Paul McCartney 70


Er schuf den Soundtrack zu den besten Jahren mindestens der halben Menschheit... Ein Aristokrat des Pop, einer der seltenen Stars, die würdevoll alt werden, weil sie wissen, dass sie ein Erbe verwalten, das längst viel größer ist als sie selbst...

JENS-CHRISTIAN RAABE


Exzerpt eines Artikels von JENS-CHRISTIAN RAABE


Der Typ, der sich Paul McCartney nennt, der mit 100 Millionen verkauften Alben und 100 Millionen verkauften Singels als erfolgreichster Komponist aller Zeiten gilt, den die Queen dafür 1997 in den Adelstand erhob, "Sir" Paul McCartney, wie er sich seit dem nennen darf - der Typ lebt.



Ihn allerdings eine „lebende Legende“ zu nennen, fühlt sich irgendwie extrem untertrieben an. Neben Dylan mögen ein paar andere reicher sein und ein paar mittelprächtige Knalltüten haben fast so viele Platten verkauft, aber keiner von ihnen war und ist so originell und einflussreich und gleichzeitig so erfolgreich.



Wegweisende Songs, Arrangements und unglaublichen Basslinien Paul McCartneys haben auch gemeinsame Kompositionen mit John Lennon wie „Come together“, „Paperback Writer“ oder „Lucy In The Sky With Diamonds“ erst zu dem gemacht, was sie sind.



George Martin, der Beatles-Produzent, sagte später, Paul McCartney sei der einzige „Weltklassemusiker“ der vier Beatles gewesen.



Der Bass auf der ersten Solo-Single „Another Day“ ist, wie der clevere kontrapunktische Bass auf „Michelle“ oder der Lauf, den der Bass auf „Lucy In The Sky With Diamonds“ verfolgt, viel mehr als nur Teil des rhythmischen Fundaments. Er fügt dem Song eine echte neue melodische Dimension hinzu. Die großen McCartney-Läufe sind allesamt keine faden Grundton-Folgen, man kann sie mitsummen.



Es ist kein Zufall, dass der Bassist McCartney neben Brian Wilson, James Jamerson, Jack Bruce und John Entwistle zu denen gerechnet wird, die das Bass-Spiel in den sechziger Jahren auf eine völlig neue Grundlage stellten.

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Elvis Costello sagte mal, er habe den Eindruck gewonnen, dass die Beatles wohl deshalb damals aufhören mussten, live zu spielen, weil die Songs nicht mehr ihre waren. Sie gehörten allen.

Die Musik der Beatles erreichte tatsächlich ALLE:

Die Teenage Girls, die Rock’n’Roller, die Art-Rocker, die Psychedelic-Jünger, die Folkies, die Easy-Listening-Freunde, die Mainstream-Pop-Fans, sogar Jazzer, orthodoxe Klassik-Hörer und die Kunstlied-Aficionados, die sich für vertrackte Harmoniewechsel begeistern können, oder auch nur für den für damalige Pop-Konventionen ungewöhnlichen Sextakkord am Ende von „She Loves You“, der weniger nach Rock’n’Roll als nach dem Glenn Miller Orchestra klingt – jeder hat seine Beatles.

Trotzdem wagte sich Paul McCartney später mit all diesen Songs, die nicht nur nicht mehr seine eigenen waren, sondern eben längst der Soundtrack zu den besten Jahren mindestens der halben Menschheit, wieder auf die Bühne. Und er ist dort bis heute einer der großen Entertainer dieser Welt, wahrscheinlich der größte.

Und mit Keith Richards, Bryan Ferry oder Lemmy Kilmister ist er auch noch einer der wenigen echten Aristokraten des Pop. Einer der seltenen Stars, die würdevoll alt werden, weil sie wissen, dass sie ein Erbe verwalten, das längst viel größer ist als sie selbst.

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Die Live-Technik ist besser und lauter geworden – egal – Paul McCartney setzt sich ans Klavier, an welchem Aufführungsort auch immer, und spielt am Ende der Show „Hey Jude“, den besten aller Rausschmeißer.

Er grinst kurz – und dann singt er den Song so ernsthaft, akkurat, brillant, frisch und groß wie die schönsten Erinnerungen, die man mit der halben Welt teilt, bitte sehr, zu sein haben:

Naaaa – naa, naa, na-na-na-naaaaaa – na-na-na-naaaa – hey Jude!

Nicht zu glauben, dass der Mann am Montag 70 Jahre alt wird.



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Der Größte
Der Songwriter, Bassist und Entertainer Paul McCartney wird 70 Jahre alt. 70!

von JENS-CHRISTIAN RAABE
Süddeutsche Zeitung, 16./17. Juni 2012


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