Eine Legende rehabilitiert sich

Nina Hagens neues Album „Personal Jesus“ 

Nina Hagen wurde zu einem Zerrbild einer „schrill“ und „schräg“ daherkommenden Krawallschachtel und Schreckschraube reduziert, die telegen auffälliges Sozialverhalten garantiert. Dafür sollte man das Fernsehen hassen. 

Nach ihrer Ausbürgerung aus der DDR 1976 hatte sie die beiden folgenden Jahre in London verbracht. Das Schicksal der exilierten Dissidentin und die Zeit in der Punk-Boheme waren vielleicht nur kurze Episoden – aber die prägten sie nachhaltig. Im Spätherbst 1978 schrieb sie mit „TV-Glotzer“, „Heiß“ und „Auf’m Bahnhof Zoo“ den Soundtrack für die wilden Jahre deutscher Halbstarker und Backfische in der behüteten Ödnis der Bundesrepublik.

Nach neunzehn veröffentlichten Alben seit ihrem Debüt, von denen keines nennenswerte Spuren hinterlassen hat, hat sie nun mit Gospel und Blues die Flucht aus der Verschleißmaschine in die Größe angetreten.

Der Albumtitel „Personal Jesus“ ist ein Song von Depeche Mode, den Johnny Cash auf dem vierten seiner minimalistischen Spätalben zum "modernen?" Klassiker veredelte. Nina Hagen singt ihn, als hätte Bob Dylan oder Jack White produziert. Auf der letzten Nummer des Albums, „Sometimes I Ring Up Heaven“, ein schwerer Blues von Anthony Heilbut, hört man vor allem eine Stimme mit einer einzigartigen dynamischen Bandbreite. Heilbut ist ein Literaturwissenschaftler, der mal eine Thomas-Mann-Biografie geschrieben hat, seine wahre Berufung allerdings als Produzent von Gospelplatten sieht.

Nina Hagen eröffnet die Platte mit der schweren Gospelnummer „God’s Radar“, von einem obskuren Mundharmonikaspieler namens Dan Smith aus Alabama, den Pete Seeger einst in die Beatnikkneipen des Greenwich Village brachte; Sie singt Woody Guthries „All You Fascists“ in der Fassung von Billy Bragg, das alttestamentarisch finstere Traditional „Run On“ im Arrangement von Elvis Presley und gleich zwei Stücke der unbekannten Gospelsängerin Margaret Ellison.

Paul Roessler, ein Produzent, der ihren Drang zur Alberei und Übertreibung bremst, half ihr dabei, genau den Punkt zu finden, an dem ihre Stimme nicht in den Klamauk überkocht. Gemeinsam mit dem Gitarristen Marcus Watkins schuf er zwar mit Trap Drums, Slidegitarren, mit aufwallenden Orgelakkorden und Antwortchören (us)amerikanische Authentizität, getragen wird das Album aber von Nina Hagens Stimme, die eine Kathedrale zu Erzittern und einen herzlosen Menschen zum Weinen bringen könnte.

Nina Hagen hat sich musikalisch rehabilitiert. Wenn schon nicht als Superstar, so zumindest als Legende.


Dies ist ein Auszug aus dem Artikel: 

Deutschlands echter Superstar
Nina Hagen flüchtet mit Gospel und Blues aus der Verschleißmaschine Fernsehen
von Andrian Kreye
Süddeutsche Zeitung, 10./11. Juli 2010 


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