Arthur Penn

Mit „Bonnie und Clyde“ führte er Hollywood in seine spannendste Ära: "New Hollywood" 

Von Tobias Kniebe 

Als der Traum zu Ende war, setzte er seinen Helden mitten im Ozean aus, zerstörte sein Motorboot und überließ ihn seinem Schicksal.

Wenige letzte Szenen der Filmgeschichte sind so tief mit Pessimismus getränkt, und gleichzeitig so gleißend und mitleidlos hell wie das Schlussbild von Arthur Penns Night Moves / Die heiße Spur aus dem Jahr 1975. Gene Hackman spielt da einen Detektiv, den eine ziemlich verworrene Erbschaftsstory auf die Florida Keys geführt hat, der aber vor allem weiß, dass er nichts mehr hat - keine Ehe mehr, keinen anständigen Beruf, keine Hoffnungen.

Wider besseren Wissens ist er trotzdem drangeblieben an dem Fall, hat ihn in letzter Minute sogar aufgeklärt. Nach dem finalen Showdown mit dem Killer, den er dabei auf den Grund des Meeres befördert hat, fährt sein Boot nun aber dummerweise nur noch im Kreis. Er ist sehr weit draußen. Er ist völlig allein. Und während er so im Kreis herumfährt, schwebt die Kamera langsam in den Himmel davon.

Auch für den Filmemacher Arthur Penn ging damit ein knappes Jahrzehnt der überbordenden Energie und Kreativität zu Ende, die das amerikanische Kino für immer verändern sollte.

Arthur Penn wurde am 27. September 1922 in Philadelphia geboren. Mit seinem Bruder Irving, der später in der Welt der Fotografie mindestens so berühmt werden sollte wie er im Film, wuchs er als Scheidungskind in New York und New Jersey auf, während die Mutter sich als alleinerziehende Krankenschwester durchkämpfte.

Die Härten dieser Kindheit fand er dann später nicht in amerikanischen Filmen gespiegelt, sondern in Truffauts Debütfilm Sie küssten und sie schlugen ihn. Die Ähnlichkeit mit dem eigenen Leben, sagte er einmal, habe ihn "wirklich überwältigt."

Mit diesem Erlebnis der transkontinentalen geistigen Bruderschaft war der Weg wohl vorgezeichnet, der ihm schließlich den Ruf eintragen sollte, der "europäischste" unter der großen amerikanischen Regisseure zu sein, anfällig für plötzliche Stimmungsumschwünge, überraschende Wendungen, Ausbrüche aus dem strengen Korsett des traditionellen Erzählens.

Sein Weg zum Kino führte dann über zwei klassische, gleichermaßen prägende Lebensschulen in New York: Das Actors Studio und das Live-Fernsehen. In der schnellen, knallhart direkten Produktionsschule dieser frühen Fernsehjahre sind auch andere groß geworden, Robert Altman, Don Siegel, Sidney Lumet, Sam Peckinpah, John Frankenheimer. Sie alle blickten dann später klarer, gnadenloser und oft auch pessimistischer auf die Wirklichkeit als ihre Zeitgenossen, und widmeten sich der lustvollen Zerstörung amerikanischer Western-, Gangster- und Detektivmythen.

Welche Sprengkraft dieses Programm entfalten sollte, zeigte sich dann bei der Eröffnung des Montreal Filmfests 1967, als Bonnie and Clyde auf der Leinwand explodierte. Zwei junge Drehbuchautoren, Robert Benton und David Newman, hatten eine historische Gangstergeschichte aus den dreißiger Jahren mit ihrer Verehrung für die französische Nouvelle Vague getränkt - aber Godard und Truffaut, die erklärten Wunschregisseure, standen nicht zur Verfügung. So blieb die Aufgabe, Hollywood neu zu definieren, dann doch in amerikanischer Hand. Arthur Penn bekam den Job von Warren Beatty, der nicht nur der Star, sondern auch der Produzent war. 

Beatty und Faye Dunaway als Gangsterpärchen, ihre Jugend, ihre Sorglosigkeit, ihre suggestiv verstörte Sexualität, ihre Brutalität und schließlich ihr Ende im Kugelhagel, die Körper durchsiebt, in Zeitlupe fallend, von Einschüssen hin- und hergeschüttelt, zerplatzend wie der knackfrische grüne Apfel, in den sie eine Sekunde zuvor noch gemeinsam hineingebissen haben - das alles riss Amerika, und bald auch die Welt, erst einmal von den Sitzen. 

Die alte Garde der Kritiker tobte. Und wurde schnell durch eine junge ersetzt, die den Geist der Zeit besser verstanden hatte. Ein Damm war gebrochen, die Fiktion hatte wieder zu den Fakten aufgeschlossen, zu den Kennedy-Morden, zum Aufstand der Jugend, zu Vietnam. "Wir sind im Krieg", erklärte Arthur Penn damals. "Da kann so ein Film nicht mehr makellos und keimfrei sein - it's fucking bloody." 

Die Filmgeschichte datiert diesen Moment als den Beginn einer Ära, für die bald der Name "New Hollywood" gefunden war. Danach kam Easy Rider, dann Coppolas Pate, schließlich Scorseses Taxi Driver. Das amerikanische Kino erlebte eine Zeit der Freiheit, eine Verunsicherung aller Geschäftsmodelle, eine Entfesselung des Denkens. Arthur Penn drehte neben Night Moves noch zwei weitere Klassiker der Epoche, Alice's Restaurant und Little Big Man.

Dem Mythos des schlagartig-historischen Einschnitts gingen in Wahrheit Zeichen des Werdens, des Gärens voraus. Ein rebellischer Nihilismus steckt schon in The Left Handed Gun. Penns Filmdebüt aus dem Jahr 1958, mit Paul Newman als jungem Billy the Kid, war die Geburt des Outlaws aus den modischen Untiefen der Psychoanalyse. The Chase von 1966, mit Marlon Brando als Sheriff im tiefen rassistischen Süden, der von rachbegierigen Vigilanten verprügelt wird - auch da sieht man noch sehr viel Actors Studio. Aber der Pessimismus verschärft sich bereits, am Ende bleibt eine Stadt zurück, in der es kein Recht mehr geben wird. Und manches darin, etwa ein blutjunger, noch unbekannter Robert Redford, der ganz in Weiß durch die Sümpfe gehetzt wird, kündigt den bilderstürmenden Fiebertraum der kommenden Jahre schon an.

Zu Ende war dann alles, als Hollywood eine neue, sichere Erfolgsformel fand, als die Wirren und Selbstzweifel vorbei waren und die Ära des Blockbusters begann. Aus dem leeren, stillen, nihilistischen Ozean von Night Moves wird, unangekündigt und mit aller Macht, im selben Sommer noch Spielbergs Weißer Hai hervorbrechen.

Am Dienstag, 28. September 2010 ist Arthur Penn zu Hause in Manhattan gestorben, nur einen Tag nach seinem 88. Geburtstag. Er war es, der vorausging und half, Hollywood in seine spannendste Ära zu führen. Jetzt geht er wieder voraus - auf dem Weg, den jede große Generation einmal gehen muss. Das dies ganz unvermeidlich ist, dass längst neue, nicht unbedingt bessere Zeiten angebrochen sind, sagt einem der wache Verstand nun seit Jahrzehnten. So sehr gefühlt wie in diesem Moment hat man es aber noch selten.


Siehe:

Zum Tod von Arthur Penn
Pionier der Revolution
von Tobias Kniebe
Süddeutsche Zeitung, 01.10.2010


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