Apostel-Paulus-Kirche, Berlin Die Wölfin Patti Smith' glorioser Auftritt lässt einem alle Haarspitzen gefrieren. Ungefähr drei Stunden nach Konzertende geht langsam die Gänsehaut weg. Exzerpt eines Artikels von JOACHIM HENTSCHEL Patti Smith rülpst regelmäßig, direkt ins Mikrofon. Eine Äußerung, die ja vielleicht entscheidend ist für das Verständnis ihres Werks. Wird sie es aber auch in der Apostel-Paulus-Kirche tun, bei einem ihrer zwei komplett ausverkauften Konzerte in Berlin? Wird sie gar ihre berühmteste(?) Songzeile, den Wolfsschrei des New Yorker Beatnik-Punks, hier singen: "Jesus died for somebody's sins, but not mine"? Dass Patti Smith das alles nie blasphemisch meinte, wissen wir nicht erst seit vergangenem Jahr, als sie den Papst in Rom ganz nett fand und Jesus in Interviews als vorvorletzten Revolutonär lobte. Immerhin spannend für die 850 Kirchgäste, die schon eine Stunde vor Beginn des Konzerts ganze Bankreihen mit Winterjacken reserviert haben und sich unter der Kanzel mit Bierbechern zuprosten. Patti Smith rülpste auch dieses Mal. Aber erst in der Zugabe. Die Zeile über Jesus und die Sünden lässt sie weg. "Gloria", ihre Adaption eines Van-Morrison-Stücks, die sie gegen Ende dieses absolut gloriosen Abends singt, als sich die Leute schon im Raum vor den Altartreppen drängeln, als Patti sich mitten im Stück einen spontanen Vertretungs-Gitarristen aus dem Publikum greift, damit sie die Hände frei hat zum Gestikulieren. Es scheint an diesem Kirchenraum zu liegen, im Berliner Westen, eine U-Bahn-Station entfernt von David Bowies alter WG, dass man Smiths Musik an diesem Abend anders hört. Anders als von den großen Bühnen in Hallen-Konzerten, die ein Poeten-Pathos aus ihr herauskitzelten, dessen entschiedenes Vermeiden sie 1975 so zielsicher den Nerv treffen ließ. Hier am Altar liest sie erst mal aus den "Western Lands" von William S. Burroughs und singt dann eine so schöne, so traurige Version von Neil Youngs "It's A Dream", dass einem alle Haarspitzen gefrieren. Die Energie ist da, gezähmt durch die Umgebung, aber gerade deshalb umso greifbarer. Als Potenzial, als Versprechen. Der Furor der klugen, 67 Jahre alten Frau. Der irrwitzige Glaube an eine Macht der Wörter, der der Bibel-Religion ja gar nicht so fern steht. Die kleine Band, mit ihrem 31-jährigen Sohn Jackson, spielt eucharistisch glühende Fassungen von "Redondo Beach", "My Blakean Year", "Birdland" - bei dem Patti Smith mitten im Stück Dichterkladde und Lesebrille von sich wirft und sich tatsächlich in die Wölfin verwandelt, die - trotz aller senilen und staatstragenden Anwandlungen - gefährlicher wirkt als früher. Aber vielleicht entwickelt diese um die Unmöglichkeit von simpler Erlösung kreisende Musik ihre größte Sehnsucht und Macht an Orten, an denen göttliche Vergebung am greifbarsten möglich scheint. Natürlich widmet sie ihre Lieder wieder diversen Toten, Philip Seymour Hoffman, Shirley Temple, Schlingensief, Lour Reed. Sie inszeniert sich mittlerweile vielleicht ein wenig zu demonstrativ als große Mama der Geister. Auch wenn sie diese Anmaßung mit dem Buch "Just Kids" eingelöst hat, der Autobiographie über ihre Zeit mit Robert Mapplethorpe, aus der sie ebenfalls in Berlin liest. "Wir fühlten uns bereit für die Siebziger. Das wird unser Jahrzehnt, sagte er". Dann startet der Pianist mit "Because The Night". Ungefähr drei Stunden nach Konzertende geht langsam die Gänsehaut weg. Wer den ganzen Artikel lesen möchte, gehe zu: Die Wölfin Von JOACHIM HENTSCHEL |
. |