Bob Dylan: „Triplicate“

Jens-Christian Rabe:
Bemühtes vernuscheltes Geraunze


Exzerpt des Artikels:
Kühl und klarsichtig
Auf seinem neuen Album singt Bob Dylan weiter den frühen Pop, mit dem Frank Sinatra groß wurde

VON JENS-CHRISTIAN RABE
Süddeutsche Zeitung, 31. März 2017

Leserbrief


Vorwort:
Das Nobelpreis Komitee braucht den Preis für Dylan offensichtlich dringender als Dylan den Preis.

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Bob Dylans neues Werk "Triplicate" (Sony, erhältlich ab Freitag, 31. März 2017) besteht aus drei Teilen mit je zehn Songs und ist damit - die Dylanologen drehen schon durch vor Glück - das erste dreiteilige Dylan-Album aller Zeiten. Die Songs stammen, wie schon auf den beiden Vorgängern "Shadows In The Night" (2015) und "Fallen Angels" (2016), allesamt aus dem "Great American Songbook".

Dylan ist also weiterhin nicht mehr im Folk und Rock, sondern im ungleich „raffinierter polierten“ Swing, der amerikanischen Unterhaltungsmusik der Dreißiger- bis Sechzigerjahre unterwegs. Es ist die Musik, deren Stars Irving Berlin hießen, Duke Ellington, George Gershwin, Rodgers & Hammerstein und natürlich Frank Sinatra, und die in US-Amerika der Pop vor dem Rock'n'Roll war.

Tja, und wie klingt das, wenn sich Dylan diese Songs vornimmt? Die Musik spielt Dylans Tourband stilecht, also gekonnt gefühlvoll, fügt hier und da ein wenig zart jaulende Pedal-Steel-Klänge hinzu und steuert manch feine Bläser bei.

Die Stimme und Gesangskunst des späten Dylan, die sehr reife, also nicht allzu stabile und meist eher krächzende als singende Stimme und ihre Wirkung auf die Songs muss man allerdings schon sehr lieben, um die Sache genießen zu können. Und auch jetzt, beim ersten gesungenen Wort "I" von "I Guess I'll Have to Change My Plans", hängt sie unausweichlich windschief in der Musik herum. Eine hörbar überforderte brüchige Stimme umtänzelt dieses "I" schon eher, als dass sie es trifft.  Wobei tänzeln, genau genommen, viel zu konziliant formuliert ist. Es ist eher ein Taumeln um die Melodie. Und zu hören ist dann dieses wacklig-kopfstimmige Geräusch, das stimmschwache ältere Herren machen, wenn ihnen ein kleiner unerwarteter Schmerz in die Glieder fährt, aaahhhh. Nach hinten heraus knarzt es dann gewaltig. Oje. Und so geht es auch weiter, durchaus bemüht, aber letztlich wird doch eher vernuschelt geraunzt als gesungen. Rrgr.

Deutlich leichter tut sich Dylan, wenn der Gesang stärker im Konversationston zu halten ist. Zwischen einer der Sinatra-Interpretationen der Songs und Dylans Versuchen liegen am Ende aber dennoch ein paar Welten zu viel.

Nachwort:
Umgekehrt lassen sich Dylan-Songs durch fast nichts so zielsicher ruinieren wie eine zu gute Stimme*).

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Damit ist man bei der Frage, was Bob Dylan bei diesem Projekt eigentlich antreibt, sich Musik vorzunehmen, die ihn über weite Strecken gesanglich unüberhörbar völlig überfordert? In einem Interview auf seiner Internetseite gibt er die Antwort: „Triplicate“ soll ein Wegweiser sein ins Great American Songbook und ein Beitrag dafür, dass es nicht vergessen wird. Jens-Christian Rabes äußerst respektvoller Rat: Den Wegweiser annehmen. Dann aber lieber auf YouTube anhören, wie Frank Sinatra die Songs gesungen hat.

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*) Was auch immer Herr Rabe unter einer "guten Stimme" versteht, diese Aussage zur Einschätzung der künstlerischen Leistung von Bob Dylan klingt ja ausnahmsweise mal nicht nach boshaft bzw. debil alternativer Realität. Grundsätzlich ist eine "ausgebildete Stimme" kein entscheidendes, schon lange kein alleiniges Kriterium für ein "gutes Lied". Die Hitparaden wären durch Opern-Arien-Gejodel verstopft.

Karlheinz

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Leserbrief zu:

Kühl und klarsichtig
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Süddeutsche Zeitung, 31. März 2017

von
Karlheinz Damerow
Vor dem Tor 4
35759 Driedorf-Heisterberg

Wer meint, wenigstens ein „gutes“ Haar an ganz besonders schlimmen Fingern der Zeitgeschichte, etwa Goebbels oder Strauß, lassen zu müssen, der kommt „am Ende des Tages“ regelmäßig mit dem Spruch: „Aber intelligent waren sie!“. Wer das analog mit Jelena Petrowna Fischer oder den Gewinnern prekärer Castingshows in der jüngeren Musikgeschichte machen möchte, der kennt den Einwurf: „Aber eine tolle Stimme haben sie doch!“.

Heute hat Ihr Redakteur Rabe den umgekehrten Schluss gewagt: Bob Dylan kann nicht (mehr) singen, also ist seine Kunst, besonders seine neue Platte, totaler Mist. Und das Nobelpreis Komitee müsse sich überhaupt fragen lassen, ob es noch ganz bei Trost ist, ausgerechnet ihn (und nicht einen intelligenten, klugen Rapper) geehrt zu haben. Ich glaube, dass Ihr Herr Rabe ganz tolle Rezensionen über Themen schreiben kann, für die er ein Herz hat. Alles andere sollte man ihn – zu wiederholten Malen und besonders unter dem Prädikat Qualitätsjournalismus – bleiben lassen.

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