Freddy Quinn
80 Jahre Heimweh

ohne Nationalstolz

von eye
Süddeutsche Zeitung, 27. 09. 2011
Exzerpt von
Karlheinz

Nationalstolz, der Ausdruck leidenschaftlicher Begeisterung, einer bestimmten Nation anzugehören, hat noch selten zu den edleren Äußerungen in der Menschheitsgeschichte gehört.  Auch nicht in den USA, die sich seit der Beteiligung am Zweiten Weltkrieg, unzählige Male und  stets unter dem Vorwand der Verteidigung der „Freiheit“ mit kriegerischen Mitteln Rohstoffe und damit wirtschaftliche Vormacht gesichert haben.

Welcher vernunftbegabte Mensch könnte auf so eine Nation stolz sein - selbst wenn er ihr angehört? Seit der Überwindung der Kleinstaaterei hat Nationalstolz ohnehin keinen errklärbaren Wert mehr.

Dass in einem Deutschland, dessen “Tausendjähriges Reich“ die Weltgemeinschaft Gott-sei-Dank nach 12 Jahren beenden konnte, nicht gleich wieder mehrheitsfähiger Nationalstolz angesagt war, gehört sicher nicht zu den übelsten Regungen der Menschen in diesem Land. So kurz nachdem deutsche Soldaten die Nachbarvölker überfallen und, noch viel entsetzlicher, deutsche Menschen fast die ganze Jüdische Religionsgemeinschaft systematisch vergast und verbrannt hatten, war abgrundtiefe Nationalscham die einzige Gefühlsäußerung , die zur Hoffnung berechtigte, dass das  deutsche Volk jemals wieder in die Gemeinschaft der Völker aufgenommen werden könnte.

… Weil Heimweh die kleine, melancholische Schwester des Nationalstolzes ist, erzählt der Aufstieg Freddy Quinns zum wichtigsten Interpreten deutscher Seemannslieder seit Hans Albers viel mehr über Deutschland als über den Mann, der am 27. September 1931 als Franz Eugen Helmuth Manfred Nidl im niederösterreichischen Niederfladnitz zur Welt kam.

Als der 23-jährige Sänger 1954 auf St. Pauli in der Washington Bar entdeckt wurde, ging es Deutschland zwar wieder gut. Doch hinter dem Wirtschaftswunder lauerte immer noch die tiefe Verstörung über das eigene Land.

Da kamen Lieder wie „Heimweh“, „Die Gitarre und das Meer“, „Unter fremden Sternen“ und „La Paloma“ gerade recht; Geschichten von traurigen Matrosen, die sich die geistige und seelische Heimat zurücksehnten.

Es war sicherlich auch kein Zufall, dass Freddy Quinn genauso wie seine Zeitgenossen Udo Jürgens und Peter Alexander ein Österreicher war. Die können, wenn es darauf ankommt, so viel lässiger deutsch sein als die Einheimischen. So war es auch ganz logisch, dass die Hafenstadt Hamburg den Nordpol der schüchternen Wiederbelebung einer deutschen Heimatliebe bildete.

Ähnlich wie die Alpen im Süden  war die Waterkant nicht ganz so schwer belastet vom Grauen der Geschichte wie München oder Berlin. Sie bot die Chance, als positive Projektionsfläche, die Sehnsüchte als „Heimathafen“  zu bündeln, zu dem man zurückkehren will.

Freddy Quinn hatte außerdem die perfekte Biographie, um der neuen Heimatliebe den Star zu geben. Schon als Teenager war er durch Südeuropa und Nordafrika getrampt, hatte sich als Saxophonist im Zirkus durchgeschlagen und sich in Algerien in einer Kneipe für Fremdenlegionäre als Sänger verdingt.

Trotzdem ist er zurückgekehrt, mit seiner erdigen Stimme, die deutlich an Johnny Cash erinnert, und hatte seinen ersten Hit mit einem Standard von Dean Martin. Wenn er nun also 80 Jahre alt geworden ist, dann werden sie im Fernsehen sicherlich Ausschnitte aus Hitparaden und Musicals zeigen.

In Wahrheit war Freddy Quinn schon immer der Niederösterreicher mit einem verdammt guten Gespür für die deutsche Seele.

Wer allerdings meint, dass dieser Deutschen Seele in der Nachkriegszeit ausgerechnet  Nationalstolz fehlte, der kann nicht ganz bei Trost sein. Selbst heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später,  brauchen wir immer noch keine Häkel-Condome um Rückspiegel und Wimpelchen am Autodach in Schwarz-Rot-Gold.

Heimatliebe dagegen, den sehr persönlichen Bezug zu einer bestimmten Region, den kann es gar nicht genug geben, alldieweil die viel weniger leicht politisch zu missbrauchen ist. Gibt es doch fast so viele verschiedene Heimatlieben wie Menschen.

Selbstbewusste Individuen sind die beste Versicherung gegen verblödete und Massen-verblödende Weltherrscher.

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