterorientierung tote Dinge verehrt, wie Technik, Fassaden aus Beton und Stahl, Konsumismus mit seiner Vergeudung von Ressourcen und einen Bürokratismus, der Menschen wie Dinge behandelt, während die biophile Gesellschaft des Seins den Menschen als ihren Mittelpunkt begreift.

Das Haben manifestiert sich im "Marketing-Charakter" des modernen Menschen, alles ist abgestellt auf vorübergehende Befriedigung, auf Verschleiß. Der Konsument, jener "ewige Säugling, der nach der Flasche schreit", kennzeichnet diese Welt des Habens, in der er sich nur kurzfristig mit modernen Gebrauchsgegenständen identifiziert, deren wesentliche Eigenschaft es ist, überholt und beseitigt zu werden.

Alles ist austauschbar, Dinge, Meinungen, Einstellungen, Freunde, Liebespartner, und der Mensch selbst beginnt sein konstantes Selbst einzubüßen, wird zur "Ware auf dem Persönlichkeitsmarkt", die sich vorteilhaft präsentieren muss, die sich selbst verkauft: Ich bin, was ich habe, und was ich habe, hat mich.

Als Vision setzt Fromm dagegen eine Welt des Seins, die sich aus Marx und Buddha und Jesus und Freud speist, dazu Spinoza und Meister Eckhart, er sagt: Es gibt Hoffnung, die Welt ist veränderbar.

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Erich Fromm (1900-1980; siehe auch: []») war der "Erfinder" der Analytischen Sozialphilosophie, er war von 1930 an Mitarbeiter in Max Horkheimers Institut für Sozialforschung. Bis zum Zerwürfnis im Exil in den späten dreißiger Jahren war er eine der prägenden Persönlichkeiten der Frankfurter Schule, und er hat eine andere Botschaft als die pessimistische seiner Kollegen.

Spöttisch zitiert wurde im Institut gern ein Spruch, der ihn seit seiner Jugend begleitete: "Lieber Gott, mach mich wie Erich Fromm, dass ich in den Himmel komm"...

Wohl der Prototyp 1.0 des "Gutmenschen" 2.0?!

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