Hans Otto
Wolfgang Neuss

"Der Mann mit der Pauke"


Wolfgang Neuss wurde am 3. Dezember 1923 in Breslau/Schlesien/Polen geboren.

1941, mit kaum 18 Jahren, schießt er sich als Soldat den Zeigefinger der linken Hand ab, um ins Lazarett zu kommen. Dort spielt er für die Verwundeten. (Legende?)

1945 erzählt er folgende Politpointe:

"Da wir gerade davon sprechen.
Die Engländer sind ja feine Leute,
alles was recht ist...
Sehen Sie mal, was machen
die Engländer neuerdings?
Schon gehört?
Die fahren mit Ihren Schiffen
ins Bikini-Atoll.
Da haben sie Schweine drauf.
Und natürlich Engländer.
Jetzt kommt's:
Erst schmeißen sie
die Schweine ins Wasser,
dann werfen sie eine Atombombe.
Wissen Sie was passiert?
Ein Teil der Schweine geht unter,
die anderen Schweine
fahren wieder nach Hause..."

Dafür erhielt Neuss wegen Verächtlichmachung der Besatzungs Macht ein halbes Jahr Gefängnis. Noch später schwärmte er:

"Ein halbes Jahr für einen Witz? - Glück!"

1949 treten Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller zum ersten Mal gemeinsam auf. Sie spielen Kabarett, Theater, Kino, Radio, Fernsehen.

1955, Theodor Blank ist erster deutscher Verteidigungsminister geworden:

Strauß war angeblich zuvor 'ne Hand abgefallen: "Wenn wir jemals wieder in Deutschland eine Waffe anfassen sollten, soll uns die Hand abfallen" und als das "Amt Blank" zum Verteidigungs-Ministerium umgewandelt wurde, war er wohl noch nicht genesen....

Der SFB-Intendant Braun schaltet während einer Neuss-Live-Nummer im Fernsehen den Ton ab und täuscht eine "technische Störung" vor. Das Pointenfeuerwerk, mit dem Adenauer, Neonazis und Militarismus eingedeckt wurden, war den Verantwortlichen zu erleuchtend.

1958, der Film "Wir Wunderkinder" mit Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller. Das deutsche Kinopublikum war nicht gerade begeistert. Der Film war zu kritisch mit der bis dato deutschen Entwicklung; der Film, "Das Wirtshaus im Spessart", da trivialer, traf schon eher den Geschmack des deutschen Kinopublikums.

1960 stirbt Wolfgang Müller bei einem Flugzeugabsturz in der Schweiz. Wolfgang Neuss: "Als Wolfgang Müller starb - zuerst hab ich mich einfach geweigert das zu glauben. Und dann hab' ich mir gesagt: Jetzt mußt Du eben alles alleine weiter machen. Das, was wir zusammen vorhatten.

So kam ich zu meinem ersten Soloprogramm. Ich hab' den Müller irgendwie selbst mitgespielt. So ist Kabarett. Und dazu gehört auch, dass ich selbst bei dem Tod eines Mannes einen Witz nicht verabscheuen würde. Leben und Tod, das hat beides mit der Bühne zu tun. Weil sich hier alles abspielt."

1962 bringt Neuss für 787,12 DM "die Nation in Aufruhr" (DER SPEIGEL). Im Westberliner "Abend" verrät er einen Tag vor Schluß der Durbridge Krimiserie "Das Halstuch" (der Straßenfeger der deutschen Fernsehgeschichte schlechthin, mit Einschaltquoten von bis zu 98%!) in einer Anzeige den TV-Mörder: Dieter Borsche.

Neuss hatte bloß geraten, er kannte die Serie garnicht, er wollte mit der Anzeige Werbung für seinen Film "Genosse Münchhausen" machen - was gründlich mißlang.

Mitte der 60er wird er von den Berliner Tageszeitungen mit Anzeigenboykott für sein Programm und mit täglichen journalistischen Angriffen belegt.

Er hatte sich im Vietnamkrieg auf die Seite von Nord-Vietnam gestellt und eine Sammelaktion der Berliner Tageszeitung für amerikanische GI-Opfer des Vietnamkrieges mit dem Hinweis kritisiert, dass der von den Amerikanern unterstützte Süd-Vietnamesische Machthaber offiziell Adolf Hitler zu seinem Vorbild erklärte.

Ab 1973 wird es still um Wolfgang Neuss, er zieht sich von der Kabarettbühne zurück. Wegen Haschisch- und LSD-Besitzes wird er 1979 zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.

In den 80ern tritt er wieder in Erscheinung.

Unfreiwillig: die Presse stürzt sich auf ihn, als sie erfährt, dass er von Solzialhilfe leben muß.

Freiwillig: sein legendärer Auftritt in einer ZDF-Talkshow, Dezember 1983, mit Richard von Weizsäcker, der gerade für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen wurde. Die Talkmaster müssen vor Neuss kapitulieren, weil er sie verbal überfährt und Weizsäcker am Ende einfach selber interviewt.

1984 erneut wegen Haschisch- und LSD-Besitzes verurteilt, diesmal zu einem Jahr auf Bewährung.

Für Kabarettfreunde ist Wolfgang Neuss ein Guru des Wortwitzes, ein Mensch, der bewußt auf Konsum verzichtet und asketisch lebt. Für die Presse ist er das typische Beispiel eines verwahrlosten Drogenabhägigen, der sich auch noch für die Legalisierung von Kanabisprodukten einsetzt.

1988 betritt Neuss anläßlich seines 65sten Geburtstages zum letzten Mal die Bühne. Fünf Monate später, am 05. Mai 1989 stirbt Wolfgang Neuss in seiner Charlottenburger Wohnung.

Er wird auf dem Berliner Waldfriedhof Zehlendorf an der Seite seines Kabarettpartners Wolfgang Müller beigesetzt.

Deutschland hat einen großen Kabarettisten verloren? Quatsch, wir haben alle gewonnen, weil ein Wolfgang Neuss gelebt hat!

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"Man quält mich, ich soll mal einen positiven Witz über die CDU-Regierung machen. Also gut: Sie reagieren sozialdemokratisch. Mehr hab ich nicht drauf. Und wer nicht haargenau wie die CDU denkt, fliegt glatt aus der SPD."

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"Es gibt einen viel intimeren Kontakt als Beischlaf: Beidenken."

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"Der neue Wert: Niedrige Einschaltquoten: Je weniger zugucken, um so edler die Sendung. (Mehr Botschaft vom Kastenmedium fordern)."

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"Eine Frage schwirrt mir durchs Hirn: Kann man so geschickt schweigen, dass man verstanden wird?"

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