Oscar Emmanual Peterson


- Herr über ein Meer von Tasten
..von Wolfgang Sandner,
..FAZnet, 26.12.2000

- Klavierläufe wie Funkenketten
..von Thomas Steinfeld,
..Süddeutsche Zeitung, 26.12.2007


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.12.2007

Herr über ein Meer von Tasten

Von Wolfgang Sandner

26. Dezember 2007
In den Erinnerungen des Pianisten Art Hodes kann man nachlesen, was ein Jazzmusiker in Amerika noch bis in die sechziger Jahre gelegentlich zu hören bekam, wenn er sich bei einem Clubmanager um ein Engagement bemühte: „Was kannst du außer Musik machen? Trägst du komische Hüte oder Kostüme? Erzählst du Witze, oder machst du Handstand?“ Wäre Oscar Peterson das passiert, er hätte wohl auf den Absätzen seiner schwarz lackierten Schuhe kehrtgemacht, den Mantel über seinem Smoking zugeknöpft, sich eine Pfeife angesteckt und das Etablissement kommentarlos verlassen.

Wenn es - vielleicht neben Duke Ellington - einen Jazzmusiker gegeben hat, der die Emanzipation des Jazz als Kunstform schon in seiner äußeren Erscheinung verkörperte, dann ist es der kanadische Pianist Oscar Peterson, Jahrgang 1925, gewesen.

Der Impresario Norman Granz hat den Titel „Jazz at the Philharmonic“, unter dem er die größten Jazzmusiker seines Landes noch während des Krieges durch Amerika und danach weltweit auf Tournee schickte, nicht für Oscar Peterson erschaffen. Aber keiner hat so sehr die Idee hinter dem Etikett erfüllt wie der Mann aus Montreal. Oscar Peterson hat dafür gesorgt, den Jazz hoffähig zu machen.

Der Potwal, der Notenfontänen in die Luft sprudelt

Er hat es natürlich nicht nur durch seine tadellose Kleidung erreicht oder durch die Orte, an denen er auftrat - von der Carnegie Hall zur Berliner Philharmonie und von der Pariser Salle Pleyel zum Stratford Shakespearean Festival. Es war vor allem sein Klavierstil, mit dem er sich über den Jazzkreis hinaus Ansehen erwarb. Seine klassische Ausbildung, seine Anschlagskultur, sein Gespür für melodischen Fluss, all das ist auch in den weitschweifigsten Improvisationen hörbar geblieben. Die Attitüde der Bebop-Revolutionäre, die mit ihren harmonischen Alterationen lieber den Putz von den Kellerwänden spielten, als sich einem klassisch ausgewogenen Mainstream zu beugen, hat der barocke Formen liebende Peterson nie angenommen.

Wenn dieses jazzmusikalische Schwergewicht spielte, dann schien es, als wollte es seine Leibesfülle transzendieren. Alles sollte federleicht klingen, selbst wenn Peterson aberwitzig viele Töne in einer einzigen Sekunde herausschleuderte oder zwischen die Melodielinien noch ein paar Arabesken, ein paar Triller und verhuschte Nebentöne einbaute. Peterson verfügte, wie alle großen Jazzmusiker, über ein untrügliches Zeitgefühl. Sinn für Pausen aber kannte er nie. Und so hat ihn nichts besser charakterisiert als das graphische Psychogramm Tony Munzlingers von 1965, eine Zeichnung, die Oscar Peterson als Pottwal darstellt, der in einem Klaviertastenmeer schwimmt und aus seinem Blasloch auf dem Rücken Notenfontänen in die Luft sprudelt.

Getrieben von einem musikalischen Horror Vacui

Die Musik drängte aus ihm heraus, als gäbe es keinen Platz, als müssten alle Klangeindrücke sofort wieder gelöscht und durch neue Tontrauben ersetzt werden. In den besten Momenten - etwa in den Aufnahmen des Oscar Peterson Trios mit dem Saxophonisten Stan Getz Anfang der sechziger Jahre - kam auf diese Weise ein intensives Musizieren zustande, mit dichten Klangverbindungen, unerhörtem rhythmischem Drive und melodischen Kettenreaktionen. Dass dieses Spiel, getrieben bisweilen von einem musikalischen Horror Vacui, in uninspirierten Momenten auch reines Passagengeklingel entstehen lassen konnte, versteht sich fast von selbst. Auch ein Keith Jarrett war vor diesem pianistischen Leerlauf nicht gefeit.

Wer die Technik des Klavierspiels so beherrschte wie Oscar Peterson, der konnte sich als Spieler auch selbst genügen. Und so hat Peterson immer auch die kleinen Formationen favorisiert: Duos und Trios, vorwiegend mit den Bassisten Ray Brown und Niels Henning Ørsted Pedersen sowie den Gitarristen Barney Kessel, Joe Pass oder Herb Ellis. Auf Schlagzeuger konnte dieser filigrane Kammerjazz häufig verzichten.

Ein begehrtes, überquellendes Improvisationstalent

Seine stilistische Versiertheit und sein überquellendes Improvisationstalent, nicht zuletzt auch seine stupende Beherrschung von Standards machten ihn auch zum begehrten Begleiter von Sängern und großen Instrumentalisten wie Billie Holiday und Ella Fitzgerald, Nat King Cole und Louis Armstrong, von Charlie Parker, Dizzy Gillespie oder Jay Jay Johnson.

Oscar Peterson war ein großer Pianist, der mit den Größten seiner Zunft zusammengespielt hat. Seine Aufnahmen bilden allein schon eine Enzyklopädie des Jazz. Am Sonntag ist Oscar Peterson in seinem Haus bei Toronto im Alter von zweiundachtzig Jahren gestorben.

Text: F.A.Z., 27.12.2007, Nr. 300 / Seite 29
Bildmaterial: AP, REUTERS

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SZ | Kultur | 26.12.2007 19:00

Klavierläufe wie Funkenketten

Traumwandlerisch sicher federnder Swing:
Zum Tod des Jazzpianisten Oscar Peterson

Leicht war der Stil des Pianisten Oscar Peterson, von immer wieder erstaunlicher Virtuosität, und selbst bei höchsten Geschwindigkeiten gingen weder die Melodie noch der Swing verloren. Der Beat beugte sich nach vorne, lehnte sich zurück, drehte eine Pirouette um einen alten Schlager oder ein Motiv aus der romantischen Klaviermusik, und der Takt war bloß noch ein dunkel pochendes, lose pendelndes Ding - und doch ging er nie verloren.

Es braucht Gewicht, um so viel lockere Leichtigkeit hervorzubringen. Man benötigt Stärke, um die vielen dahinrasenden Töne in eine Form zu bannen, man muss Schwerkraft herstellen können, um der Freude am Spielerischen eine Dramaturgie zu verleihen. Oscar Peterson besaß immer beides, die fast grenzenlose Virtuosität und das Formbewusstsein, die Leichtigkeit und die Kraft, die Verspieltheit und das Gewicht. Als er am vergangenen Wochenende im Alter von 82 Jahren starb, ging der letzte große Musiker aus der klassischen Periode des Jazz dahin.

Die Legenden des Jazz beginnen meist in New York oder in Chicago. Oscar Peterson kam aus Montréal, aus der kanadischen Provinz Québec, die damals bei weitem noch nicht so frankophon war, wie sie heute ist. Als Sohn eines Gepäckträgers wuchs er in "Klein-Burgund" auf, einem Arbeiterstadtteil im Südosten der Innenstadt am Ufer des St. Lorenz-Stroms, aber sein Talent wurde früh erkannt. Er erhielt eine klassische Ausbildung, und manch einer meinte noch beim späten Oscar Petersen den Einfluss von Franz Liszt heraushören zu können. Doch schon als Jugendlicher hatte er sich ganz dem Jazz zugewandt, tourte mit dem Trompeter Johnny Holmes und spielte in den Clubs von Montréal, bis er von Norman Granz für "Jazz at the Philharmonic" entdeckt wurde und im September 1949 zum ersten Mal in der Carnegie Hall in New York auftrat. In dieser Zeit hatte er seinen Stil schon herausgebildet, fest auf dem Boogie Woogie gegründet und in der Mitte zwischen Swing und Bebop festgehalten. Er änderte ihn sein Leben lang nicht mehr, auch wenn er aus seiner Schulung in der spätromantischen Klaviermusik keinen Hehl machte - und Norman Granz behielt er als Manager bis in die späten achtziger Jahre.

Vom Rascheln zum Donnern

Wenn es einen Musiker gibt, der Oscar Petersons Stil am Piano prägte, so war es Art Tatum. Aber Oscar Peterson spielte leichter als sein Vorbild, schuf genug Platz für einen Schlagzeuger, einen Bassisten und oft auch für einen Gitarristen. Und er nutzte die Gegenwart der anderen Musiker, um sie - immer spielerisch, aber nach strengen Regeln - zum Wettbewerb herauszufordern: Ray Brown, sein Bassist in den fünfziger Jahren, vermochte dagegenzuhalten, auch dessen später Nachfolger Niels-Henning Ørsted-Pedersen und die Gitarristen Barney Kessel und Herb Ellis. Und die Zeit, in der er als ein Anachronismus galt, weil er angeblich nicht frei improvisierte, war kurz. "Sogar den Blues musste er lernen", meinte zwar Miles Davis, aber in diesem Satz verbarg sich auch der landläufige Dünkel gegenüber dem Virtuosen. Erstaunlich genug überlebte dieser, auch als er nicht mehr virtuos war. Ein Schlaganfall lähmte 1993 die linke Körperhälfte Oscar Petersons, aber die Musik und auch die Konzerte gab er nicht auf, auch wenn er sich jetzt auf die Melodien konzentrierte, auf die langsamen vor allem, und diese spielte er ergreifender als je zuvor.

Mehr als 200 Schallplatten nahm Oscar Peterson auf, und es sind viele darunter, die zum festen Repertoire des Jazz gehören - vor allem auf den mit seinem Trio in den fünfziger Jahren eingespielten Alben, dann aber auch Aufnahmen, die er mit Ella Fitzgerald, Stan Getz oder Charlie Parker machte. In all diesen ist Oscar Peterson sofort zu erkennen: an den klaren, perfekt ausbalancierten Läufen, die, Funkenketten gleich, noch aus ihren kleinsten Elementen große Melodien herausbildeten, an einem scharfen Sinn für die Dynamik, am Gefühl für die Dramaturgie des Raschelns und Donnerns, an der linken Hand, die sich ebenso sicher und flink über die Tasten bewegt wie die rechte, und vor allem an seinem unerschütterlichen, kompakten, traumwandlerisch sicher federnden Swing.

"You Look Good To Me" hieß eines seiner schönsten Stücke, und wie er darin vom romantischen Klavierstück über den Schlager in den Bebop und zurück in den Boogie findet - das tut ihm keiner nach.

THOMAS STEINFELD


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