Wider die Ideologen des Internets!

Globale Bankenkrise - Globale Netzkrise?

Welche Regeln gelten im Internet?
Ist dort alles erlaubt?
Ist die Gesellschaft machtlos gegen das Onlinegeschäft mit Fotos und Videos missbrauchter Säuglinge, gegen den Zugang zu wüster Pornografie für Achtjährige, gegen die Wehrlosigkeit von Musikern, Autoren, Fotografen angesichts der Enteignung ihrer Werke im Cyberspace, gegen islamistische Terroraufrufe und blutrünstigen Antisemitismus?
Was darf das Netz?
Was darf der Staat im Netz?...

Wer Kinderpornos online erwirbt, macht sich genauso strafbar wie jemand, der sie auf DVD kauft. Geschützte Musik im Netz herunterzuladen, ohne dafür zu bezahlen, ist kein heroischer Akt des Aufbegehrens gegen die Unterhaltungsindustrie, sondern ebenso illegal wie früher der Plattenklau im Plattenladen. Eine rasch online hingerotzte Beleidigung ist genauso ehrverletzend wie eine Beleidigung im Straßenverkehr. Und wer den Holocaust leugnet, begeht eine Straftat, ganz gleich, ob er die Existenz von Auschwitz auf Papier oder im Cyberspace bestreitet...

Warum haben Politik und Gesellschaft jahrelang zugelassen, dass Gesetze im Netz systematisch verletzt wurden, ganz offen, teils mit allen Anzeichen von Stolz über den Rechtsbruch? Weil es technisch schwierig ist, Gesetzverstöße im Netz zu verfolgen und zu ahnden?...

Lawrence Lessig (Juraprofessor, Stanford University, Kalifornien; einer der führenden Rechtsexperten für Internetfragen) schrieb bereits 2001: „Der weitverbreitete Glaube, der Cyberspace könne nicht reguliert werden, weil seine Grundstruktur immun gegen die Kontrolle von Regierungen wäre, ist falsch. Es liegt nicht in der Natur des Cyberspace, unregulierbar zu sein, weil der Cyberspace keine Natur hat. Er besteht nur aus Code – die Software und Hardware macht den Cyberspace zu dem, was er ist. Und die kann man natürlich verändern.“...

Warum schien das Netz dennoch so lange unantastbar?... Die Antwort: Ein Heilsversprechen, eine Ideologie vom wilden, freien, unabhängigen Internet, in dem keine Regeln gelten und keine gelten sollen.

Das Besondere, die eigentliche Provokation: Eine Gruppe fordert nicht nur eine Sonderbehandlung, eine Ausnahme von den Regeln, die für alle gelten, sondern die Abschaffung der Normen überhaupt. Im Namen der Freiheit wird der Austritt aus dem Recht propagiert. Die Vehemenz, Euphorie und abenteuerliche Vermessenheit dieser Forderung gipfelt im Manifest von John Perry Barlow, (Ex-Viehzüchter, Ex-Songwriter der Grateful Dead, selbsternannter „Cyberlibertarian“), 1996 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos verkündet in seiner
„Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“

„Regierungen der industriellen Welt... ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Lasst uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt ihr keine Macht mehr. Wir besitzen keine gewählte Regierung, und wir werden wohl auch nie eine bekommen – und so wende ich mich mit keiner größeren moralischen Autorität an euch als der, mit der die Freiheit selbst spricht... Ihr habt kein moralisches Recht zu regieren, noch besitzt ihr Methoden, es zu erzwingen, die wir zu fürchten hätten.“...

„Uns gehört die Zukunft. Ihr seid doch von gestern“... der rabiate Refrain aller Fortschrittsideologien der vergangenen Jahrhunderte hat alle potenziellen Kritiker, „konservativen Neophobiker“, zum Schweigen gebracht und findet in tausend Foren, Chatrooms, Postings ein begeistertes Echo... Er immunisiert nicht nur gegen Kritik und Kontrolle von außen (Gibt es ein Grundrecht auf freien Zugang zu Vergewaltigungsbildern, Terrorvideos oder Nazipropaganda?), er befeuert auch den rauen Umgangston im Netz, die Regellosigkeit der Sprache, die Wurschtigkeit des Denkens, die anarchische Grundstimmung des Cyberspace, die verbreitete Neigung zur Gesetzlosigkeit. Bis hin zum Traum von Internet als Instrument zur Delegitimierung und Dekonstruktion des Staates.

Ein User: „Strafverfolgung im Netz? Will ich nicht“, schlicht und entlarvend...

Was hier gefordert wird, ist nämlich nicht die Freiheit unter Gleichen. Es ist die Freiheit des Stärkeren, die Freiheit des Lauteren, des Rücksichtslosen, desjenigen, der sich ohnehin durchsetzen kann. Diese Freiheit verzichtet auf das Recht, ja sie verhöhnt es geradezu. Sie diffamiert das Recht, das doch just dazu dient, die Freiheit des Schwächeren, des Leiseren, der Minderheit zu schützen. Eben jenes Recht, das auch das Eigentum desjenigen sichert, der darum keinen Zaun errichten kann, des Eigentümers geistiger Werke zum Beispiel.

Freiheit ohne Recht aber ist: Anarchie...

...Sechs deutsche Kinderrechtsorganisationen appellieren:

„Alle Internetexperten, die sich jetzt gegen Sperren von kinderpornografischem Material im Internet aussprechen, sind aufgefordert, ihr Wissen zu nutzen und an konkreten Lösungen mitzuarbeiten,“ wie sich das Netz eigene Strukturen und Mechanismen schaffen könnte, die Kinderschänder und Hassprediger zu verdrängen helfen...

Es geht nicht darum, den ungefilterten Fluss von Informationen, Ideen, Meinungen zu blockieren... Es geht darum, die Debatte um das Internet zu entideologisieren und das Netz als einen Raum zurückzuerobern, in dem die Geltung des Rechts so selbstverständlich akzeptiert wird wie im „richtigen Leben“. In dem die Achtung der Menschenwürde nicht hinter der Freiheit des Stärkeren zurücktreten muss.

Die letzten Experten, die sich lauthals auf ihre Kompetenz berufen und jede regulierende Einmischung ahnungsloser Politiker in „ihren Lebensraum“ empört zurückgewiesen haben, waren die Finanzjongleure der globalisierten Kapitalmärkte. Auch sie operierten mit magischen mathematischen Formeln, auch sie verachteten die kleinkarierten Politiker und fühlten sich über das Recht erhaben.

Die Folgen trägt gerade die ganze Welt.

Exzerpt von Karlheinz


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Wider die Ideologen des Internets!
Die Freiheit im Netz ist wichtig. Und doch muss das Internet endlich allen Regeln des Rechtsstaats unterworfen werden
Von Heinrich Wefing, DIE ZEIT, 2009-05-28


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