Stephen Stills:

Woodstock -
Das größte Zusammentreffen junger Leute seit der Landung in der Normandie -
Und es war
kein Krieg!

Mp3s und CDs beklauen Dich der Bequemlichkeit Willen um 90 Prozent der Musik


von ANDRIAN KREYE


Crosby, Stills, Nash & Young sind die Schlüsselformation der amerikanischen Rockgeschichte, und in ihrem Zentrum stand Stephen Stills. Er produzierte die Platten und hielt seine undisziplinierten Kollegen auf Linie. Neil Young , mit dem er 1966 die Gruppe Buffallo Springfield gründete und die mit „For What It’s Worth“ die Kampfhymne der Protestbewegung schrieb, war lange sein Gegenpart.

Stills lebt heute wie vor über vierzig Jahren in einem der Canyons von Los Angeles County. Allerdings residiert er heute - die Straße rauf Jack Nicholson, die Straße runter die Beckhams – in einem dreiflügeligen Gebäude im englischen Landhausstil, das hinter einem unauffälligen Ranchtor in einem waldähnlichen Park mit Tennisplatz und teichgroßem Pool liegt.

In Folge eines Hörschadens, der sich schon in den Siebzigerjahren anbahnte, trägt er Hörgeräte. Sein Mitstreiter Crosby brauchte immerhin eine Lebertransplantation.

In den USA bezeichnet man die 68er Protestbewegung als „Woodstock Generation“. Stills: „Mit ihrer Gegenkultur wollte sie in den USA vor allem den Fünfzigerjahren entkommen, mit all diesen Weltkriegsüberlebenden, die sich so wichtig vorkamen, weil sie angeblich die „Greatest Generation“ waren.

„For What It’s Worth“, ihre Hymne, schrieb Stills allerdings im November 1966 spontan, als er erlebte, wie die Polizei rund tausend jugendliche Demonstranten zusammendrosch, die auf dem Sunset Boulevard gegen Sperrstunden für die neuen Rockclubs demonstrierten.

Für die Gründung von Crosby, Stills & Nash gab es weder einen Plan noch eine Idee und das erste Treffen fand auch nicht im Haus von Joni Mitchell statt. Stills: „Niemand hätte es gewagt, der Göttin etwas Halbgares vorzustellen.“

Stephen Stills und David Crosby waren im Frühjahr 1968 beide arbeitslose Rockstars. Crosby war bei den Byrds rausgeflogen, weil er auf der Bühne zu viel über Politik schwafelte. Stills Gruppe Buffallo Springfield zerbrach gerade an Streit, Drogen, dem üblichen Wahnsinn. Das Geld war für Ferraris und Häuser verpulvert.

Mama Cass, Sängerin bei The Mamas & The Papas, lud die beiden in ihr Haus ein, damit sie einen dritten arbeitslosen Rockstar treffen würden, Graham Nash, der bei den Hollies rausgeflogen war, weil er keine Lust mehr hatte, nur harmlose Popstücke einzuspielen.

Stills: „Als Graham kam und eine Strophe oben drüber sang, da sollte unser Leben nie mehr dasselbe sein.“ Ein so einzigartiger Stimmsatz, „eine Laune der Natur“. Als sie dann nach den langen Aufnahmen fürs erste Album im darauffolgenden Sommer gemeinsam mit Neil Young in Woodstock auftraten, hatten sie ihre Harmonien so perfektioniert, dass sie wie eine glockenreine Klangwand vor Stills‘ spartanischen Rock-Arrangements standen.

„Woodstock war das größte Zusammentreffen junger Leute seit dem Einmarsch in die Normandie. Es ging nicht um Musik, irgendein Anliegen, oder Politik. Es ging darum, dass so viele Leute an einem Ort zusammenkamen und es kein Krieg war.“

„Ich habe immer noch die alten Bandmaschinen. Auf denen nehme ich auf, mische auf dem Computer und mache das Master wieder auf Band.“ Der Vorteil liegt in Frequenzgängen und Resonanzwerten. Den Unterschied nimmt er trotz Hörschaden wahr. Mit dem ganzen Körper. Und nicht nur im Studio.

„Mp3s und CDs sind Diebstahl! Da beraubt man Sie, nur um der Bequemlichkeit Willen. Sie kriegen da nur 10 Prozent des eigentlichen Signals.“

Was ihm an neuer Musik gefällt?: „Die Black Keys. Taylor Swift, weil sie ihr Herz genauso auf der Zunge hat wie wir damals. Adele, weil sie sich um nichts schert. Aber viel zu viel ist mechanisch und langweilig. Da lassen sie im Studio einen Beat spielen, zerstückeln ihn und stapeln die Teile dann wie Legosteine aufeinander. Weil sie wissen – so viele beats per minute bringen die Leute zum Tanzen und so viele bringen sie dazu, Alkohol zu kaufen.“

Diese Sorte Studioarbeit ist nichts für Stills, „man kann nicht improvisieren. Und das ist letztlich die Seele der Musik.“ Und für die lebt er immer noch und für die geht er im Sommer auch wieder mit Crosby und Nash auf Tour, selbst wenn ihm das als Choleriker hin und wieder schwer fällt.

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Crosby, Stills & Nash: 20.6. Dresden, 21.6. Schwäbisch Gmünd, 23.6. Mannheim, 24.6. Bonn, 26.6. Abenberg, 28.6. Berlin, 29.6. Hamburg, 1.7. München, 2.7. Dortmund

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Exzerpt aus:
„Woodstock war keine Verschwörung“
Ein Besuch im Coldwater Canyon beim legendären Choleriker Stephen Stills, der eine Schlüsselfigur seiner Generation war, auch wenn er sich den Ruhm mit Crosby, Nash, Young und Dylan teilen musste

von ANDRIAN KREYE
Süddeutsche Zeitung, 23. März 2013

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