Little Richard 80

“A wob bop alu bop,
a wop bam boom!”

Die „Library of Congress“ hält diese Glossolalie zu Beginn des Songs „Tutti Frutti“ von Little Richard für ein „konservierens-wertes Signal einer Zeiten-Wende“.

Der Rolling Stone ernennt die Zeile zum „inspiriertesten aller Rocktexte“.

Nik Cohn meint, darin sei „die Essenz des Rock’n’Roll“ verborgen. Mehr gäbe es darüber nicht zu sagen.

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- Karlheinz erinnert sich an Guufi


Exzerpt eines Artikels von KARL BRUCKMAIER


Richard Penniman, „Little Richard“, geboren in Macon, Georgia (USA), wird heute achtzig Jahre alt.

Der polysexuelle Gospelsänger mit flamboyantem Bühnengehabe, der sich nach dem Blues Musiker Billy Wright stylte - Hosen mit Schlag, knallbunte Jacken, Federboas und teure Schuhe – entwickelte sich zum selbsternannten „Architekten des Rock’n’Roll“, indem er alle Stilmittel des Rhythm’n’Blues und des Gospel zum lauten Akt, zum für Nicht-Eingeweihte sinnfreien Schrei reduzierte: Der Rock’n’Roll-Song als Ejakulation, ein Röhren, Grimassieren, ein Toben und Besessensein, aufgeladen und am Schwingen gehalten mit Elementen der für New Orleans typischen Musik.

Diesem Dauer-Krawall, begleitet von Orgien und einer Schein-Ehe, entsprangen 17 Hits in Folge, in weniger als drei Jahren, darunter „Jenny, Jenny“, „Lucille“, „Good Golly Miss Molly“. Tourneen mit den Beatles und den Stones im Vorprogramm; Jimi Hendrix spielte für ihn Gitarre.

Wie viele der ersten Rock-Reneration konnte Little Richard die Widersprüchlichkeiten zwischen gelebter Freiheit, spirituellen Zwängen, Ablehnung in Familie und Freundeskreis, sexuellem Verlangen und politischen Erwartungen nicht aushalten: Drogen, Großmannssucht, Gewaltexzesse und Rückbesinnung auf die Religion (Theologie-Bachelor 1970) wechselten sich bis in die Achtziger-Jahre ab.

Bis die Generation seiner ersten Fans dem verwirrten Genius den Respekt erwies und ihn noch in deren Gründungsjahr 1986 in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufnahm, Filme über ihn drehte, James Brown bis Paul McCartney Ehrbezeigungen äußerten, und Little Richard mit jedem Jahr seines langen Lebens gelassener, friedvoller, wenn auch nicht weniger selbstverliebt wurde und nun Gottes Lob, Polysexualität und krachender Pop für ihn neben- und miteinander existieren können.

Amen.

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Lieber Mr. Little Richard,

meine Bekanntschaft „mit etwas von Ihnen“ vermittelte – ohne dass ich viele Jahre danach Ihren Künstler- geschweige denn Ihren Geburtsnamen damit verbunden hätte – ein Klassenkamerad der fünften Klasse in der Mittelschule in Bassum (Kreis Syke, Grafschaft Hoya, bei Bremen), den ich nur noch mit seinem Spitznamen „Guufie“ erinnere.

Eines Morgens, im Schuljahr 1956, grölte Guufi in die Klasse: „Tuddi fruddi – hau luddi – ewab babbe lubab, ewab bäm buu! …“. Durch diesen Auftritt zementierte er sein Image als Klassen-Komiker für mich bis zum heutigen Tag.

Was das denn sei: Amerikanische Musik! – blieb bei mir nur hängen als: Die spinnen, die Amerikaner. Da es zuhause kein Radio, geschweige denn einen Plattenspieler gab, blieb es viele Jahre bei diesem bizarren Erinnerungs-Anker.

Als mein Interesse an Musik durch Edith Piaf, Gus Backus, Freddy Quinn, Peter Kraus… die Beatles und Rolling Stones längst geweckt war, erinnerten mich die exzessiven Schreiereien des boomenden Souls Ende der Sechziger an diesen „irren“ Akten-Reiter in meiner Hirn-Ablage.

Eine Aufnahme von „Tutti Frutti“ aus einem Konzert im Jahr 1995, mit Ihnen, 63, an Klavier und Gesang, zeigt auch im digitalen Zeitalter, welcher Schwung das vierzig Jahre früher gewesen sein muss.

Mag man auch bezweifeln, dass es das konservierenswerte Signal einer Zeitenwende(?), der inspirierendste aller Rocktexte(?!), die Essenz des Rock’n’Roll(?!?) ist.

Dankenswert ist sicherlich Ihre Hingabe, mit der Sie sich der künstlerischen Bestimmung Ihres Lebens gestellt haben. Sie haben viele Steine ins Rollen gebracht.

So bin ich froh, dass der Rock’n’Roll mit Ihren drei fruchtbaren = Hit-reichen Schaffensjahren nicht schon sofort wieder zu Ende war. Dass ihn viele Musiker, von Bob Dylan bis Neil Youing im folgenden, mehr als halben Jahrhundert zu dem gemacht haben, was ich heute immer noch über alle Maßen gerne höre.

Hätte es aber ausschließlich mit Ihrer atemlosen Bühnen-Präsenz und hektischen Gesamt-Performance sein müssen, dann wäre ich wohl längst kein Freund des Rock’n’Roll mehr.

Rockmusik ist Gott-sei-Dank nicht nur da, wo Musik reduziert wird zum aufgesetzten Ejakulations-Ritual, zum sinnarmen Schreien, Röhren, Grimassieren, Toben und Besessenheits-Gestik.

Sollte - wie man hört - die Sublimierung von Polysexualität für Sie eine Rolle gespielt haben, dann wünsche ich von ganzem Herzen, dass es gut bekommen sein möge. Unserem Aussen-Minister scheint Ähnliches mit einem Spaß-Mobil und einem Besuch im Jungel-Camp ganz passabel gelungen zu sein.

Ich wünsche Ihnen noch viele gute Jahre.

Karlheinz


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A wob bop alu bop, a wop bam boom!

In seiner Musik ist die Essenz des Rock’n’Roll verborgen, mehr als in dieser Überschrift gib es eigentlich nicht zu sagen.

Trotzdem gratulieren wir Little Richard natürlich zum 80. Geburtstag

Von KARL BRUCKMAIER
Süddeutsche Zeitung, 5. Dezember 2012


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