„50 Jahre derselbe Scheiß“

Warum nicht die Stones,
da hat man was fürs Leben

Exzerpt aus einem Artikel von JOACHIM LOTTMANN


Vor 32 Jahren „beerdigte“ ein heute 56jähriger Diedrich Diederichsen die Rolling Stones im Spiegel mit „20 Jahre derselbe Scheiß“.

Seit dem Interview, das Alexander Gorkow 2010 mit Mick Jagger für die SZ führte, sind die Stones für uns Journalisten das, was die Queen für die Briten ist: eine zeitlose Autorität.

Zu Diederichsens Zeiten, 1982 waren Stonesfans zu 95 Prozent graubärtige Gesamtschullehrer und 45-jährige Sekretärinnen aus der Medienindustrie. Heute sind keine Alt-68er mehr im Publikum, sondern lauter neurosefreie Nichtfreaks, „gesundes“ Volk. 90.000 im Ernst-Happel-Stadion machen einen weitaus besseren, weil natürlicheren Eindruck als jene Millionen Fußball-„Patrioten“, die so permanent wie unerträglich verkrampfte Siegesfreude herausgrölen.

Keine richtige oder auch nervende Vorgruppe auf der Bühne. Nur ein paar Männeken, die einen dümmlichen Soundbrei produzieren, als würden sie die Instrumente für die Stones stimmen. Nichts Umstürzlerisches liegt in der Luft, eher Kirchentagsstimmung. Junge Eltern mit ihren Kindern auf den Schultern. Die Karte kostet 197,30 Euro. So viel gibt der Normalverbraucher schon mal in der Kneipe aus. Warum nicht die Stones, da hat man was fürs Leben. Wie der Moslem, wenn er endlich dreimal um die Kaaba läuft.

Jaggers Körper, äußerlich Carla Bruni,
innerlich ein Lamborghini Zwölfzylinder

Punkt 21 Uhr geht es los mit „It’s Only Rock ’n‘ Roll, But I Like It“. Der stumpfsinnige Refrain dieses blödsinnigen Titels wird auch noch gefühlte 20 Minuten lang durchgetrötet. Nun kann es nur noch besser werden.

Multipliziert man die Zuschauerzahl mit dem Eintrittspreis, kommt man auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Das motiviert den Betriebswirt Jagger und seine Kumpel, auch wenn er im achten Lebensjahrzehnt steht. Dennoch, der bitterböse Satz „Frank Schirrmacher ist tot, und Mick Jagger lebt immer noch!“, führt in die falsche Richtung.

Missgunst, Neid, ewige Häme gegenüber den Rolling Stones sind vorbei. Sie haben nicht nur ihre Gegner, sondern den Zeitgeist eines halben Jahrhunderts ausgesessen. Nicht durch Ignoranz und Sitzfleisch wie Helmut Kohl, sondern durch Ausdauer und Intelligenz.

Nehmen wir die Ausdauer. Jagger soll 20 Kilometer pro Auftritt auf der Bühne zurücklegen, in seiner zappelnden, rhythmussynchronen Ganzkörpersprache, die er besser und radikaler beherrscht als jede Konkurrenz. Mit seinem Körper - äußerlich Carla Bruni, innerlich ein Lamborghini Zwölfzylinder, auf unerklärliche, weil endlose Weise elektrisch aufgeladen - drückt er nicht nur jeden Ton aus, sein Körper IST dieser Ton. Dafür zahlen die Leute. Deswegen sind alle Konzerte seit 50 Jahren ausverkauft.

Die Mitspieler? Keith Richards tappt gutmütig, irgendwie um Verzeihung bittend über die Bühne. Wie Roger Willemsen in alt. Charly Watts, ganz der tattrige ältere Mitarbeiter, der einen guten Job macht. Ron Wood ist auch unsicher, sieht aber noch aus wie vor 25 Jahren. Ein paar namenlose Statisten – Saxofon, Klavier, Chor – zwar jung, aber ausgesucht hässlich, können den Stones nicht die Show stehlen.

135 Minuten, von der blauen Stunde bis in die romantische Nacht, reicht das Konzert. Gezündete Feuerzeuge bei „Angie“, mit dieser irren Fresse von Jagger, den nichts und niemand schert. Mürrisch, zornbebend und obszöne Grimassen schneidend trägt er dieses gefühlstriefende Lied vor. Sich verstellen ist nicht seine Sache. Er buhlt nicht, er scheint sich wirklich nur austoben zu wollen.

Statt einer Stunde gibt es zweieinhalb. Das schlaucht, schützt die Gruppe aber vor dem Wunsch nach endlosen Zugaben. Nach dem letzten Ton von „Satisfaction“ sind die Menschen fix und fertig. Nach dem kurzen, höflichen Schlussapplaus strömen sie mit schmerzenden Füßen nach draußen. Keine Arbeit im Rotkreuz-Zelt, keine reihenweise in Ohnmacht gefallenen Mädchen, lange vorbei. Zu viel stundenlanges Mithüpfen, bewusst oder unbewusst, macht keinen Nervenzusammenbruch. Gut so.


Wer den ganzen Artikel lesen möchte, gehe zu:

20 – 197,30 – 90 000
Schluss mit der Häme.
Die Rolling Stones in Österreich.

Von JOACHIM LOTTMANN
Süddeutsche Zeitung, 18./19. Juni 2014

Joachim Lottmann ist Schriftsteller und lebt in Wien. Er gehört zu den Gründern der Musikzeitschrift SPEX. Eben erschien sein neuer Roman "Endlich Kokain".


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