"'tschuldigung!"

... das wollte ich schon immer mal aufschreiben.
Danke, Ulrich Greiner! Karlheinz


Die Empörung über den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen gipfelt in der Forderung, der Papst solle sich bei den Opfern entschuldigen. Wenn ein Papst um Entschuldigung bitten möchte, dann kann der sich nur an Gott wenden, die einzige Instanz, die für ihn über Vergebung entscheidet. Niemand aber, nicht einmal der Papst, kann sich stellvertretend für eine Untat, die ein anderer begangen hat, entschuldigen oder Reue bekunden. Das konnte auch Bill Clinton nicht, als er meinte, sich für die Verbrechen der europäischen Invasoren an den amerikanischen Ureinwohnern „entschuldigen“ zu können. Das sind rhetorische Gesten politischer Klimapflege, die niemanden etwas kosten. 

Der Täter einer Untat hat im Verhältnis zu einem anderen eine Schuld auf sich geladen, ihm etwas genommen. Die Wiederherstellung des vorigen Zustandes kostet entsprechend etwas! Das ist das Prinzip der Entschuldigung, die nicht umsonst etwas mit Entschuldung zu tun hat. Deren Kosten kann man ausrechnen, und man sollte den Gedanken nicht verachten, denn er bildet einen der Pfeiler des Zivilrechts. 

Unberührt von dieser materiellen Seite einer Untat verlangt ihre moralische Seite, dass sich der Täter zu seiner Tat bekenne, sie bereue und das Opfer um Verzeihung bitte. Damit ist die Untat nicht ungeschehen gemacht, aber das moralische Gleichgewicht insofern wiederhergestellt, als der bei seinem Übergriff Überlegene nunmehr der Unterlegene ist – abhängig von der Reaktion des Opfers. Man sollte in solchen Dingen genau sein, etwa in jener dreisten Alltagsgeste, mit der das junge Ding die alte Dame vom Fahrkartenschalter wegdrängt und „’tschuldigung!“ murmelt. „Ich bitte um Verzeihung!“ wäre das Mindeste, wenn man jemandem Unrecht zugefügt hat. 

Angenommen den gänzlich unwahrscheinlichen Fall, die Türkei könnte sich dazu durchringen, die Ausmerzung von etwa 800 000 (oder mehr) Armeniern vor ziemlich genau 95 Jahren als das anzuerkennen, was es war, nämlich Völkermord (bei dem einige deutsche Militärs mitgewirkt haben), dann wäre das keine „Entschuldigung“ der Türkei. Es wäre allenfalls die Anerkennung dieser Taten ihrer Vorväter als ein Unrecht, für das sie die Nachkommen der Überlebenden um Verzeihung bitten könnten. Auch das würde die Toten nicht auferwecken, aber es würde moralische Maßstäbe wiederherstellen.

Institutionen oder Kollektive sind nicht schuldfähig, sondern nur Individuen, also ihre Vertreter. Sie haben nicht aufgepasst. Man muss von ihnen verlangen, dass sie das Ausmaß der Vergehen nach Kräften offen legen. Niemand, kein Täter und Mitschuldiger kann sich selber entschuldigen. Von ihnen ist zu verlangen, dass sie ihre Opfer um Verzeihung bitten. Gerade das unweigerlich Demütigende daran ist moralisch notwendig. Mit einem - auch noch arrogant über die Schulter dahingerotzten - „’tschuldigung!“ ist es nicht getan. Ohne Demut geht es nicht.

Exzerpt von Karlheinz


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"'tschuldigung!"
ULRICH GREINER
DIE ZEIT
18. März 2010


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