F.A.S., 28. September 2008

Jacques Brel ist noch da

Der belgische Chansonnier ist dreißig Jahre nach seinem Tod unvergessen.

Von Angelika Heinick

Paris. Im Dezember 2005 haben die frankophonen belgischen Fernsehzuschauer ihn zum „größten Belgier aller Zeiten“ gekürt: Jacques Brel. Frankreich, zweite Heimat und Resonanzboden vieler belgischer Künstler, bot ihm das Sprungbrett zur internationalen Karriere. Nun haben seine Fans, zu denen auch Jüngere und Nachgeborene gehören, bei einer Auktion in Paris die Gelegenheit, das eine oder andere Zeugnis der so steilen wie kurzen Karriere des Chansonniers zu ergattern.

Jacques Brel – ein Mythos entspannt an der Rampe.

Fotos © Henri Elwing / Sotheby’s

Fast auf den Tag genau drei Jahrzehnte nachdem Jacques Brel in einem Krankenhaus bei Paris im Alter von 49 Jahren starb, kommt bei Sotheby's am 8. Oktober ein Konvolut mit Autographen, Schallplatten, Fotografien, Plakaten und Pressemappen samt persönlichen Memorabilia zur Versteigerung. Die Provenienz der 94 Lose, die auf insgesamt 340.000 bis 470.000 Euro geschätzt sind, wird bis auf den Hinweis „eine Privatsammlung“ nicht enthüllt. Im Frühjahr 2003 hatten die Pariser Auktionshäuser Gros-Delettrez und Voutier schon einmal die Versteigerung dieses Konvoluts „aus dem Nachlass einer Freundin des Sängers der Jahre 1962 bis 1968“ angekündigt, doch wurde die Auktion damals kurzfristig ohne Begründung abgesagt. Inoffiziell hieß es, die Rechte an den Chansontexten seien nicht mit den Erben Brels geklärt gewesen.

Ein schon historisches Konzertplakat von 1966 kann 150 bis 200 Euro kosten.

Eben aus urheberrechtlichen Gründen präsentiert der Katalog von Sotheby's die handschriftlichen Entwürfe Jacques Brels, etwa ein Drittel der Lose, nur partiell. Brel brachte seine Texte entweder auf losen Blättern zu Papier oder in Spiralheften. Die Autographen geben Einblick in den Aufbau der Strophen, des sprachlichen und des musikalischen Rhythmus: Anhand von Streichungen und Unterstreichungen schälte Brel die Refrains gewissermaßen heraus, die noch heute in unseren Ohren nachklingen.

Mit Kommentaren Brels zwischen den Stücken: Für die originale Studiopressung mit der belgischen Version des Chanson „La  Quête“ sind 8 000 bis 10 000 Euro fällig.

Da ist „Amsterdam“, eines seiner berühmtesten Chansons, das der Verlassenheit der Seeleute und ihren unerfüllten Träumen ein unauslöschliches Denkmal setzt: „Dans le port d'Amsterdam y a des marins qui pleurent / dansent / chantent / mangent“ schrieb er - um später den einen oder anderen Schluss des Refrains wieder zu verwerfen. Für die erste Interpretation von „Amsterdam“, 1964 im Pariser „Olympia“, erntete Jacques Brel begeisterten Applaus. Die Niederschrift von „Amsterdam“ ist Teil eines Spiralhefts der Marke „Le Calligraphe“ mit grüner Kladde, das noch andere Entwürfe enthält, darunter für „Les Timides“, „La chanson de Jacky“ und „Cheval“, außerdem Notizen zu „Grand-Mère“ oder „Mon enfance“. Das Heft mit 59 beschriebenen Seiten ist als teuerstes Los der Auktion auf 50.000 bis 70.000 Euro geschätzt.

Für des Sängers Gitarre der Firma Hopf sollten es bestimmt 6 000 bis 8 000 Euro sein.

Ein anderes Spiralheft von 1966 mit Karopapier enthält Varianten von Titeln wie „Hé m'man“, „Je suis bien“ oder „Mon père disait“ (Taxe 15.000/18.000 Euro). Ein erster Entwurf zu „Mathilde“ von 1964 beschreibt auf einem losen Blatt (3000/5000 Euro) die Verzweiflung der Liebe ohne Sentimentalität - „Ce soir je ne bois que du chagrin“: Heute Abend trinke ich nur Kummer.

Verlässliches Design: Plakate für Konzerte in dem Live-Club Olympia aus verschieden Jahre sind die Vorlage für diese Glasbecher (Taxe 400/600 Euro).

Die Auktion spannt den Bogen vom Pariser Debüt Jacques Brels bis hin zu seinem Abschied von der Konzertbühne. Eines der Plakate erwähnt ihn im September 1953 im Begleitprogramm eines Konzerts von Mouloudji im Kabarett „Trois Baudets“ am Boulevard de Clichy (1000/1500 Euro); dort begannen auch Serge Gainsbourg und Georges Brassens ihre Karrieren. Und ein Original-Tonbandmitschnitt hat seinen letzten Auftritt im Pariser „Olympia“ am 1. November 1966 aufgezeichnet (600/1000 Euro). Zu den faszinierendsten und seltensten Dokumenten gehören ein Kalender, ein Routenplan und ein Heft mit handgeschriebenen persönlichen Eindrücken von Jacques Brels Tourneen der Jahre 1961 bis 1966; allein für das Jahr 1962 sind 327 Auftritte dokumentiert (5000/7000 Euro). Dieser höllische Rhythmus brachte ihn ein paar Jahre später dazu, der Bühne zu entsagen; am 16. Mai 1967 hat er im nordfranzösischen Roubaix sein letztes Konzert gegeben.

Vom letzten Konzert im Olympia: Bandaufnahmen auf Agfa-Material (Taxe 600/1000 Euro).

Ein Los mit 52 Singles aus den Jahren 1955 bis 1967, taxiert auf 500 bis 800 Euro, dürfte die Nostalgiker ebenso auf den Plan rufen wie die achtzig Konzertfotos (1200/ 1600 Euro) und die 110 Fotos von Jacques Brel und seinen Freunden, Dalida und Guy Béart oder dem Direktor des „Olympia“ Bruno Coquatrix (1000/1500 Euro). Acht Aufnahmen mit seinem vielleicht engsten Freund Georges Brassens aus den Jahren 1965/1966 werden auf 1200 bis 1800 Euro geschätzt. Und für seine hauptsächlich zu Proben benutzten Gitarren der Marken „Maître Hopf“ samt Hülle von 1957 und „Höfner“, deren schwarzer Maroquin-Koffer noch den Aufkleber „Air France Nice“ trägt, sind zwischen 6000 und 8000 beziehungsweise 4000 bis 6000 Euro anzulegen. Die Auktion schließt mit einer Pfeife der Marke Longchamp (800/1200 Euro). Die Pfeife allerdings ist als Markenzeichen schon vergeben - an Georges Simenon natürlich, noch einen der größten Belgier aller Zeiten.

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