Nico Christa Päffgen wird am 16. Oktober 1938 von ihrer Mutter, Margarete Päffgen, in Köln geboren. Auf der Flucht vor den Bomben zog ihre Mutter mit ihr zu den Großeltern nach Lübbenau im Spreewald nahe Berlin, wo ihr Bruder als Bahnhofsvorsteher arbeitete. In einem Haus in der Nähe des Bahnhofs wuchs Christa auf. Der Vater wurde nach ihrer Geburt zur Wehrmacht eingezogen und kehrte, obwohl er den Krieg wohl überlebt hat, nie zur Familie zurück. Ihre Mutter, die nach dem Krieg nach Berlin geht und dort als Schneiderin arbeitet, spricht oft von Selbstmord. Mit sechzehn wird Christa Päffgen für die Modewelt entdeckt. Der Fotograf Herbert Tobias macht erste Aufnahmen von ihr; der Modeschöpfer Heinz Oestergaard engagiert sie als Mannequin. In dem Fellini-Film "La Dolce Vita" spielt sie mit hellblond gefärbten Haaren ihre erste kleine Rolle. Für Modeaufnahmen pendelt sie zwischen Berlin, Paris, London und Rom. Christa Päffgen ist im Jetset angekommen. 1959, mit knapp 21 Jahren, zieht sie nach Paris und lernt den zwanzig Jahre älteren Filmemacher Nico Papatakis kennen und lieben und nennt sich sinniger weise fortan: Nico. Nach zwei Jahren gesteht sie ihm, dass sie - "vom schönsten Mann der Welt", Alain Delon, schwanger ist. 1962 kommt Christian Aaron Päffgen, genannt Ari, zur Welt. Alain Delon, der noch mit Romy Schneider liiert ist, bestreitet die Vaterschaft - im Gegensatz zu seiner Mutter Edith Boulogne, die sich gemeinsam mit Nico um Ari kümmert. In London trifft Nico Brian Jones und nimmt für das Label des Rolling-Stones-Managers Andrew Loog Oldham ihre erste Single "The Last Mile/I'm Not Sayin'" auf. Sie nimmt Schauspielunterricht an der Strasberg-Schule. Bob Dylan, der ihr ein Lied schenkt: "I'll Keep lt With Mine", stellt sie in der Factory Andy Warhol vor, der ihr eine Rolle in seinem Film "Chelsea Girls" gibt und sie mit der Band bekannt macht, die er managen will: The Velvet Underground. Paul Morrissey: "Die Velvets brauchten einen Kontrast zu ihrer schrillen Hässlichkeit und Dekadenz. Das war Nico." Nicos Affäre mit Lou Reed inspirierte den zu Stücken wie "Femme Fatale", "All Tomorrow's Parties" und "I'll Be Your Mirror". Doch Nico wird Andy Warhols Alter Ego für dessen ungelebte homosexuellen Wünsche: Elegant, kräftig gebaut, mit tiefe Stimme, bei eindeutiger Weiblichkeit eine männliche Ausstrahlung. In der Kellerbar "Stanley's" unter dem "Dome" beginnt sie mit Soloauftritten mit Gitarrenbegleitung vom Band, bis sie den achtzehnjährigen Jackson Browne trifft, mit dem sie eine Weile zusammen lebt. Leonard Cohen kommt jeden Abend ins "Stanley's" und betet sie an. Später widmet er ihr das Liebeslied "Take This Longing". Ihrer Mutter wird in Kölner Kliniken eine schwere Paranoia und die Parkinsonsche Krankheit diagnostiziert. Sie nimmt daraufhin ihren Sohn Ari zu sich nach New York und schleppt ihn nächtelang und überall hin mit sich. Als er Tobsuchtsanfälle bekommt, bittet sie Edith Boulogne, die Mutter von Alain Delon, ihn zu sich nach Bourg-la-Reine in der Nähe von Paris zu nehmen. Nach dem Bruch mit Velvet Underground erscheint 1968 Nicos erstes Soloalbum, "Chelsea Girl". Nicos sakral anmutende Interpretation der Lieder wurzelt in der europäischen Tradition - sie ist eine Chanteuse, keine Rocksängerin. Ihre Stimme klingt dunkel und durchdringend, leise und verzweifelt. In Kalifornien trifft sie Jim Morrison und färbt ihre Haare aus Liebe zu ihm rot. Morrison bestärkt Nico darin, eigene Songs aufzunehmen, fordert sie auf, ihre Träume zu notieren und dann zu vertonen. "The Marble Index", ihre nächste Platte, ist ein unbarmherziges, erschreckendes Werk. John Cale, der sich ebenfalls mit Lou Reed zerstritten hat, produziert und arrangiert das Album. John Cale: "Manchmal, wenn man mit ihr redete, starrte sie in die Luft. Sie antwortete nicht, war geistesabwesend. Aber Stunden oder gar Tage später kam sie auf das Thema zurück, als sei nur eine Minute vergangen. Ich fand das toll. Sie war wie ein Alien - nicht von dieser Welt. Verloren." 1970 stirbt ihre Mutter an einer doppelseitigen Lungenentzündung. Nico verlässt New York und geht wieder nach Paris, wo sie sich in den französischen Filmemacher Philippe Garrel verliebt. Der dreht fortan nur noch Filme über sie und seine Beziehung zu ihr. Ari kommt auf ein katholisches Internat und pendelt zwischen Boheme und Bourgeoisie, bis ihn Edith Boulogne 1978 adoptiert. Nico gibt Solokonzerte mit ihrem Harmonium (pump organ). Während Garrel LSD-Trips wirft, findet Nico Gefallen an Heroin, bis sich beide nicht mehr aushalten können. Bei einem Gastspiel lernt Nico den 14 Jahre jüngeren Berliner Musiker Lutz Ulbrich kennen, der sich in sie verliebt und sie zu Konzerten begleitete. In London tritt Nico 1974 mit Brian Eno und John Cale auf und nimmt später mit ihnen "The End" auf. Das Doors-Stück klingt bei Nico noch unheilvoller als bei Jim Morrison. Sie singt auch erstmals das Deutschlandlied mit der verbotenen Strophe, das sie später auf Konzerten Andreas Baader widmet. Sie betont immer, eine Deutsche zu sein, und leidet gleichzeitig unter der historischen Schuld. In England trifft sie den 27jährigen Konzertveranstalter Alan Wise. Er wird ihr Manager und überredet sie, nach Manchester zu ziehen, organisiert ihr Begleitmusiker, Konzerte, Tourneen und Heroin, drei Schuss pro Tag, für hundert Pfund, dreihundert Mark. Sie zieht sich immer mehr zurück. Es stört sie nicht, süchtig und dauernd bedröhnt zu sein. Im Gegenteil - das Heroin gibt ihr ein Zuhause. Sie kann sich in der Vergangenheit einrichten und die Gegenwart aussperren. Die Droge vernichtet all ihre sexuellen Bedürfnisse. Und Nico ist froh darüber, endlich ihre Ruhe zu haben. Wochenlang läuft sie in denselben Klamotten herum, wäscht sich kaum, hat fettige Haare und raucht Kette. Sie ist Ende vierzig, und Freunde erkennen sie kaum noch. Ihr mittlerweile volljähriger Sohn kommt auch nach Manchester und beginnt ebenfalls Heroin zu spritzen und in einem Bett mit seiner Mutter zu schlafen. 1985 geht Nico mit John Cale ins Studio und nimmt "Camera Obscura" auf. Die LP bekommt freundliche Kritiken, und Nico gibt danach bessere Vorstellungen als lange Zeit davor. Sie wird wieder selbstsicherer auf der Bühne. Nach fünfzehn Jahren Heroin schraubt sie endlich ihre Dosis runter und steigt auf Methadon um. Sie arbeitet an einer neuen Platte und gibt Konzerte in Ost- und Westeuropa. Nebenbei schreibt sie an ihrer Autobiografie, die eine Mischung aus Tatsachen und Fiktion werden soll. 1986 folgt eine Tournee durch Australien sowie ein passables Live-Doppelalbum ("Behind the Iron Curtain"). Sie wird strenge Vegetarierin. Im Sommer 1988 veranstaltet ihr ehemalige Liebhaber Lutz Ulbrich ein Festival im Berliner Planetarium. Er lädt Nico ein, die am 4. Juni 1988 mit ihrer Band the Faction in Berlin eintrifft. Das Konzert - die Musik wird mit optischen Effekten untermalt - wird ein gewaltiger Erfolg, das Publikum will eine Zugabe. Nico singt "You Forget to Answer". Es ist der letzte Song, den sie je auf einer Bühne singen wird. Nico mietet für sich und ihren Sohn ein Haus auf Ibiza. Seit dem Konzert in Berlin leidet sie unter Kopfschmerzen. Ari: Am Mittag des 18. Juli 1988 zeigt das Thermometer über 40 Grad, Nico trägt eine schwarze Lederhose, ein schwarzes Sweatshirt. In der Mittagshitze fährt sie mit dem Fahrrad zur 10 km entfernten Ibiza-Stadt, um etwas Haschisch zu kaufen. Auf dem Marktplatz versagen plötzlich ihre Kräfte. Sie kann nicht mehr sprechen und ist halbseitig gelähmt. Ein junges Paar lädt sie ins Auto und fährt die Krankenhäuser der Insel ab. Im ersten sind keine Ärzte da, im zweiten auch nicht. In der größten Klinik der Insel wird sie endlich operiert. Sie stirbt an den Folgen eines Blutgerinnsels im Gehirn. Am 16. August 1988 wird ihre Asche in Berlin-Grunewald neben dem Grab ihrer Mutter beigesetzt. ### Werner Fritsch […]» hat dem Popstar Nico mit seinem Monolog "Nico - Sphinx aus Eis" ein Denkmal gesetzt. ### Köln, 16. Februar 2006 Siehe auch: Ein Platz für Nico […]» Siehe auch: highdive 1 […]», 2 […]», 3 […]», 4 […]». DIE ZEIT […]» Die Welt […]» Kölner Stadtanzeiger […]» Rockzirkus […]» Ari Boulognes Biographie […]» GQ - Das Rätsel um Nico […]» |
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