Kosmische Musik –
größtenteils deutsch 

Auszüge aus einem Artikel von Marc Deckert


Dem deutschen Experimental-Rock der späten sechziger und frühen siebziger Jahre ist noch lange kein Ende vergönnt, keine Erlösung im Mainstream.

Krautrock nannten britische Kritiker das, was zeitgleich mit der Jugend-Revolte der Achtundsechziger in Deutschland aus den psychedelischen Klängen aus England und den USA entstanden war. 

Die Kommune Amon Düül in München, in Köln wird aus Stockhausen-Schüler Holger Czukay, Keyboarder Irmin Schmidt, Gitarrist Michael Karoli, Free-Jazz-Drummer Jaki Liebezeit und dem amerikanischen Sänger Malcolm Mooney Can, in Düsseldorf formiert sich die Gruppe Organisation, aus der später Kraftwerk hervorgeht. Hier lernen sich der Gitarrist Michael Rother und der Schlagzeuger Klaus Dinger kennen und gründen Neu!, eine Band, deren Einfluss heute noch in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Bekanntheit steht, die den späteren „Postrock“ und nahezu alle Hybridformen zwischen Rock und Elektronik vorwegnahmen. 

Kraut vermischt den aufkommenden Synthesizer mit APO, Drogen, Ernste Musik und Rock’n’Roll und ist im Grunde keine Jugendkultur, vielmehr die Musik ausgewachsener Konservatoriums-Abgänger, die zum ersten Mal die populäre Musik für sich entdecken. Allen gemeinsam war nur die Suche nach einer eigenen europäischen, oder noch lieber, ganz ortlosen Identität ihrer Klänge, die sie kosmische Musik nannten.

„Wir bemühten uns nicht anglophon zu sein. Und wir wollten nicht deutsch sein“, erklärte John Weinzierl von Amon Düül II dem Reporterteam der BBC. „Als Lösung erschien uns der Weltraum.“ 

Bei allen Unterschieden zwischen Bands wie Faust aus dem niedersächsischen Wümme, die Betonmischmaschinen traktierten und „Industrial“ vorwegnahmen, Cluster, die zeitgleich mit dem Briten Brian Eno das „Ambient“-Genre erfanden, Amon DüüI I und(?) II, die sich in drogengeschwängerter Psychedelik verloren und Can, die sogar Funk und manchmal Blues spielten, der nach verzweifelten Robotern klang, es gibt einen Kern von Kraut: Musik, die von der Wiederholung lebt, die aus der Monotonie einen Rausch macht. 

Großartige Schlagzeuger wie Jaki Liebezeit von Can und Klaus Dinger von Neu! spielen 18 Minuten lang ohne die kleinste Ungenauigkeit – lebendige Wesen, keine Computer-Maschinen! – Wahwahs und Endlos-Schlaufen (Tonband-Schnipsel von Can nehmen das Sampling vorweg), Instrumente, die wie Synthesizer klingen, aber keine sind. 

Warme, fließende pastorale Elektronik-Miniaturen von Harmonia, produziert mit Brian Eno, die schwierige Geburt von Kraftwerk, die späteren Pioniere des unterkühlten TechNO-Pops an der aufgedrehten E-Gitarre als eine Art Hendrix mit akkuratem Seitenscheitel, der „gigantische Free Rock“ von Can:

Sie alle sind nicht einfach nur zu modern für ihre Zeit, sie beantworteten schon vor 40 Jahren die wesentlichen Fragen zur Entwicklungsfähigkeit von Rockmusik. 

Den Einfluss, den diese kosmischen Kuriere einer von allen Instanzen abgesegneten Avantgarde aus einer außerordentlichen Experimental-Ära bis heute haben, drückt eine wunderbare Stelle in dem Plattensammler-Roman „High Fidelity“ von Nick Hornby aus: Der überhebliche Pop-Experte Barry wird gefragt, wie sich denn seine neue Band anhöre. „Die direkten Einflüsse würden Dir nicht viel sagen,“ erwidert er stolz. „Sie sind größtenteils deutsch.“


Wer den vollständigen Artikel lesen möchte, gehe zu:

Als Lösung erschien uns der Weltraum
Die Zukunftsmusik von vor 40 Jahren ist immer noch die Zukunft. Warum Krautrock so großartig und uneinholbar ist.
Von Marc Deckert
Süddeutsche Zeitung, 2. August 2010


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