50 Jahre Beach Boys Tour

Für drei Stunden sperren sie das Paradies auf und verbessern die Wirklichkeit, die es dringend nötig hat.

Exzerpt eines Artikels von WILLI WINKLER


Vor dem Konzert: Nervosität, gemischt mit sagenhafter Professionalität.

Mike Love fasst die Bedeutung der „Beach Boys“ für die Weltgeschichte in ein einmaliges Bild: Wie sie Anfang 1969, acht Monate nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts, auf dem Flughafen in Prag einschwebten, links die russischen Panzer, rechts die russischen MiGs, wie sie selber dann voller Angst erlebten, mit welcher Begeisterung die Tschechen, unter ihnen der abgesetzte Alexander Dubcek, die Musik der Beach Boys begrüßten, die frohsinnigen Lieder, die von Mädchen, Wellen und Autos: „Ohne doch ein Wort davon zu verstehen!“

Vor ein paar Wochen ist Brian Wilson, Urmitglied der Beach Boys und ihr größter Held, siebzig Jahre geworden. Die Band hat ihn schon 1966 verlassen, weil sie in seiner neutönenden Genialität ein wachsendes Verkaufshindernis sah. Er versank in Depressionen, verfiel einer Reihe von Drogen und Psychiatern und nutzte zu seinem Nachteil jedes kurrente Erlösungsangebot.

Nach Jahrzehnten haben sich die Beach Boys jetzt zu einer Jubiläums-Tour wieder zusammengefunden. Aber wem „gehören“ sie denn eigentlich? Dem Finstermann Mike Love, der die anderen beschimpft und verklagt, oder dem Genie Brian Wilson, der sich schon vor 45 Jahren weigerte,.Musik für Musikmaschinen zu machen, wie sein Vater es ihm befahl? Dem Wahnsinnigen, der nur noch auf die Melodien hören wollte, die sich in seinem Kopf abspielten, oder dem Gewiefteren, dem es auf die Band, die Marke, die Propagierung des kalifornischen Sounds ankam?

Die Antwort ist ganz einfach: Die beiden gehören zusammen. 50 Jahre ist es jetzt her, dass sich die drei Wilson-Brüder mit ihrem Cousin Mike Love und einem Schulfreund zusammenfanden. Dennis und Carl Wilson sind gestorben. Al Jardine ist noch von der Urbesetzung dabei, dazu Bruce Johnston, der für Brian einsprang.

„That’s Why God Made The Radio“ ist das Titelstück ihrer neuen Platte, auf die die Welt nicht unbedingt gewartet hat. Aber darin heißt es, dass Gott uns den Rock’n’Roll gab, „the souundtrack of falling in love“. Natürlich kommt er aus dem Radio im Auto, das langsam, wie auf einer Heimwehreise die Küste entlanggleitet und der Blick über den Strand, die Mädchen im Bikini und die schäumenden Wellen, die sich draußen aufbauen.

Wie sollen vier betagte Herren in geräumigen Hemden mit Florida-Anmutung von einem Lebensgefühl singen, das es vielleicht gab, als der jetzige amerikanische Präsident auf die Welt kam. Wie sollen sie noch einmal das A-capella-Schmelz hinkriegen, mit dem die Beach Boys einst sogar die Beatles übertrafen?

Es stimmt: Das einmalige Melos, das ihnen Murry Wilson einbläute, bringen sie längst nicht mehr. Jedes Comeback leidet unter der unvermeidlichen Neigung zu vergleichen. Und können die Alten überhaupt noch die Minnesänger der keimfreien Teenager-Liebe geben aus der Zeit, als es weder Aids noch Osama bin Laden und schon gar nicht den allesverschlingenden i-Pod gab?

Aber es ist ganz einfach: Jeffrey Foskett ist für die Falsetttöne eingesprungen und Brian Wilson ist wieder dabei. Er spielt zwar nicht, für ihn tun das aber die Wondermints, die besten Fans, die sich eine Band wünschen kann. Vor Jahren fanden sie zu Brian Wilson, gaben ihm Mut und Ausdauer für sein Comeback, für die Auferstehung des verderbten Albums „Smile“.

Sie sind bei Stimme, bewährte Artisten und Studiomusiker und hinterfangen mit ihrem machtvollen Sound die Band, die selbst zu ihren besten Zeiten auf der Bühne nie so gut gewesen sein kann.

Die Beach Boys haben vor den Siebentausend in der O-2-World-Halle mit einem Medley ihrer alten Hits angefangen, ein Rechenschaftsbericht, ein Geschwindmarsch durch ihre Musikgeschichte. Al Jardine singt „Then I Kissed Her“ (Phil Spectors Lied für die Crystals). Gemeinsam intonieren sie „California Dreaming“ von den Mamas And Papas und „Rock’n’Roll Music“ von Chuck Berry, gefolgt von „Surfin‘ USA“, das schamlos von Berrys „Sweet Little Sixteen“ abgepaust ist. Sie spielen die „Cotton Fields“ von Creedence Clearwater Revival, als wär’s ihre eigene Kreation.

Ein Songkatalog, großzügig erweitert zu einem gesamtkalifornischen Traum, in dem pausenlos die Sonne scheint und die Mädchen Dich bewundern. Sie führen ihre ganze, kaum verblühte Kunst vor, wie sie doowoppen, und, als sie sich um den alten Meister scharen, da geschieht das Wunder: Der in sich zurückgezogene Brian Wilson erwacht und singt nicht bloß mit bei „California Dreaming“, er ergreift Besitz von seinen Liedern, schreit „Sloop John B“ heraus – seins -, jubelt mit bei „Wouldn’t It Be Nice“, - seins – seins – seins, und führt jauchzend die ekstatische Halle an, als es endlich seine „Good Vibrations“ gibt.

Niemand wird mehr daran zweifeln, dass Musik heilt, jedenfalls wenn sie so engelsrein klingt wie hier.

Mike Love hat die Beach Boys einmal fast mit Werbetextern verglichen, die wie in der Reklame eine Art „nachgebesserter Realität“ zeigen. Was bitte sollte denn falsch sein am ewigen kalifornischen Sommer? Nichts natürlich. Millionen haben schließlich die Reise der Eltern der Beach Boys wiederholt, die in den Jahren der Wirtschaftskrise den Mittleren Westen verließen und ins gelobte Land am Pazifik zogen.

Dass die Kinder mit ihren Hymnen auf die neue Heimat reich wurden, ist das nicht der schönste Beweis für das Wirken Gottes? Ja, und das ist der Grund, warum Gott die Beach Boys gemacht hat:

Sie verbessern die Wirklichkeit, die es dringend nötig hat.

In Berlin haben sie mit ihrer Musik gegen jede Wahrscheinlichkeit die Illusion erzeugt, es gebe ein weltumspannendes Kalifornien. Leider währte das Glück nur drei Stunden. Draußen war nachher doch wieder nur Berlin.

Die Engel sind weg, nach Japan, Australien und Ende September sind die Beach Boys in London und sperren dort noch einmal für drei Stunden das Paradies auf.


Wer den ganzen Artikel lesen möchte, gehe zu:

Deshalb hat Gott das Radio gemacht
Die „Beach Boys“ geben in Berlin ein sensationelles Juiläums-Konzert – auch der alte Brian Wilson ist dabei

Von WILLI WINKLER
Süddeutsche Zeitung, 6. August 2012