40 Jahre Embryo

Von Jonathan Fischer

Exzerpt von Karlheinz 

„Wer Erfolg hat, ist out! Mit diesem Satz bin ich aufgewachsen“, sagt Christian Burchard, 64, und beugt sich im Innenhof der Giesinger Plattenfirma Trikont über die Jubiläums-Anthologie seiner Band: „40 Jahre Embryo“.

Embryo ist sowohl das bedeutendste Musikerkollektiv, das München je hervorgebracht hat, als auch ein aus der Zeit gefallenes Gegenmodell zu den sozialen, kommerziellen, sexuellen Erfolgsversprechungen des Pop. Im heimischen München als „Gammler“ beschimpft, lobte sie Miles Davis als „crazy creative musicians“ und wurden sie in Übersee als Krautrock-Götter verehrt. Lange vor Peter Gabriel und Paul Simon erfanden die selbstvergessenen Soundtüftler eine Form von Weltmusik, die auf Gleichberechtigung statt auf Ideenklau beruhte. Ihr Stellenwert in der Popgeschichte steht dem der gefeierten Rock-Avantgardisten von Can aus Köln nicht nach.

Gerade der gelebte Anachronismus einer vielleicht verschroben wirkenden Anti-Star-Pose dieses Kollektivs verschafft ihm Respekt. Der alte Beatnik-Spruch: „Alles ist immer noch zu wenig!“ drückt aus, was Embryo wollten: „Mit anderen Musikgalaxien, fremden tonalen Systemen in Berührung kommen“. Selbst der Begriff „Avantgarde“ erschien ihnen noch zu spießig. Christian Burchard: „Wir revoltierten gegen den ganzen gesellschaftlichen Mief, diese in die 60er Jahre hinein überlebenden Nazi-Einstellungen“.

Gemeinsam mit seinem Freund Dieter Serfas nahm er Kontakte auf zu amerikanischen Jazz- und Soulmusikern, wie auch zu deutschen Gesinnungsgenossen von Amon Düül bis Tangerine Dream. Aus deren Umfeld rekrutierte er 1969 die erste Embryo-Formation. Im geistigen und politischen Klima der späten 60er Jahre, in dem selbst in München ein paar Jahre lang ein Untergrund aufblühte, ging man in Langhans- und Obermeier-Kommunen ein und aus, wohnte in der Münchner Au über späteren RAF-Mitgliedern und spielte im „Paranoia-Center“ des Amon-Düül-Kollektivs in der Ungererstraße.

Ein Ten-Years-After-Gitarrist wurde rekrutiert, weil er das Verstärker-Feedback beherrschte, archaische Synthesizer erprobt, Labors der frühen deutschen Elektronikbastler frequentiert und zusammen mit Ton Steine Scherben und dem Trikont-Verlag ein eigener Vertrieb gegründet: Schneeball. Wie Gateful Dead in Kalifornien verkörperten Embryo in Deutschland einen gelebten Gegenentwurf zum Establishment.

Jenseits des europäischen Kulturkreises entdeckten sie mikrotonale Klangwelten, japanische Flöten, Sitars, tibetische Schalmeien und nigerianische Trommeln für ihre Musik und waren gleichzeitig Station für über 400 Musiker.

Dass heute Sample-“Künstler“ aller Art die bisher 30 Alben der Münchner ausbeuten, beeindruckt Burchard nicht. Er genießt die Anonymität und sieht sich wie seine langjährigen Mitstreiter, Roman Bunka oder Chris Karrer, als Werkzeug im Dienste einer größeren Musikschöpfungsmaschine. Der Plan des Hip-Hop-DJs Madlib, mit Embryo auf Tournee zu gehen, könnte denn auch daran scheitern, dass der vorher mit ihnen proben möchte: „Wir haben eigentlich nie so gearbeitet: Unsere Proben sind die Auftritte“.

Zur Internetseite von Embryo

Im "Schwere Reiter" in München treten Embryo am 23. April 2010 auf.


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Die Pioniere
Das Münchner Rock-Kollektiv „Embryo“ sucht seit 40 Jahren nach Klangwelten
von Jonathan Fischer
Süddeutsche Zeitung, 2010-04-22


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