Hauptmann Peppers Lebenwerk

Der Kreuzberger Klaus Beyer hat alle 13 Beatles-Alben auf Deutsch eingespielt. Jetzt ist er fertig. Ein Glück, dass John Lennon das nicht mehr erlebt.


Exzerpt aus dem Artikel
von
Boris Herrmann
Süddeutsche Zeitung, 17. August 2011

Klaus Beyer hat eine wackelige Piepsstimme, die schon beim Reden so klingt, als hätte er Helium geschluckt. Wenn er zu singen beginnt, wird es noch schlimmer. Er ist fundamental unmusikalisch, trifft weder Ton noch Takt. Beyer singt trotzdem. Schönheit ist keine Kategorie, die ihn interessiert.

Als er 1969 in einer Radiosendung des Rias „Here Comes The Sun“ hörte, ist er Fan geworden. Seine Mutter hat die Texte, die er bald vor sich hinpiepste, nicht verstanden, er selbst eigentlich auch nicht. Also machte er sich daran, mit  dem Wörterbuch die Texte Vokabel für Vokabel zu übersetzen. Irgendwann in den 80er Jahren hat Beyer dann beschlossen, alle dreizehn Studioalben der Beatles mit jedem ihrer insgesamt 197 Songs auf Deutsch einzusingen. Nur mal so, für sich selbst und seine Mama. Er begann mit dem Frühwerk „With The Beatles“, nahm „Herr Postbote“ und „Es Wird Nicht Lang“ („It Won’t Be Long“) auf, arbeitete sich über „Gummi Seele“ („Rubber Soul“) und „Klosterstraße“ („Abbey Road“) zu „Bitte Gefall Mir“ („Please, Please Me“) vor.

Und jetzt, im Sommer 2011, ist er fertig. Mit dem weißen Doppelalbum hat Klaus Beyer gerade sein Lebenswerk vollendet.

Er ist eines jener Untergrund-Phänomene, die vermutlich nur im eingemauerten Westberlin entstehen konnten. Im Unterschied zu vielen anderen Westberliner Skurrilitäten hat er den Mauerfall allerdings ganz gut verkraftet. Er wirkt mit seinen bis zum Bauchnabel hochgezogenen Hosen und seinen lila-gestreiften Hemden unfassbar unmodern. Und genau damit scheint er einen Nerv dieser Zeit zu treffen.

Die künstlerische Tragweite Beyers mag überschaubar sein. Seine Interpretationen sind ja nicht nur krumm und schief, sie rumpeln auch von jeglichem Rhythmus befreit vor sich hin. Das liegt an der eigenwilligen Sampling-Methode, mit der er seine Playbacks erstellte. Mit zwei alten Tonbandmaschinen hat er die gesangsfreien Stellen aus den Original-Stücken herausgeschnitten und aneinander geklebt. So gut es eben ging. Man kann von Glück sagen, dass John Lennon Beyers Aufnahmen nie gehört hat.

Und doch geht von diesem kleinen, untersetzten Mann eine hohe Faszination aus, die regelmäßig Konzertsäle füllt. Vor allem, aber längst nicht nur in Berlin. In Wien gibt es einen Beyer-Fanklub. In einem Münchner Plattenladen stehen seine selbst gebastelten CDs zwischen Beck und Björk. Die amerikanische Punkband „Osaka Popstar“, in der Marky Ramone, der ehemalige Ramones-Schlagzeuger, trommelt, hat bei Beyer neulich eine Coverversion in Auftrag gegeben. Pete Best, der erste Beatles-Schlagzeuger, schickte ihm eine Postkarte, auf der steht: „All the Best to Klaus“. Im niederländischen Tilburg findet im September ein dreitägiges „Klaus Beyer Festival“ statt.

Am Montag dieser Woche trag der Analog-Schnipsler Beyer im Rahmen eines Elektro-Festivals in der Berliner Volksbühne auf. Er kam in einer weißen Armeejacke auf die Bühne und startete mit „Hauptmann Peppers Einsamer Herzen Klub“. Den Leuten im Publikum sah man an, dass sie zunächst nicht wussten, ob sie lachen oder heulen sollten. Ein kleines Grüppchen trat alsbald die Flucht ins Freie an, die anderen blieben. Und lachten. In seiner närrischen Verschrobenheit erinnert Beyer dabei manchmal an Helge Schneider. Mit dem Unterschied, dass er weder dessen musikalisches Talent noch dessen intellektuelle Fallhöhe besitzt. Klaus Beyer macht auch keine Späße. Er meint es ernst.

Wenn man sich mit ihm an einem Nachmittag in einer Kreuzberger Kneipe verabredet, um ihn und seine Kunst verstehen zu lernen, dann ist man am Ende erst recht verwirrt. Sein Manager und Freund Frank Behnke hat schon vorab am Telefon erzählt, dass er bei dem Gespräch lieber dabei sein möchte, um die komplizierten Fragen zu beantworten. Beyer beantwortet dann aber  auch die einfachen Fragen nur mit „ja“, „ja, nein“ oder „ja, stimmt.“ Er wirkt schüchtern und unbeholfen, so als sei er niemals erwachsen geworden.

Vielleicht ist das auch schon das ganze Geheimnis seines künstlerischen Schaffens. Beyer lebt seit 1961 in einer Einzimmerwohnung am Kottbusser Tor. Nebenan wohnte seine Mutter. Bis zu ihrem Tod vor vier Jahren hat sich Beyer bei ihr jeden Tag eine Thermoskanne Kaffee und ein paar geschmierte Stullen abgeholt. Vermutlich muss man Dadaist und Muttersöhnchen zugleich sein, um Texte wie diesen dichten zu können: „Bin so einsam, komm bald um. Girl, du kennst den Grund warum.“

Mit seiner Super-8-Kamera hat Beyer auch zahlreiche Beatles-Filme nachgedreht, er hat dafür gelbe Unterseeboote gebastelt, Elefantchen gemalt, Collagen geklebt. Manager Behnke spricht nicht von ungefähr vom „Universum des Klaus Beyer“. Es ist, zugegeben, ein kleines Universum. Im vergangenen Monat hat er sechzehn CDs verkauft. Es war ein guter Monat. Dabei kann Beyer jeden Euro gebrauchen. Er ist gelernter Kerzenzieher, aber die letzte Kerzenfrabrik hat in Berlin schon im vergangenen Jahrhundert zugemacht. 2007 erlitt er einen Schlaganfall. Seither lebt er von der Erwerbsunfähigkeitsrente. Beyers kommerzieller Misserfolg ist gleichwohl ein Teil seiner Erfolgsgeschichte. Seine Kunst ist schließlich eine schamlose Verkettung von Urheberrechtsverletzungen. Behnke sagt: „Wenn wir so erfolgreich wären wie Helge Schneider, säßen wir schon längst im Knast.“

Was macht nun einer, dessen Lebenswerk es ist, Beatles-Alben zu vertonen, wenn er mit allen Alben durch ist? Die Rolling Stones wären natürlich naheliegend. Aber Beyer sagt, die seien nie so sein Stil gewesen. Er will sich jetzt erst einmal um die Soloplatten von John Lennon kümmern.

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