Literaturnobelpreis
für Bob Dylan

13.10.2016


- The song and dance man

- Held, Dichter, Leitfossil

- Rufen Sie später wieder an

- Mehr Licht, mehr Schweigen

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Stockholm
10.12.2016


- Eine Göttin rettet die Kunsti

- "A Hard Rain's A-Gonna Fall" - Textne

- Ich musste augenblicklich weinen

Patti Smith: "How does it feel"


Der letzte Nachfolger Homers wird auch das überleben

Seine Songs wurden zu Hymnen einer Jugend, die gegen die Gewissheiten der Alten aufbegehrte. Sie haben ihm, so befand jetzt die Stockholmer Preisjury, „den Status einer Ikone“ verschafft. Doch genau das wollte er eigentlich nie sein.

Wer also ist Robert Allen Zimmerman aus Duluth, Minnesota?

Dylans Werk erstreckt sich über mehr als ein halbes Jahrhundert, und es kennt eigentlich nur eine Konstante: Die fehlende Konstanz, eine chronische Unzuverlässigkeit, ein Bedürfnis, sich immer wieder neu zu erfinden.

VON WILLI WINKLER
Süddeutsche Zeitung
Seite 2
THEMA DES TAGES
Freitag, 14. Oktober


Fast am Ende der Welt, ganz oben im eiskalten Norden der USA, in Duluth, Minnesota, wurde Robert Allen Zimmerman 1941 als Nachfahre von verfolgten, aus Odessa eingewanderten Juden geboren. In der Legende, die er sich bald erfand, ist er immer wieder von daheim fortgelaufen, hat sich angeblich bei Roma herumgetrieben und als Wanderarbeiter durchgeschlagen. Aber sicher ist nur, dass er Musiker werden wollte, ein Performer wie Elvis Presley, ein Sänger wie Woody Guthrie. Mit zwanzig gelang ihm endlich der Ausbruch, er musste nach New York. Dort kniete er nicht nur zu Füßen des sterbenskranken Woody Guthrie, er lebte auch unter politischen Aktivisten, Opfern der Kommunistenjagd des Senators Joseph McCarthy und Musikern, die mit Pete Seeger die reaktionäre Folk-Musik politisieren wollten. Und er fand Suze Rotolo, die Frau, die ihn mit den Songs und Gedichten von Bert Brecht bekannt machte, vorgetragen mit der rauchigen Stimme von Lotte Lenya. „Wie ein Schwamm“, sagen seine Freunde, habe er alles aufgesaugt, nicht nur Literatur, sondern Musik – und das Gefühl, die Welt stehe am Abgrund.

Nach der Wandlung zum Christen entsetzte er seine Zuhörer mit Predigten von der Erlösung

Es war die Zeit der atomaren Hochrüstung, der Kubakrise, als jeden Tag der Weltuntergang drohte. In den Südstaaten wehrten sich die Alten gegen die Aufhebung der Rassentrennung, in Dallas wurde die junge Hoffnung, wurde John F. Kennedy ermordet. Dylan lieferte in seinen Liedern, die er mit ungeheurer Energie heraushaute und vortrug, eine Chronik der laufenden Ereignisse, aber er wollte mehr, vor allem nicht das, was von ihm erwartet wurde. „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen“, hatte Brecht, der Meister aus Augsburg, einst gedichtet. Und bei Dylan wurde daraus: „It ain’t me, babe.“

Denn wenn es eine Konstante im umfangreichen Werk Dylans gibt, dann seine fehlende Konstanz, seine chronische Unzuverlässigkeit, sein Bedürfnis, sich immer wieder zu verändern. Innerhalb weniger Monate brachte es der aus dem Nordwesten hereingeschneite Jüngling zum Troubadour der Kulturrevolution, die er im Westen mit anzuzetteln half. Sein schlichter Song „Blowin‘ In The Wind“, von Peter, Paul & Mary bekannt gemacht und dutzendfach nachgesungen, darunter auf Deutsch von Marlene Dietrich, wurde von 1963 an die Hymne einer friedenssehnsüchtigen Generation. Mit seiner Freundin Joan Baez engagierte er sich in der Bürgerrechtsbewegung und war dabei, als Martin Luther King 1964 beim Marsch auf Washington schwärmte und hoffte: „I have a dream.“

Schon da hätte er sich als Protestsänger quasi zur Ruhe setzen können, wie ein Leitartikler, der immer mit einem Kommentar zum neuesten Skandal bereitsteht. Doch unter dem Einfluss der Beatles, denen er wiederum das Songschreiben beibrachte, elektrifizierte Dylan seine Songs. Weil er die (US)amerikanische Politik in „Maggie’s Farm“ auf einmal in Begleitung einer Rockband anklagte, drohten ihn beim Newport Festival seine bisher so ergebenen Fans zu verlassen. Er machte verbissen weiter, und zwischen Tourneen, die ihn auch in Europa zum Helden einer erwachenden Gegenkultur werden ließen, haute er Album um Album heraus, entstanden, wie er freimütig zugab, mit Unterstützung nicht hundertprozentig legaler Substanzen.

Erlösung von diesem ungeheuren Druck brachte erst 1966 ein kleiner Motorrad-Unfall, der in der Dylan-Legende bald mythische Dimensionen annahm. Der Sänger brach seine Tournee ab, zeugte in rascher Folge Kinder, zog sich aufs Land zurück und wollte nichts mehr wissen von dem, was hauptsächlich er angestiftet hatte. Die großen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg fanden ebenso ohne ihn statt, wie es das Musikfestival tat, das in Woodstock veranstaltet wurde, nur wenige Kilometer von seinem Haus entfernt. Für Jahre verschwand er in der Versenkung, traf sich aber heimlich mit den Musikern der Band, um tief in der amerikanischen Folktradition zu schürfen, ehrwürdige Balladen zu sichten und neu aufzunehmen. Als für 1974 plötzlich wieder eine Tournee angekündigt wurde und Bob Dylan tatsächlich leibhaftig auf der Bühne stand, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Zu dieser Zeit hatte Richard Nixon durch den Einbruch im Watergate-Gebäude nicht nur das Amt des US-Präsidenten, sondern die ganze Nation entehrt, und der Beifall brauste jedes Mal auf, wenn Dylan ihm mit der Zeile heimleuchtete: „Manchmal ist auch der (US)amerikanische Präsident nackt.“

Dylan erstand wieder als fahrender Sänger, als song and dance man, sammelte seine Freunde um sich, harmonierte mit dem Beat-Dichter Allen Ginsberg, besuchte mit ihm das Grab seines Idols Jack Kerouac und leierte dabei so stark aus, dass seine nächste Verwandlung fällig wurde: Dylan wurde als Christ wiedergeboren und entsetzte seine Zuhörer mit Predigten von Erlösung und Reinheit. War er verrückt geworden?

Ein Boxer, der angeblich zu Unrecht in Haft saß, seine Scheidung – alles breitete er aus

Das nicht, aber er war ein anderer, und wieder einmal war kein Verlass auf ihn. Denn nach C.G. Jung und Jesus, nach Elvis Presley und Woody Guthrie, fand er als nächstes zu einem fundamentalistischen Judentum. Nach den Worten seines deutschen Konzertveranstalters Fritz Rau bedeutete ihm bei seiner ersten Deutschlandtournee 1978 am meisten der Auftritt auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Er, der jüdische Sänger, hatte Adolf Hitler überlebt.

In der Zwischenzeit hatte er auch eine desaströse Scheidung überleben müssen, die Trennung von seiner ersten Frau Sara Lowndes. Auch daran konnten seine Fans teilhaben. Sein Sohn Jacob beklagte sich einmal, dass jeder, der sich das Album „Blood On The Tracks“ kaufte, Zeuge der Eheprobleme seiner Eltern werden konnte. Trotzdem oder auch deswegen ist es wahrscheinlich seine erste Platte geworden, wieder voller Anspielungen auf die literarische Tradition von Kerouac bis zurück zu Arthur Rimbaud. Als Dylan sich für den Boxer Rubin Carter engagierte, von dem er glaubte, er sei zu Unrecht wegen Mordes verurteilt, erlebte er mit seinem Kampflied „Hurricane“ den bis dahin größten Erfolg in den Hitparaden.

Und wieder verstörte er seine Fans. Eine Kreativitätskrise nutzte Dylan, um zusammen mit George Harrison, Roy Orbison, Tom Petty und Jeff Lynne eine ganz neue Band zu gründen, die „Traveling Wilburrys“. Die bediente er aber nur, wenn er sich nicht gerade selber auf Tournee befand, auf der „Never Ending Tour“, wie sie bald genannt wurde. Sieben Jahre lang veröffentlichte er keine eigenen Songs mehr. In seiner Autobiografie bezeichnete er sich später als ausgebrannt und erledigt; er könne nicht mehr die Lieder schreiben, mit denen er einst berühmt und zur „Stimme seiner Generation“ geworden war. Er hasste die Reklame-Bezeichnung, und doch wird sie bei jedem seiner Konzerte von einem Ansager aufs Neue verkündet.

Man hatte ihn schon abgeschrieben, da kam 1997 „Time Out Of Mind“ heraus

Als ihn alle Welt bereits abgeschrieben hatte, kam 1997 „Time Out Of Mind“ heraus, das Werk eines weltweisen Mannes, der alles gesehen und erlebt hat und dazu noch in der Lage ist, davon zu erzählen. Zuvor hatte er eine lebensbedrohende Herzbeutelentzündung und eine weitere Scheidung überstanden. Passend dazu wurde er auf den Eucharistischen Weltkongress eingeladen und trat in Bologna vor Papst Johannes Paul II. auf, dem er „Knockin‘ On Heaven’s Door“ vorsang, das Lied, das er für Sam Peckinpahs Western „Pat Garrett And Billy The Kid“ geschrieben hatte, in dem er eine rätselhafte stumme Nebenrolle spielt.

Diese neue Platte markierte den Beginn einer großen Serie, ein Alterswerk, wie es sonst keinem Pop- oder Rockmusiker vergönnt war und ist. Im Jahr 2001 wurde ihm für ein eher beiläufiges Stück sogar der Oscar zuerkannt. Wie es Dylan zukam, erschien er erst gar nicht zur Verleihung, sondern grüßte über Satellit von seiner Tournee. Das gesamte versammelte Hollywood erhob sich vor diesem unerreichbaren Abbild auf der Leinwand und applaudierte minutenlang im Stehen einem der größten Musiker, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.

In seinen Memoiren „Chronicles“, 2004 erschienen, behauptet der Sänger, dass er als Jugendlicher unbedingt in die US-Militärakademie von West Point aufgenommen werden wollte. Tatsächlich war er in der Zwischenzeit auch dort aufgetreten, nicht als Soldat natürlich, sondern als Bob Dylan. Am vergangenen Wochenende allerdings beendete er seinen Auftritt beim Coachella-Festival in Kalifornien mit seinem mehr als fünfzig Jahre alten Lied „Masters Of War“, der größten Anklage gegen das Militär, die er je formuliert hat. „Nichts, gar nichts habt ihr zustande gebracht, nichts außer Zerstörung“, heißt es da.

„Wer überlebt hat, geht querfeldein“, hat der bayrische Dichter Herbert Achternbusch einmal geschrieben. Der song and dance man Bob Dylan, der letzte Nachfolger Homers, wird auch den Literaturnobelpreis überleben. Seine Tournee, wie könnte sie auch, wird niemals enden.

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Don't follow leaders,
watch the parkin' meters

VON KURT KISTER
Süddeutsche Zeitung
Seite 4
MEINUNG
Freitag, 14. Oktober


Nein, er ist nicht Don DeLillo, Philip Roth oder Thomas Pynchon, auch wenn er wie sie in (US)amerikanischem Englisch schreibt. Anders als diese großen Autoren, von denen jeder auch den Nobelpreis verdient hätte, ist Bob Dylan kein Schriftsteller. Aber er ist ein Lyriker von höchsten Graden, ein Dichter, dessen Zeilen und Verse wenn nicht die Welt, so doch das Bewusstsein von Abermillionen Menschen verändert haben. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat es keinen anderen Poeten gegeben, dem es so wie Dylan gelungen wäre, Träume, Hoffnungen, Verzweiflung so vieler Menschen so rätselhaft eindeutig auszudrücken und zu besingen.

Ein würdiger Nobelpreisträger? Ja, allemal, jeden Tag. Er ist der Poet des stetigen Wandels, er hat, manchmal mit introvertierter Rücksichtslosigkeit, seine vielen, zu unterschiedlichen Zeiten sehr unterschiedlichen Gemeinden immer wieder vor den Kopf gestoßen. Er ist nicht in Klischees zu fassen, denn the times they are a-changin'. Glaubt man den Lederjacken-Hobo verehren zu können, wurde er Elektrorocker; Wäre man bereit gewesen, mit ihm Maggie's Farm anzuzünden, wandte er sich Jesus zu. Seit Jahren ist er nun, der Sonnenbrillenschrat, auf niemals endender Tournee. Meint man, er könne nicht mehr singen, bringt er zwei Platten mit Liedern von Frank Sinatra heraus. Bob Dylan ist Held, Dichter und Leitfossil von zwei Generationen, deren ältere Angehörige schon seit mindestens 20 Jahren für immer jung bleiben wollen. Forever young, das ist Dylans Versprechen und Vermächtnis, es ist ganz sicher mindestens einen Nobelpreis wert.

Ein später Sieg für die 68er, ein Signal gegen neue Führer

Der Preis ist auch so etwas wie ein zu später Sieg jener, die sich gegen Autoritäten und Autoritäres auflehnten, die in den USA gegen Vietnamkrieg und Rassentrennung marschierten und die in Deutschland sich nicht mit dem Schweigen darüber abfinden wollten, dass die deutsche Kulturnation Millionen abgeschlachtet hatte. Dylan war der Dichter und der Barde der 68er, auch wenn er dies nicht sein wollte und es auch nur eine Facette seines öffentlichen Lebens ist. Er war nie "Protestsänger", aber seine Verse, seine Songs trugen entscheidend dazu bei, dass aus der Attitüde des Protests ein Lebensgefühl wurde, das bei vielen der damals 24-Jährigen anhält, mindestens aber nachhallt, auch wenn "Masters Of War" mehr als 50 Jahre her ist.

Natürlich ist die Entscheidung der Nobelpreisjury mehr als nur die Würdigung des großen Lyrikers Bob Dylan. Sie ist, wieder einmal, ein Appell. Wenn sich eine Grundhaltung durch Dylans Schaffen zieht, dann ist sie in dieser Zeile aus seinem "Subterranean Homesick Blues" gefangen: Don't follow leaders, watch die parkin' meters - folge keinen Führern, pass auf, was die Parkuhren bedeuten. In einer Zeit, in der sich nicht nur viele (US)Amerikaner wieder hohl dröhnenden starken Männern zuwenden, in denen der Autoritarismus mit seinen Kontrollinstrumenten (Zäunen, Überwachung, Parkuhren eben) wieder modern wird - in so einer Zeit ist es gut, Bob Dylan, dem Individualisten der Individualisten, den Nobelpreis zu verleihen.

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Kein Anschluss unter dieser Nummer!

Die Schwedische Nobelpreis-Akademie hat den Versuch aufgegeben, den Literaturpreisträger Bob Dylan ans Telefon zu bekommen. In einer Zeit des pausenlosen globalen Gequassels ist Unerreichbarkeit für die Anhänger dieser neuen Kommunikations-Religion ein Affront. Warum eigentlich?

Exzerpt des Artikels:
VON MARTIN ZIPS
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
PANORAMA
Mittwoch, 19. Oktober 2016


In Zeiten, in denen viele Menschen – vor allem die Hersteller und unverschämten Profiteure von Geräten, die dies möglich machen - meinen, jeder müsse jederzeit erreichbar sein, gilt das Unerreichbarsein nicht selten als Affront, als herausfordernde Beleidigung. Antwortet jemand nicht sofort auf etwas oder ruft zurück, wird schnell spekuliert oder unterstellt, der Mensch könne arrogant, frech oder gar unverschämt sein. Er könne womöglich unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden oder ein leicht durchgeknallter (= nicht den Normen (m)einer gesellschaftlichen Teilgruppe folgender) Anhänger des Hesychasmus sein, einer spirituellen Bewegung der Ruhe. Und die Reaktionen fallen umso heftiger aus, wenn es sich bei dem Abgetauchten um ein – von einigen anerkannt - „verdientes“ Mitglied der Gesellschaft handelt, das man doch nur mit einer kleinen Auszeichnung (= Aneignung seiner Leistung durch eben diese Masse) beglücken möchte.

Die Schwedische Akademie hat gerade den Versuch aufgegeben, den Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan an den Telefonhörer zu bekommen. Fünf Tage nach seiner Verkündung als diesjähriger Preisträger habe die Jury den US-Sänger immer noch nicht persönlich erreicht, erklärte ein Sprecher und bemühte sich um hesychastische Gelassenheit: „Wir machen kein Aufhebens darum. Wir haben seinen Agenten und den Tourmanager erreicht, und sie werden uns zu gegebener Zeit zurückrufen.“

Doch bei Bob Dylan persönlich wählt man sich bis heue die Finger wund. Immerhin ist davon auszugehen, dass Dylan schon mitbekommen haben dürfte, dass man ihm da ‘was verleihen will. Schließlich wurde ihm die Einladung zur Feier im Stockholmer Rathaus am 10. Dezember zusätzlich per Brief zugestellt.

Die „moderne“ Gesellschaft tendiert dazu, Leute, die partout keine Auszeichnungen entgegennehmen wollen, für undankbar, wenn nicht gar dreist zu halten, obgleich deren Kauzigkeit einen auch beeindruckt. Weil es sich hier um Typen handelt, die der öffentlichen Anerkennung zu ihrem persönlichen Wohl anscheinend gar nicht bedürfen.

Was ist so schlimm an der Kommunikations-Verweigerung? Tucholsky hat recht:

„Was wäre der Mensch ohne Telefon?
Ein armes Luder.
Was aber ist er mit dem Telefon?
Ein armes Luder.“

Glaubt man einer Miriam Meckel, so existiert ein „Glück der Unerreichbarkeit“. So wie jemand in „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“ von (Nobelpreisträger) Heinrich Böll die Stille im Radioprogramm auf Tonband sammelt, meint sie, so habe jeder das Recht auf eine Mauer um sich.

Niemand sollte also verzweifeln, wenn Bob Dylan sich weiter nicht rührt. Die Ablehnung des Preises ist in den Akademie-Statuten ja gar nicht vorgesehen. Das musste schon Jean-Paul Sartre erfahren, als er 1964 verkündete, er werde den Nobelpreis für Literatur nicht annehmen, weil er um seine Unabhängigkeit fürchte. Danach strich ihn niemand von der Liste. Nur als er elf Jahre darauf um sein Preisgeld bat, war es zu spät. Das gab es dann für ihn nicht mehr.

Exzerpt von Karlheinz Damerow

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Hätte er nicht weiter schweigen können?

Bob Dylan zum Nobelpreis


Exzerpt des Artikels:
Wenn überhaupt möglich
Bob Dylan bricht sein Schweigen
und will den Nobelpreis annehmen
von WILLI WINKLER
Süddeutsche Zeitung
Montag/Dienstag,
31. Oktober/1. November 2016


Seit dem 13. Oktober, seit verkündet worden ist, dass der nächste Literaturnobelpreisträger Bob Dylan heißen soll, hatte der geschwiegen. Man war beleidigt, hielt es für „unhöflich und arrogant“, empörte sich, grummelte futterneidisch „aber er ist längst kein großer Schriftsteller“. Nur von Donald Trump, dem die Schwedische Akademie doch den Preis für einen guten Amerikaner vor den dummen Latz geknallt hat, kam bisher kein einziger Twiit.*)

*) tweet, US-amerikanisch, = Gezwitscher, maximal 140 Zeichen umfassende, mal mehr, meist weniger geistreiche, oder gar weltbewegende Meinungs-, mehrheitlich Gefühls-Äußerung zu Allem oder Nichts, von banal bis inkompetent, die seine Nutzer dem US-amerikanischen Konzern mit dem albernen Namen Twitter = "Zwitschern", sich selbst ausbeutend, unentgeltlich zur beliebigen Verwertung überlassen. Die Geschäftsidee dieses "pfiffigen Konzerns" besteht darin, diese kostenlosen Dateien seiner Nutzer zu analysieren, aufzubereiten und für Multi-Milliarden-Gewinne Händlern zwecks punktgenauer Werbung zuzuführen.

Dass er ein guter Sänger sei, hatte Dylan bisher noch niemand vorgeworfen. Vielleicht hat es ihm deshalb nur die Sprache verschlagen. Bis Samstag schwieg der gute Sänger. Da erschien im Londoner Daily Telegraph „weltexklusiv“ eine sparsame Antwort Bob Dylans auf die Frage, ob er Anfang Dezember zur Preisverleihung nach Stockholm kommen wolle: „Selbstverständlich“, nicht ohne diese Selbstverständlichkeit sofort einzuschränken: „...wenn es überhaupt möglich ist“. Seit diesem Interview im Telegraph, hat die Dylan-Exegese endlich wieder zu tun.

Einer guten Freundin, Edna Gundersen, drei Jahrzehnte bei der Tageszeitung USA Today zuständig für Pop und Dylan, war es gelungen, ein Wort Dylans zum Preis zu erbitten. Er freue sich natürlich unheimlich und Ja, doch, ein paar seiner Songs hätten tatsächlich homerische Qualität, „Blind Willie McTell“, „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ und „Hurricane“.

Noch nie war das Nobelpreiskomitee so wagemutig, denn diesmal hat es den letzten lebenden Surrealisten ausgezeichnet. Bob Dylan in seinen eigenen Worten und schon 1965:
Keep a good head and always carry a lightbulb“. Mehr Licht, mehr Schweigen!

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Wäre da nicht
Patti Smith gewesen

Es ist schön, Bob Dylan zu hören, doch schöner ist’s, dabei zu sein, wenn eine Göttin das Hohelied anstimmt und auf so erhabene Weise versagt

Exzerpt des Artikels:

Über alle hinaus
Mehr Dichtung war nie:
Bob Dylan fehlt, Patti Smith patzt,
aber beide retten in Stockholm die Kunst
vor dem Nobelpreis

VON WILLI WINKLER
Süddeutsche Zeitung, 12. Dezember 2016


Da die Welt schlecht ist und der Erlösung von allem möglichen Übel dringend bedürftig, ereignete sich am späten Samstagnachmittag im Konserthuset in Stockholm eine Sternstunde, von der die Menschheit, soweit sie ein fühlend Herz besitzt, noch lange leben wird.

Es begab sich, dass der fahrende Sänger Bob Dylan keine Lust hatte, an diesem Wochenende in die hochgebaute Stadt Stockholm zu fahren, sondern sich lieber in den Weiten US-Amerikas versteckte, irgendwo im „heartland“, im tiefsten Landesinnern, wo sich die Leute nichts Besseres wussten, als für diesen Donald Trump zu stimmen, zu dessen Abwehr in vorletzter Minute der Schwedischen Akademie im Oktober nur mehr die Verleihung ihrer angesehensten Auszeichnung an ebendiesen unhöflichen Preisträger eingefallen war.

 „Unhöflich“ schimpften sie ihn, weil er nicht sofort Purzelbäume vor Begeisterung über die Ehrung schlug, sondern in seinem Tagewerk fortfuhr, das an jenem 13. Oktober darin bestand, einen Saal mit 3200 Leuten in Las Vegas zu unterhalten. Nach Wochen erst grummelte er dann etwas von „Ehre und so“, und wenn es sich einrichten ließe, dann käme er auch nach Stockholm. Aber er kam nicht, damals nicht und bis jetzt auch nicht. Er bat um Entschuldigung, er habe „anderweitige Verpflichtungen“ und schickte seinen mutmaßlich größten Fan, die Musikerin Patti Smith.

Der schwedische Literaturwissenschaftler und Juror Horace Engdahl verlas eine Laudatio, die noch einmal rechtfertigen sollte, warum Bob Dylan der Preis zuerkannt worden war. Er verwies darauf, dass das Wort „Lyrik“ von der Lyra herstamme und dass Dylan mit beiden Beinen im 20. Jahrhundert gestanden sei und die Alltagssprache mit der der Bibel verbunden habe. „Und plötzlich“, so der Exeget, „wirkte ein großer Teil der gelehrten Dichtung unserer Welt blutleer, und die Fließbandtexte, die seine Kollegen weiter produzierten, wirkten so altmodisch wie Schießpulver nach der Erfindung des Dynamits.“

Als wäre es mit dieser hübschen Verbeugung vor dem Erfinder des Dynamits, der in seiner Reue über das von ihm angerichtete Unheil den nach ihm benannten Preis stiftete, nicht genug, kam Engdahl noch auf einen weiteren Vergleich, um Dylans Wirkung zu beschreiben, es war, „als würde das Orakel von Delphi die Abendnachrichten verlesen“. Nicht schlecht! Doch.

Beim abschließenden Bankett im Rathaus von Stockholm las nicht das Orakel von Delphi, sondern die US amerikanische Botschafterin vor den fünfzehnhundert Frack- und Kleidergästen sowie der versammelten königlichen Familie eine Botschaft des abwesenden Preisträgers vor, die sich niemand hätte dürftiger ausdenken können. Große Ehre, danke, hätte er sich nie träumen lassen. Schon in der Schule habe er seine Nobel-Vorderen gelesen, Rudyard Kipling, George Bernard Shaw, Pearl S. Buck, Thomas Mann und Ernest Hemingway. Die, die den Preis nicht bekommen haben und denen er doch viel mehr verdankt – Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Bert Brecht, James Joyce, Franz Kafka -, erwähnte er nicht.

Nach gegrilltem Hummer an eingelegten Winteräpfeln, mit Piccini Poccio Teo Chianti Classico Jahrgang 2010, hätte alles seinen gemütlichen Gang gehen können, wäre da nicht Patti Smith gewesen. Beim Bankett saß sie in ihrem schwarz-weißen Outfit nicht königlich, aber mindestens priesterlich zwischen Parfumwolken, Ordensbrüsten und schier unbezahlbaren Taftquadratmetern in Grün, Blau und Rot, als wäre zuvor nichts geschehen.

Aber sie hatte gesungen. Sie hatte „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ von Bob Dylan gesungen. Dylan hatte das Lied 1962 geschrieben, nach dem Ende der Kubakrise, in der die Welt am Rande der atomaren Vernichtung stand. Es ist Anklage, Kirchenlied, Choral und vor allem ein großer Gesang, wie es nur Dylan kann. Aber dann patzte seine Schülerin. Sie stockte in der zweiten Strophe, sie blieb hängen an dem „Zweig, von dem das Blut tropfte“. Patti Smith bat um Entschuldigung – „ich bin so nervös“ – und setzte neu an. Immer besser, immer fester wurde ihre Stimme, als sie Dylans apokalyptische Weltuntergangsversion weit, weit über alle Preise und Feiern und Hummer hinaustrug. Es war fast unerträglich gewalttätig, es war mehr Dichtung, als in Stockholm in Jahrzehnten zu hören war.

„Ja, das ist wahrlich schön, einen solchen Sänger zu hören, wie dieser ist, den Göttern an Stimme vergleichbar“, erklärt der vielgeprüfte, der listenreiche Odysseus seinen Retter Alkinoos, als er sich zu erkennen gibt, als er verrät, dass das Lied des Sängers von ihm handelt, vom listenreichen Odysseus.

Wahrlich ist es schön, Bob Dylan zu hören, doch schöner ist’s, dabei zu sein, wenn eine Göttin das Hohelied anstimmt und auf so erhabene Weise versagt. Bob Dylan und Patti Smith haben mit ihrem Fehlen die Kunst vor dem Nobelpreis gerettet. Und die Welt, sagt der Dichter, hebt an zu singen.

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"A Hard Rain's A-Gonna Fall"

Bob Dylan

Oh, where have you been, my blue-eyed son?
And where have you been my darling young one?
I've stumbled on the side of twelve misty mountains
I've walked and I've crawled on six crooked highways
I've stepped in the middle of seven sad forests
I've been out in front of a dozen dead oceans
I've been ten thousand miles in the mouth of a graveyard
And it's a hard, it's a hard, it's a hard, and it's a hard
It's a hard rain's a-gonna fall.

Oh, what did you see, my blue eyed son?
And what did you see, my darling young one?
I saw a newborn baby with wild wolves all around it
I saw a highway of diamonds with nobody on it
I saw a black branch with blood that kept drippin'
I saw a room full of men with their hammers a-bleedin'
I saw a white ladder all covered with water
I saw ten thousand talkers whose tongues were all broken
I saw guns and sharp swords in the hands of young children
And it's a hard, it's a hard, it's a hard, and it's a hard
It's a hard rain's a-gonna fall.

And what did you hear, my blue-eyed son?
And what did you hear, my darling young one?
I heard the sound of a thunder, it roared out a warnin'
I heard the roar of a wave that could drown the whole world
I heard one hundred drummers whose hands were a-blazin'
I heard ten thousand whisperin' and nobody listenin'
I heard one person starve, I heard many people laughin'
Heard the song of a poet who died in the gutter
Heard the sound of a clown who cried in the alley
And it's a hard, it's a hard, it's a hard, it's a hard
And it's a hard rain's a-gonna fall.

Oh, who did you meet my blue-eyed son?
Who did you meet, my darling young one?
I met a young child beside a dead pony
I met a white man who walked a black dog
I met a young woman whose body was burning
I met a young girl, she gave me a rainbow
I met one man who was wounded in love
I met another man who was wounded in hatred
And it's a hard, it's a hard, it's a hard, it's a hard
And it's a hard rain's a-gonna fall.

And what'll you do now, my blue-eyed son?
And what'll you do now my darling young one?
I'm a-goin' back out 'fore the rain starts a-fallin'
I'll walk to the deepths of the deepest black forest
Where the people are a many and their hands are all empty
Where the pellets of poison are flooding their waters
Where the home in the valley meets the damp dirty prison
Where the executioner's face is always well hidden
Where hunger is ugly, where souls are forgotten
Where black is the color, where none is the number
And I'll tell and think it and speak it and breathe it
And reflect it from the mountain so all souls can see it
Then I'll stand on the ocean until I start sinkin'
But I'll know my songs well before I start singin'
And it's a hard, it's a hard, it's a hard, and it's a hard
It's a hard rain's a-gonna fall.

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THE NEWYORKER
Cultural Comment

A Transcendent Patti Smith Accepts Bob Dylan’s Nobel Prize

Eine überragende Patti Smith
nimmt den Nobel Preis
für Bob Dylan an

By Amanda Petrusich
December 10, 2016

Deutsch: Karlheinz


At Saturday morning’s Nobel Prize ceremony in Stockholm, after the Swedish royal anthem was played, Carl-Henrik Heldin, the chairman of the board of the Nobel Foundation, delivered a brief speech to the collected laureates and guests. King Carl XVI Gustaf, his wife, Queen Silvia, and their daughter, Crown Princess Victoria, had assembled behind him, bedecked in gloriously elaborate, heavily festooned ensembles. The air was rarified. Onstage, things were glinting. “In times like these, the Nobel Prize is important,” Heldin said. What he meant by the phrase “times like these”—that our days were dark—seemed immediately evident to everyone in the room. “Alfred Nobel wanted to reward those who have conferred the greatest benefit to mankind.”

Nachdem die Schwedische Königliche Hymne zur Nobel Preisfeier am Samstagmorgen in Stockholm erklungen war, hielt Carl-Henrik Heldin, der Vorsitzende des Vorstandes der Nobel Stiftung, eine kurze Rede vor den versammelten Preisträgern und Gästen. König Carl XVI Gustaf, seine Frau, Königin Silvia und ihre Tochter, Kronprinzessin Victoria, hatten sich hinter ihm eingefunden, vor strahlend kunstvoll geschmückten und schwer verzierten Ensembles. Die Atmosphäre war anspruchsvoll. Auf der Bühne glitzerte alles. "In Zeiten wie diesen ist der Nobel Preis wichtig", sagte Heldin. Dass er mit der Wendung "Zeiten wie diese" meinte, dass unsere Tage düster seien, schien jedem im Raum unvermittelt einzuleuchten. "Alfred Nobel wollte diejenigen auszeichnen, die der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben".

This remains such a beautiful, generous mandate. Theoretically, the Nobel Foundation’s mission is expansive in scope, but it’s profoundly simple, too: Whose work has best improved the world we share? In the months leading up to the ceremony, there was copious chatter about the recipient of this year’s award for literature, the American musician Bob Dylan. Did Dylan deserve it? Are his songs in fact a kind of literature? Are any songs a kind of literature? Can a lyric be successfully untangled from a melody? Can a piece of music be distilled into its constituent parts? At the beginning of “Sympathy for the Devil,” when Mick Jagger belches that first, frantic “Yow!”—is that language? What about Blind Willie Johnson, mumbling his way through “Dark Was the Night, Cold Was the Ground”—his woeful, gravid moaning, is that poetry? Are those words? Is what Dylan has done fundamentally comparable to what William Faulkner or Doris Lessing or V. S. Naipaul has done? Who knows?

Dies bedeutet damit einen derart großartigen, großzügigen Anspruch. Theoretisch ist der Zweck der Nobel Stiftung in einem sehr weiten Rahmen gefasst, aber auch wieder sehr einfach: Wessen Wirken unser aller Welt am meisten verbessert hat. In den Monaten bis zu dieser Feier gab es reichlich Diskussionen über den Empfänger des diesjährigen Preises für Literatur, den US-amerikanischen Musiker Bob Dylan. Hat ihn Dylan verdient? Sind seine Lieder tatsächlich eine Art Literatur? Sind Lieder überhaupt so etwas wie Literatur? Kann ein Text erfolgreich getrennt von der Melodie betrachtet werden? Kann ein Musikstück überhaupt in seine Bestandteile zerlegt werden? Am Angang von "Sympathie For The Devil", wo Mick Jagger das wilde "Yow" ausstößt—ist das Sprache? Wie ist es mit Blind Willie Johnson, der sein jämmerliches Schwangerschaftsstöhnen durch “Dark Was the Night, Cold Was the Ground” brabbelt, ist das Poesie? Sind das Worte? Ist das, was Dylan geleistet hat, vergleichbar mit dem, was Wiliam Faulkner, Doris Lessing oder V.S. Naipaul geleistet haben? Wer weiß?

The choice incited plenty of pearl clutching across the globe—people were miffed by the idea of a (supposedly) low art receiving validation by a group as historically highminded and discerning as the Nobel Prize Committee. And besides, couldn’t a more obscure, non-Western author have been granted this colossal boost? Of course, critics have been bickering about Dylan’s academic bona fides since at least 1965, when Time published an entire treatise on the question of whether Dylan was “the literary voice of our time and a poet of high degree” (the best quote in the article came from sweet old W. H. Auden, who merely offered this: “I am afraid I don’t know his work at all.”)

Die Wahl erregte weltweit heftiges Schockiertsein—viele waren sauer beim Gedanken, dass eine (vermeintlich) niedrig eingestufte Kunst Anerkennung durch eine Gruppe erhalten sollte, die historisch so anspruchsvoll und urteilsfähig angesehen ist wie das Nobel Preis Kommitee. Und außerdem, hätte denn nicht ein unbedeutender, nicht aus dem Westen stammtender Autor mit dieser kolossalen Ehre gefördert werden können? Na klar, Kritiker haben über Dylans akademische Glaubwürdigkeit mindestens seit 1965, gestritten, als die Time eine ganze Abhandlung über die Frage veröffentlichte, ob Dylan "die literatische Stimme unserer Zeit und ein hochrangiger Poet" sei (das ?beste? Zitat in diesem Artikel kam vom süßen alten W.H. Auden, der einfach nur dies meinte: "Es tut mit leid, ich kenne sein Werk überhaupt nicht.")

Following the announcement, Dylan refused to publicly acknowledge receipt of the prize—a continuation, perhaps, of his willfully and delightfully obtuse approach to fame and accolades. Maybe it was a meta-commentary on the absurdity of institutional affirmations of art. It felt consistent, at least, with Dylan’s own self-mythologizing. And it’s that narrative, after all—the one Dylan has written for himself—that’s perhaps literature in the truest sense. He is his most dynamic creation.

Nach der Ernennung verweigerte Dylan, die Annahme des Preises öffentlich zu bestätigen—vielleicht eine Verlängerung seine vorsätzlichen genüsslich sturen Haltung gegenüber Ruhm und öffentliche Anerkennung. Es mag auch sein, dass es eine Meta-Kommentar über den Widersinn amtlicher Belobigung von Kunst. Es wirkte überzeugend, zu mindestens in Dylans eigener Selbst-Mythologisierung. Und endlich ist es die Geschichte—die Dylan für sich selber geschrieben hat—die vielleicht Literatur im wahrsten Sinne ist. Er ist seine eigene dynamischte Schöpfung.

After the presentation of the Nobel Prize in Medicine, to Yoshinori Ohsumi, the Royal Stockholm Philharmonic Orchestra played Jean Sibelius’s “Serenade,” from “King Christian II Suite.” The measured Swedish commentator who was delivering a polite play-by-play of the proceedings introduced the punk-rock singer Patti Smith by saying, “Soon we will hear music of a different kind. Something that a lot of people probably have heard before.” Any haughtiness was surely inadvertent, but there it was: prepare yourselves for a shift toward the popular. Every yahoo on the street knows this one!

Smith was accompanied by the Philharmonic performing a spare and gentle arrangement of Dylan’s “A Hard Rain’s A-Gonna Fall”, orchestrated by Hans Ek, a Swedish conductor. 

She looked so striking: elegant and calm in a navy blazer and a white collared shirt, her long, silver hair hanging in loose waves, hugging her cheekbones. I started crying almost immediately. She forgot the words to the second verse—or at least became too overwhelmed to voice them—and asked to begin the section again. I cried more. “I’m sorry, I’m so nervous,” Smith admitted. The orchestra obliged. The entire performance felt like a fierce and instantaneous corrective to “times like these”—a reiteration of the deep, overwhelming, and practical utility of art to combat pain. In that moment, the mission of the Nobel transcended any of its individual recipients. How plainly glorious to celebrate this work.

Sie sah so beeindruckend toll aus: Elegant und gefasst in einer blauen Clubjacke und einem weißen Kragenhemd, ihre langen Silber Haare fallen in losen Locken und umschließen ihre Wangenknochen. Ich begann fast augenblicklich zu weinen. Sie vergaß die Worte im zweiten Vers – oder wurde zu mindestens zu überwältigt, um sie zu singen – und bat darum, diesen Teil neu beginnen zu dürfen. Ich weinte noch stärker. „Es tut mir leid, ich bin so nervös“, gab Smith zu. Das Orchester folgte ihr. Die ganze Aufführung wirkte wie ein heftiges und unmittelbares Gegenstück zu „Times Like These (Foo Fighters?)“ – eine beständige Wiederholung der tiefen, überwältigenden, praktischen Bedeutung der Kunst gegen den Schmerz. In diesem Augenblick wies diese Nobel Preisverleihung über all ihre individuellen Preisträger hinaus. Wie einfach und schön, gerade mit diesem Werk zu feiern.  

The second verse, the one Smith paused on, describes a dystopian nightmare state, a landscape ravaged by a surreal despair:

Die zweite Strophe, in der Patti Smith stecken blieb, beschreibt einen dystopischen Albtraum Zustand, eine in surrealistischer Verzweiflung verwüstete Landschaft:

Oh, what did you see, my blue-eyed son?
Oh, what did you see, my darling young one?
I saw a newborn baby with wild wolves all around it
I saw a highway of diamonds with nobody on it
I saw a black branch with blood that kept drippin’
I saw a room full of men with their hammers a-bleedin’
I saw a white ladder all covered with water
I saw ten thousand talkers whose tongues were all broken
I saw guns and sharp swords in the hands of young children
And it’s a hard, and it’s a hard, it’s a hard, it’s a hard
And it’s a hard rain’s a-gonna fall

Oh, was sahst Du, mein Sohn mit blauen Augen?
Oh, was sahst Du, mein junger Liebling?
Ich sah ein gerade geborenes Baby inmitten wilder Wölfe
Ich sah eine Autobahn aus Diamanten und niemand darauf
Ich sah einen schwarzen Zweig, von dem dauernd Blut tropfte
Ich sah einen Raum voller Männer mit blutigen Hämmern
Ich sah eine weiße Leiter ganz mit Wasser bedeckt
Ich sah zehntausend Redner, alle mit kaputten Zungen
Ich sah Gewehre und Schwerter in den Händen kleiner Kinder
Und es wird ein harter, ein harter, ein harter, ein harter
Und es wird ein harter Regen fallen

Dylan wrote the song in the summer of 1962, for his second album, “The Freewheelin’ Bob Dylan.” He has said it was inspired, structurally, by seventeenth-century balladry: a question is posed, and answers stack up, though none are particularly comforting. It’s the questioning, though—and, moreover, the accounting it inspires—that seems essential. Who hasn’t, in a moment of true desperation or fear, surveyed our world and found only ugliness? Dylan’s intelligence is often antagonistic—his instinct is to seethe—but here, he seems to be encouraging his listeners to shore each other up, to acknowledge the darkness and to bear it.

Bob Dylan schrieb dieses Lied im Sommer 1962, für sein zweites Album, "The Freewheelin' Bob Dylan". Er hat gesagt, dass sein Aufbau inspiriert war durch die Dichtkunst des siebzehnten Jahrhunderts: Erst wird eine Frage gestellt, und Antworten werden aneinander gereiht, wobei keine besonders trostreich ist. Allerdings scheint die Fragestellung, noch mehr die Andeutungen, die sie macht, das Wesentliche zu sein. Wer hat nicht schon einmal in tiefer Verzweiflung und Furcht, unsere Welt betrachtet und voll von Häßlichkeit gesehen? Bob Dylans Klugheit ist oft widerstreitend - sein Instinkt ist es wütend zu werden - doch hier scheint er seine Zuhörer zu ermutigen, sich gegenseitig zu bestärken und die Dunkelheit zu erkennen und zu ertragen.

That Dylan ultimately accepted the Nobel with a folk song (and this specific folk song, performed by a surrogate, a peer) seemed to communicate something significant about how and what he considers his own work (musical, chiefly), and the fluid, unsteady nature of balladry itself—both the ways in which old songs are fairly reclaimed by new performers, and how their meanings change with time. Before Smith took the stage, Horace Engdahl, a literary historian and critic, dismissed any controversy over Dylan’s win, saying the decision “seemed daring only beforehand, and already seems obvious.” He spoke of Dylan’s “sweet nothings and cruel jokes,” and his capacity for fusing “the languages of the streets and the Bible.” In the past, he reminded us, all poetry was song.

Dass Dylan schließlich den Nobel Preis mit einem Folk Song akzeptierte (dann auch noch vorgetragen von einer ebenbürtigen Stellvertreterin), schien etwas bedeutsames darüber zu sagen, was er für sein Werk hält und wie er es (hauptsächlich musikalisch) betrachtet und die veränderliche, unstete Natur der Gesangskunst an sich - die Art und Weisen in denen alte Lieder sowohl von neuen Künstlern schnell wieder erobert werden, als auch sich ihre Bedeutungen mit der Zeit ändern. Bevor Patti Smith die Bühne übernahm, blendete Horace Engdahl, ein Literatur-Historiker und -Kritiker, jede Kontroverse über den Gewinner Dylan aus, als er sagte, die Entscheidung für ihn "erschien nur im vorhinein gewagt, inzwischen aber schon einleuchtend". Er sprach von Dylans "Liebesgeflüster und gemeinen Witzen", und seiner Fähigkeit, "die Sprache der Straße und der Bibel" zu verbinden. In der Geschichte, erinnerte er uns, war jede Dichtkunst Gesang.

Has Dylan conferred great benefit to mankind? Listening to Smith sing his song—and watching as audience members, dressed in their finest, wiped their eyes, blindly reached for each other, seemed unable to exhale—the answer felt obvious. The answer was on their faces.

Hat Bob Dylan der Menschheit großen Nutzen gebracht? Als ich Patti Smith zuhörte, die sein Lied sang—und sah, wie sich feinstens gekleidete Zuhörer im Publikum die Augen trochneten, sich ohne hinzuschauen die Hände reichten, augenscheinlich unfähig auszuatmen—da war die gefühlte Antwort klar. Die Antwort war in ihren Gesichtern.

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THENEWYORKER

Cultural Comment

How Does It Feel

Siebzig Jahre Augenblicke,
siebzig Jahre Menschsein.

By Patti Smith
December 14, 2016

Deutsch von Karlheinz

I was born in Chicago on December 30, 1946, within the vortex of a huge snowstorm. My father had to help the taxi-driver navigate Lake Shore Drive with the windows wide open, while my mother was in labor. I was a scrawny baby, and my father worked to keep me alive, holding me over a steamy washtub to help me breathe. I will think of them both when I step on the stage of the Riviera Theatre, in Chicago, on my seventieth birthday, with my band, and my son and daughter.

Ich wurde am 30. Dezember 1946, in Chicago, mitten in einem tobenden Schneesturm geboren. Mein Vater musste dem Taxi-Fahrer bei voll geöffnetem Fenster helfen, den Weg zur Seeuferstraße zu finden, während meine Mutter in den Wehen lag. Ich war ein dünnes Kind, und mein Vater hatte Mühe, mich am Leben zu halten, indem er mich über eine heiße Waschschüssel hielt, um mich zum Atmen zu bewegen. Ich werde an sie beide denken, wenn ich an meinem siebzigsten Geburtstag, mit meiner Band und meinem Sohn und meiner Tochter, auf die Bühne des Riviera Theaters in Chicago treten werde.

Despite the emotionally wrenching atmosphere that has engulfed us during the Presidential election, I have tried to spend December immersed in positive work, tending to the needs of my family, and preparations for the new year. But, before Chicago, I had yet to perform a last important duty for 2016. In September, I was approached to sing at the Nobel Prize ceremony, honoring the laureate for literature, who was then unknown. It would be a few days in Stockholm, in a beautiful hotel, overlooking the water—an honorable opportunity to shine, contemplate, and write. I chose one of my songs that I deemed appropriate to perform with the orchestra.

Trotz der quälenden Atmosphäre, in der wir im Laufe der Präsidentschaftswahl versunken sind, habe ich versucht, den Dezember mit positiver Arbeit zu verbringen, orientiert an den Bedürfnissen meiner Familie und Vorbereitungen für das Neue Jahr. Aber noch vor Chicago hatte ich eine letzte wichtige Verpflichtung für 2016 nachzukommen. Ich war gebeten worden, bei der Nobelpreis Feier zu Ehren des Literaturpreisträgers zu singen, der zu der Zeit noch nicht bekannt war. Das wären ein paar Tage Stockholm, in einem wunderschönen Hotel mit Blick übers Wasser – eine ehrenhafte Möglichkeit, zu glänzen, nachzudenken und zu schreiben. Ich wählte eines meiner Lieder, das, von dem ich dachte, dass es für die Aufführung mit einem Orchester geeignet wäre. 

But when it was announced that Bob Dylan had won the prize and accepted, it seemed no longer fitting for me to sing my own song. I found myself in an unanticipated situation, and had conflicting emotions. In his absence, was I qualified for this task? Would this displease Bob Dylan, whom I would never desire to displease? But, having committed myself and weighing everything, I chose to sing “A Hard Rain’s A-Gonna Fall,” a song I have loved since I was a teen-ager, and a favorite of my late husband.

Als dann aber bekannt gegeben wurde, dass Bob Dylan den Preis gewonnen und angenommen habe, schien es mir nicht mehr passend, mein eigenes Lied zu singen. Ich befand mich in einer unvorhergesehenen Situation mit widersprüchlichen Gefühlen. War ich für diese Aufgabe in seiner Abwesenheit geeignet? Könnte das Bob Dylan missfallen, den ich niemals verärgern möchte. Aber, da ich zugestimmt hatte und alles abwägend, entschied ich mich, „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ zu singen, das ich liebe seit ich ein Teenager war und ein Lieblingslied meines verstorbenen Ehemannes.

From that moment, every spare moment was spent practicing it, making certain that I knew and could convey every line. Having my own blue-eyed son, I sang the words to myself, over and over, in the original key, with pleasure and resolve. I had it in my mind to sing the song exactly as it was written and as well as I was capable of doing. I bought a new suit, I trimmed my hair, and felt that I was ready.

Von diesem Moment an wurde jeder freie Augenblick damit verbracht, es zu üben, sicherzustellen, dass ich jede Zeile kannte und vermitteln könnte. Da ich meinen eigenen blauäugigen Sohn habe, sang ich die Worte zu mir selber, immer und immer wieder. Ich hatte das Lied so im Kopf, dass ich es genau in der Tonart singen könnte, wie es geschrieben war und so gut ich es eben konnte. Ich kaufte einen neuen Anzug, machte meine Haare und hatte das Gefühl, dass ich bereit war.

On the morning of the Nobel ceremony, I awoke with some anxiety. It was pouring rain and continued to rain heavily. As I dressed, I went over the song confidently. In the hotel lobby, there was a lovely Japanese woman in formal traditional dress—an embroidered cream-colored floor-length kimono and sandals. Her hair was perfectly coiffed. She told me that she was there to honor her boss, who was receiving the Nobel Prize in Medicine, but the weather was not in her favor. You look beautiful, I told her; no amount of wind and rain could alter that. By the time I reached the concert hall, it was snowing. I had a perfect rehearsal with the orchestra. I had my own dressing room with a piano, and I was brought tea and warm soup. I was aware that people were looking forward to the performance. Everything was before me.

Am Morgen der Nobel Feier erwachte ich mit einiger Unruhe. Es regnete und regnete heftig weiter. Beim Ankleiden, ging ich noch einmal zuversichtlich über das Lied. In der Hotelhalle traf ich eine reizende japanische Frau in einem feierlichen, traditionellen Kleid—einem bestickten, cremefarbenen, bodenlangen Kimono und Sandalen. Ihr Haar war perfekt frisiert. Sie sagte mir, sie sei zu Ehren ihres Chefs hier, der den Nobel Preis in Medizin erhalten sollte, doch das Wetter wäre nicht auf ihrer Seite. Sie sehen wunderschön aus, sagte ich ihr; egal wie viel Wind oder Regen könnten daran nichts ändern. Als ich dann die Konzerthalle erreichte, schneite es. Ich hatte eine perfekte Probe mit dem Orchester. Ich hatte meinen eigenen Garderoberaum mit einem Klavier, und man brachte mir Tee und warme Suppe. Mir war klar, dass die Leute sich auf die Veranstaltung freuten. Alles lag vor mir.

I thought of my mother, who bought me my first Dylan album when I was barely sixteen. She found it in the bargain bin at the five-and-dime and bought it with her tip money. “He looked like someone you’d like,” she told me. I played the record over and over, my favorite being “A Hard Rain’s A-Gonna Fall.” It occurred to me then that, although I did not live in the time of Arthur Rimbaud, I existed in the time of Bob Dylan. I also thought of my husband and remembered performing the song together, picturing his hands forming the chords.

Ich dachte an meine Mutter, die mir meine erste Dylan Platte kaufte, als ich gerade sechzehn war. Sie hatte sie im Grabbeltisch im Billigwarenhaus gefunden und mit ihrem Trinkgeld bezahlt. „Er sieht aus wie jemand den Du mögen könntest“, sagte sie mir. Ich spielte die Platte immer und immer wieder, und mein Lieblingsstück war „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“. Es kam mir in den Sinn, obwohl ich nicht in der Zeit von Arthur Rimbaud lebte, dass ich in der Zeit von Bob Dylan existierte?. Ich dachte auch an meinen Mann und erinnerte mich daran, wie wir das Lied gemeinsam aufführten und er dabei die Akkorde mit seinen Händen formte.

And then suddenly it was time. The orchestra was arranged on the balcony overlooking the stage, where the King, the royal family, and the laureates were seated. I sat next to the conductor. The evening’s proceedings went as planned. As I sat there, I imagined laureates of the past walking toward the King to accept their medals. Hermann Hesse, Thomas Mann, Albert Camus. Then Bob Dylan was announced as the Nobel Laureate in Literature, and I felt my heart pounding. After a moving speech dedicated to him was read, I heard my name spoken and I rose. As if in a fairy tale, I stood before the Swedish King and Queen and some of the great minds of the world, armed with a song in which every line encoded the experience and resilience of the poet who penned them.

Und dann war es plötzlich so weit. Das Orchester hatte auf dem Balkon über der Bühne Platz genommen, wo der König, die königliche Familie und die Ehrenträger saßen. Mein Platz war neben dem Dirigenten. Der Abend verlief wie geplant. Als ich dort saß, stellte ich mir Ehrenträger der Vergangenheit vor, wie sie auf den König zugingen, um ihre Medaillen zu empfangen. Hermann Hesse, Thomas Mann, Albert Camus. Dann wurde Bob Dylan als der Nobel Preisträger in Literatur aufgerufen, und ich fühlte mein Herz heftig schlagen. Nachdem eine bewegende Rede in seinem Namen verlesen war, hörte ich, wie mein Name genannt wurde, und ich erhob mich. Als wäre es in einem Märchen, so stand ich vor dem Schwedischen König und der Königin und einigen der größten Köpfe der Welt, gerüstet mit einem Lied, in dem in jeder Zeile die Erfahrung und Bewältigungskraft des Poeten verborgen waren, der sie niederschrieb.

The opening chords of the song were introduced, and I heard myself singing. The first verse was passable, a bit shaky, but I was certain I would settle. But instead I was struck with a plethora of emotions, avalanching with such intensity that I was unable to negotiate them. From the corner of my eye, I could see the the huge boom stand of the television camera, and all the dignitaries upon the stage and the people beyond. Unaccustomed to such an overwhelming case of nerves, I was unable to continue. I hadn’t forgotten the words that were now a part of me. I was simply unable to draw them out.

Die ersten Harmonien des Liedes wurden vorgetragen, und ich hörte mich singen. Die erste Strophe war passabel, ein wenig zitterig, aber ich war sicher dass ich mich beruhigen würde. Aber stattdessen wurde ich überwältigt durch eine Überfülle von Gefühlen, die mich wie eine Lawine mit einer derartigen Intensität trafen, dass ich sie nicht mehr bewältigen konnte. Aus dem Augenwinkel konnte ich das große Galgenstativ der Fernsehkameras sehen und all die Honoratioren auf der Bühne und die Menschen dahinter. Nicht gewöhnt an solch einen überwältigenden Anfall von Nervosität, konnte ich nicht weiter machen. Ich hatte die Worte, die längst ein Teil von mir waren, nicht vergessen. Ich war einfach nicht fähig, sie herauszubekommen.

This strange phenomenon did not diminish or pass but stayed cruelly with me. I was obliged to stop and ask pardon and then attempt again while in this state and sang with all my being, yet still stumbling. It was not lost on me that the narrative of the song begins with the words “I stumbled alongside of twelve misty mountains,” and ends with the line “And I’ll know my song well before I start singing.” As I took my seat, I felt the humiliating sting of failure, but also the strange realization that I had somehow entered and truly lived the world of the lyrics.

Dieser merkwürdige Zustand ließ weder nach, noch verschwand er, er blieb äußerst hartnäckig bei mir. Ich musste aufhören und um Verzeihung bitten um dann, immer noch in diesem Zustand, einen neuen Versuch zu machen und ich sang mit meinem ganzen Sein, dennoch immer noch holpernd. Es war mir klar, dass die Geschichte mit den Worten beginnt „Ich taumelte vorbei an zwölf umnebelten Bergen“, und mit der Zeile endet „Und ich werde mein Lied genau kennen, bevor ich mit dem Singen beginne“. Als ich mich setzte, fühlte ich den beschämenden Stachel des Versagens, aber auch die seltsame Erkenntnis, dass ich irgendwie in die Welt des Gedichts eingedrungen und sie wirklich durchlebt hatte.  

Later, at the Nobel banquet, I sat across from the American Ambassador—a beautiful, articulate Iranian-American. She had the task of reading a letter from Dylan before the banquet’s conclusion. She read flawlessly, and I could not help thinking that he had two strong women in his corner. One who faltered and one who did not, yet both had nothing in mind but to serve his work well.

Später, beim Nobel Bankett, saß ich der US-Amerikanischen Botschafterin gegenüber—eine schöne, redegewandte Iran-Amerikanerin. Ihre Aufgabe war es, vor Ende des Banketts einen Brief von Bob Dylan zu verlesen. Sie tat dies makellos, und ich musste unwillkürlich denken, dass er zwei starke Frauen in seiner Ecke hatte. Eine die schwächelte und eine, die dies nicht tat, aber beide hatten nur eins im Sinn, seinem Werk gut zu dienen.

When I arose the next morning, it was snowing. In the breakfast room, I was greeted by many of the Nobel scientists. They showed appreciation for my very public struggle. They told me I did a good job. I wish I would have done better, I said. No, no, they replied, none of us wish that. For us, your performance seemed a metaphor for our own struggles. Words of kindness continued through the day, and in the end I had to come to terms with the truer nature of my duty. Why do we commit our work? Why do we perform? It is above all for the entertainment and transformation of the people. It is all for them. The song asked for nothing. The creator of the song asked for nothing. So why should I ask for anything?

Als ich am nächsten Morgen aufstand, schneite es. Im Frühstücksraum wurde ich von vielen der Nobel Wissenschaftler begrüßt. Sie zeigten Verständnis für meinen Kampf in aller Öffentlichkeit. Sie sagten mir, dass ich meine Sache gut gemacht habe. Ich sagte, ich wünschte, es besser gemacht zu haben. Nein, nein, antworteten sie, das wünscht sich keiner von uns. Für uns schien Ihre Vorstellung eine Metapher für unsere eigenen Kämpfe zu sein. Freundliche Worte folgten den ganzen Tag, und am Ende musste ich mich mit der wahrhaftigeren Natur meiner Aufgabe arrangieren. Warum widmen wir uns unseren Aufgaben? Warum vollbringen wir etwas? Vor allem doch wohl, um Menschen zu unterhalten und zu verwandeln. Es geschieht alles für sie. Das Lied verlangt nichts. Der Schöpfer des Liedes verlangt nichts. Warum also sollte ich irgendetwas verlangen?

When my husband, Fred, died, my father told me that time does not heal all wounds but gives us the tools to endure them. I have found this to be true in the greatest and smallest of matters. Looking to the future, I am certain that the hard rain will not cease falling, and that we will all need to be vigilant. The year is coming to an end; on December 30th, I will perform “Horses” with my band, and my son and daughter, in the city where I was born. And all the things I have seen and experienced and remember will be within me, and the remorse I had felt so heavily will joyfully meld with all other moments. Seventy years of moments, seventy years of being human.

Als mein Ehemann, Fred, starb, sagte mir mein Vater, dass die Zeit zwar nicht alle Wunden heile, uns aber die Fähigkeiten gebe, sie auszuhalten. Ich habe herausgefunden, dass dies in den größten wie den kleinsten Dingen zutrifft. Wenn ich in die Zukunft schaue, dann bin ich sicher, dass der „hard rain“, das Sauwetter, nicht aufhören wird, und dass wir alle werden wachsam sein müssen. Das Jahr geht zu Ende; Am 30. Dezember werde ich „Horses“ aufführen, mit meiner Band und meinem Sohn und meiner Tochter, in der Stadt, in der ich geboren wurde. Und all die Dinge, die ich gesehen und erfahren habe und erinnere, werden in mir sein, und die schweren Schuldgefühle, die ich hatte, werden freudig mit allen anderen Augenblicken verschmelzen. Siebzig Jahre Augenblicke, siebzig Jahre Menschsein.  

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