Ende der Kodak-Story Für jede Lichtsituation geeignetes Material: Kodak war ein stolzer Pionier für Film und Foto, mit dessen Produkten man künstlerische Grenzen testete. Ein Großteil unserer Fotos stammt aus den Filmen mit der gelben Verpackung. Nun ist die Firma pleite. Einer der bekanntesten deutschen Fotografen analysiert, was das für unsere Erzählkultur bedeutet. Das Foto, das einst den einen, einzigen Moment festhalten wollte, ist zur digitalen Massenware geworden. Von Jim Rakete Eine kleine Geste ist es, die mich seit mehr als vierzig Jahren begleitet: Wenn ich spätabends meine Jacke über den Stuhl hänge, tastet unwillkürlich meine rechte Hand in die Tasche, ob da nicht noch ein unentwickelter Film ist. Als ich mich beruflich in die Fotografie stürzte, gab es eine Vielzahl von Filmen, und die Verarbeitungsrezepte waren so geheimnisvoll, dass man auf Partys danach gefragt wurde. Tri-X und Promicrol, sagte man, und die Antwort darauf war ein stummes Nicken. Da war Reportage längst eine Sache der Kleinbildkameras, der empfindliche Tri-X hatte die Tür geöffnet für körnige Reportagen bei Nacht ohne jedes Zusatzlicht und im Spielfilm sogar die halb dokumentare Erzählweise der Nouvelle Vague beflügelt. Fotografie war die Fertigkeit, auf einem Film von 36 Aufnahmen mit einer Leica eine Geschichte zu erzählen. Für jede Lichtsituation gab es geeignetes Material. Wer das Detail und die tiefen Farben liebte, griff nach dem Kodachrome, wer grobkörnige Schwarzweiß-Fotos von einem Jazzkonzert machen wollte, nahm den Tri-X. George Eastman hatte Trockenplatten für die Fotografie entwickelt, Ende des 19. Jahrhunderts, und war mit den Kodak-Filmen zum Welt-Marktführer geworden. Ein Großteil der uns erinnerlichen Fotos kommt aus den Filmen mit der gelben Verpackung. Als vergangene Woche die Nachricht von der Kodak-Insolvenz die Runde machte, fühlte man die Kälte der Entscheidung, die weit in unsere Erzählkultur hineinreicht. Viele Jahre hatten Filmmaterial und Kameras einander mit Innovationen beflügelt. Schon die allererste massenkompatible Kamera, die Brownie, von Eastman im Jahr 1900 selbst entwickelt, ließ sich mühelos transportieren und konnte die Momentaufnahme ohne Stativ. "You push the button, we'll do the rest" - einfach den Knopf drücken, das war der Slogan des Fotogiganten in Rochester, NY. Hemmungsloser Flirt mit den Bequemlichkeiten des Amateurmarkts Die stilprägende Wirkung von Filmen und Kameras hat ein ganzes Jahrhundert lang gehalten, jenes Zusammenwirken von Film und Fotopapier, von Korn und Schärfe. Auf der Suche nach dem richtigen Rezept verbrachte man viele Stunden in der Dunkelkammer. Es war nicht nur ein lästiger, handwerklicher Prozess. Man erlebte das Fotografierte dabei noch einmal rückwärts. Kodak war ein stolzer Pionier in Film und Foto, weil die Filme aus der gelben Packung alle denkbaren Grenzen testeten. Es gab die empfindlichsten und die am höchsten auflösenden Filme. Man packte sie in den Kühlschrank, wenn man nach Hause kam; und die belichteten entwickelte man so schnell wie möglich. Die Kodak-Story war gleichwohl ein hemmungsloser Flirt mit den Bequemlichkeiten des Amateurmarkts. Ständig gab es Versuche, neue Kamerasysteme auszuprobieren, die man zum Entwickeln ins Werk einschicken musste. Keine davon hatte eine Lebensdauer wie die Klassiker der Emulsionen. Fotos an Wänden sind die Boten einer anderen Zeit Als in Amerika das Polaroid-System vorgestellt wurde, muss das ein harter Schlag für den riesigen Kodak-Konzern gewesen sein. Erstmals hatte ein neues System die Schnelligkeit von Kodak herausgefordert - ein Menetekel, wie sich zeigen sollte. Kodak antwortete, verspätet, mit einem eigenen System. Es blieb erfolglos Schon damals war zu erkennen, dass die Idee der Fotografie sich in ihr seltsames Gegenteil verkehren würde. Waren die Pioniere der Fotografie noch darauf aus, das eine, gültige Bild eines Moments zu machen (auf einen Termin nahm man gern nur zwei Platten mit), ging die Entwicklung in Richtung Serie. Die Ungeduld dem Ergebnis gegenüber nahm zu. Über Nacht hatten die Kameras Motoren oder Winder. An jeder Ecke gab es Fotolabors. Warten war unmodern. Kein Anlass zu Zweifeln für Kodak. Das Geschäft mit den Filmen boomte. Kodak war mit den Astronauten auf dem Mond gewesen, hatte Mitte der 70er Jahre sogar eine eigene Digitalkamera entwickelt. Aber noch fast zwanzig Jahre lang waren die Ergebnisse, die man mit den Filmen erzielen konnte, auch technisch so viel besser, dass man nicht an einen Siegeszug des Digitalen glaubte. Erst als es japanische Kameras mit einem vergleichbaren Auflösungsvermögen gab, erwog man den Einstieg in die Technik. Da war es zu spät. Parallel dazu hatte die digitale Bildbearbeitung Einzug gehalten in Agenturen, Redaktionen und Druckereien. Kaum ein Bild im öffentlichen Raum ist unbearbeitet - mit der Folge, dass wir fast jedes Image als Werbung interpretieren. Klassische Fotografie aber hatte immer einen Ausgangspunkt: das Negativ. Mit der Überschreitung dieser unscheinbaren Linie war ein Tabu gebrochen, das auch gedanklich ein Negativ obsolet zu machen schien. Wenn alles bearbeitet wird, warum dann nicht gleich einen Datensatz nehmen anstelle des Negativs? Seither ist das Fehlen eines Originals der Phantomschmerz der Fotografie. Fünf Bilder gleichzeitig, Gesichter automatisch geglättet Gewiss: Bilder sind stehts manipuliert und geschönt worden, von den Portraits der Renaissance (in denen erstaunlich viele Photoshop-Ideen stecken), über die Bildfälschungen unter Stalin bis hin zu den harmlosen Retuschen von Portraits. Aber nie hatte einen derartigen Konsenz der glatten Gesichter gegeben, die keiner mehr glaubt. Die heutige Digikamera macht gleich fünf Bilder, sucht selbst das beste davon heraus, glättet dabei automatisch die Gesichter. Am besten eingebaut ins Handy, bereit zum Verschicken. Die Bilder kleben in keinem Familienalbum mehr, sie schmücken keine Wände. Einmal auf den Bildschirm gerufen, versinken sie auf Festplatten, werden zu Nebenprodukten der digitalen Geschwätzigkeit, zum Ausdruck von Bequemlichkeit. Wenn ein Riese wie Kodak in die Knie geht, lohnt es, auf das zu schauen, was verlorengeht, wie das die britische Künstlerin Tacita Dean in ihrem Buch "Floh" getan hat. Sie hat unzählige Bilder aus Alben auf Flohmärkten herausgesucht und aufbereitet; sie sind Boten einer anderen Zeit. Wird man das von den Billionen Handyfotos ebenfalls eines Tages sagen? Vielleicht. Wenn die Festplatten dann nicht Elektroschrott sind. Vor fast fünf Jahren habe ich mich mit einer riesigen Plattenkamera noch einmal auf eine Erkundungsreise der deutschen Gesichter gemacht. Ich wollte mit den Mitteln der Vergangenheit die Charaktere von heute anschauen. Schon da gab es keine Schichtfilme mehr für diese Kamera. Nach der schlechten Nachricht aus Rochester will ich das nun noch einmal versuchen. Falls es noch Filme gibt. Jim Rakete, 61, wurde vor allem durch seine Schwarzweißporträts von Musikern, Schauspielern und bildenden Künstlern bekannt. Siehe auch auf Wikipedia Siehe auch: Außenansicht Ende der Kodak-Story Von Jim Rakete |
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