S .T .O .R .M .B .R .I .N .G .E .R

Eine Geschichte von DEEP PURPLE

Von Christof Mallet & Oliver Lange

aus: ECLIPSED, 2002

auf Deutsch(!), nicht jeder kann schließlich jeder beliebigen Weltsprache mächtig sein.

Einige Bilder zur Auflockerung sind da, ihre zeitliche Zuordnung ist aber noch fehlerhaft.

Und nun viel Ruhe und einen langen Atem!...
Und viel Vergnügen natürlich.

Teil I 

Als Deep Purple 1968 in der englischen Grafschaft Hertfordshire in einem Bauernhaus begannen, intensiv Song-Material für Bühnenauftritte und Plattenaufnahmen auszubrüten, konnte noch niemand ahnen, dass aus der Formation, der von Beginn an Organist Jon Lord, Gitarrist Ritchie Blackmore und Drummer Ian Paice angehörten, eine der weltweit erfolgreichsten und vor allem einflussreichsten Rockbands werden würde. Mit dem entscheidenden Line Up-Wechsel 1969 gelang binnen kürzester Zeit der totale Durchbruch. Es war den neuen Mitstreitern Ian Gillan (vocals) und Roger Glover (bass) vorbehalten, das Trio aus individuellen Einzel-Könnern zu einem kongenialen Ganzen zu vervollständigen. 1969/1970 mischte das aufgefrischte Quintett die Rockszene mit zwei kolossalen Geniestreichen auf. Mit der Live-Welturaufführung des Werkes „A Concerto For Group And Orchestra“ in den heiligen Hallen der Royal Albert Hall in London gelang ein zuvor nie da gewesenes Experiment aus Rock und Klassik (mit philharmonischem Orchester), nur um kurze Zeit später die bahnbrechendste Hardrock-Granate aller Zeiten hinterher zu werfen: „DEEP PRUPLE IN ROCK“. 

Die Erfolgskurve zeigte unaufhaltsam nach oben. Die Bad wurde mit Gold&Platin-Alben überschüttet und erspielte sich mit maßstabsetzenden Live-Konzerten – „MADE IN JAPAN“ – eine riesige Fan-Gemeinde. 

1975 symbolisierte „STORMBRINGER“  Identität, Spirit und Philosophie der Musik DEEP PURPLEs: Emotionen pur, die sich in dynamisch variablen Skalen wie Blitz und Donner in einem Hardrock-Gewitter entladen. 

"C o m i n' . o u t . o f . n o w h e r e

Drivin' like rain

Stormbringer dance

On the thunder again

Dark cloud gathering

Breaking the day

No point running

'C a u s e . i t' s . c o m i n g . y o u r . w a y"

Wo zu viele Emotionen und steigende Budgets ins Spiel kamen, blieben Enttäuschungen, Skandale und Splits nicht aus. So ist die Geschichte von DEEP PURPLE... ...auch eine dynamische Chronik von fantastischen wie enttäuschenden Studio-Alben, begeisternden und ernüchternden Live-Auftritten, aufsteigenden und stagnierenden Verkaufszahlen. ...eine History der häufigen Line Up-Änderungen, aufgepeitschter Stimmungen, wüster Streitigkeiten, legendär gewordener und entfesselt ausgetragener ‚Duelle’ zwischen Blackmores Strat und Lords Hammond sowie Gillans brillanter Vokalakrobatik. ...eine Bandbiografie wie das ‚Who is who’ der Hardrock-Zunft: Als Zugänge waren im Laufe der Zeit Ian Gillan, Roger Glover, David Coverdale, Glenn Hughes, Tommy Bolin, Joe Lynn Turner, Joe Satriani, Steve Morse, Don Airey zu verzeichnen, ...ein Dokument der Tragik: Der Drogen-Tod von Blackmore-Nachfolger Bolin. 

Nahezu 35 Jahre sind seit Gründung der Band vergangen und DEEP PURPLE überraschen ihre weltweite Anhängerschaft auch im Jahr 2002 – im vierten Jahrzehnt ihres Bestehens! – noch immer mit neuen Alben und auf höchstem Niveau präsentierten Live-Shows; und das, obwohl härtere Rockmusik, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (AC/DC oder METALLICA) in unserer heutigen ‚modernen’ Musik- und Medienlandschaft nur in einschlägigen Magazinen promotet wird und auf so gut wie jeglichen manipulierten Hype via Airplay oder Audiovision a la MTV praktisch gänzlich verzichten muss (K. sagt: darf!). Wirkliche Qualität überdauert alle Trends, so werden unabhängig von irgendwelchen angesagten Richtungen Titel wie „Black Night“, „Speed King“, „Child In Time“, „Strange Kind Of Woman“, „Demon’s Eye“, „Woman Of Tokio“, „When A Blind Man Cries“, „Smoke On The Water“, „Burn“, „Soldier Of Fortune“, „Love Child“ oder „Perfect Strangers“ auch in den kommenden Jahrzehnten weiterhin genügend Zuhörer in ihren Bann ziehen. Alben wie „DEEP PURPLE IN ROCK“, „MACHINE HEAD“, „MADE IN JAPAN“, „BURN“ oder „PERFECT STRANGERS“ gehören als Pflichtrepertoire in den Schrank eines jeden Musik-Fans. DPs Rock-Klassiker bieten unstreitig mit das Feinste, was innerhalb des Hard & Heavy-Repertoires jemals produziert wurde.
 

Prolog – Bandgründung, Solisten-Biografien 

DEEP PURPLEs Erfolgsgeschichte und der Sound der Band wurden 1968 von zwei überragenden Musiker-Persönlichkeiten geprägt und dominiert: Jon Lord und Ritchie Blackmore. Nur zwei Jahre später sollten die beiden Gründer von DEEP PURPLE die Rock-Welt völlig revolutionieren... 

Lord, Jahrgang 1941 (geboren in Leicester), hatte Musik studiert und war ein ausgesprochener Klassik-Liebhaber. Der DP-Organist liebte es, aus den unerschöpflichen orchestralen Fundus der großen Meister des vergangenen Jahrhunderts zu zitieren. Die Konsequenzen dieser Passion, klassische Klangstrukturen in die harte Musik der Band zu integrieren, prägten für alle Zeit das Klangbild DEEP PURPLEs entscheidend mit. Ein kurzes Prélude als Intro zu einem Rocksong oder hie und da eine eingestreute Klassik-Improvisation – für Jon Lord war das eine Selbstverständlichkeit. Populäre Vorbilder waren u.a. THE BEATLES und die amerikanische Progressiv-Formation VANILLA FUDGE. Vor DEEP PURPLE sammelte Lord seine ersten Erfahrungen in der Welt der populären Musik sowohl in Rhythm & Blues- wie auch in Jazz-Formationen (u.a. erfolgreich mit ARTWOODS). Somit verfügte Lord bereits vor der Gründung DEEP PURPLEs über ein überdurchschnittliches technisch-handwerkliches Musiker-Rüstzeug. Das Angebot, eine neue Band zu gründen, wurde an Lord durch den exzentrischen ehemaligen Drummer der SEARCHERS (Hit: „Needles And Pins“), Chris Curtis sowie den Geschäftsmann Tony Edwards herangetragen. Diese Kontakte kamen im September/Oktober 1967 zustande. 

Blackmore, Jahrgang 1945 (geboren in Weston-Super-Mare), war bereits mehr als ein halbes Dutzend Jahre als Profimusiker im Geschäft, bevor sich die Chance abzeichnete, mit DEEP PURPLE neue Dimensionen zu erschließen. Sehr früh (mit 11) erhielt Ritchie, bürgerlich Richard Harold, Gitattenunterricht. Inspiriert wurde er dazu von Tommy Steele, Blackmore verehrte Jim Sullivan(?). Schon ab dem zarten Alter von 15 Jahren verdiente Blackmore seine ersten Brötchen als professioneller Musiker, u.a. für SCREAMING LORD SUTCH AND THE SAVAGES, für den Produzenten JOE MEEK sowie Rockbands wie den THREE MUSKETEERS, THE OUTLAWS, MANDRAKE ROOT und den FACES, einer Hamburger Band. Hamburg war in den 60er Jahren eine Hochburg der aufstrebenden Beat-Szene (berühmtestes Beispiel: Die Gastspiele von THE BEATLES im Hamburger Star Club). In einem der Beat-Clubs der Hansestadt fiel Blackmore dem besagten ‚Talentspecht’ Chris Curtis auf, der ihn sozusagen erst ‚richtig’ entdeckte und Jon Lord empfahl. Blackmore erhielt von Tony Edwards im November 1967 ein Telegramm nach Deutschland – im Dezember setzte Ritchie dann in die englische Heimat über. Als Backmore DEEP PURPLE kurze Zeit später mitbegründete, war er, ähnlich wie Lord, spieltechnisch schon auf einem recht beachtlichen Niveau angelangt. Permanent feilte er an seiner Technik und mit Freeform-Experimenten pushte und verbesserte er seine außergewöhnliche Improvisationsgabe. Ritchie Blackmore war ein äußerst talentierter junger Gitarrenheld, dessen Genialität sich durch die Schuppen bereits schälte... 

Als Bassist wurde Nick Simper verpflichtet, an den sich Lord aufgrund seiner Mitarbeit bei THE FLOWERPOT MEN  erinnerte. Weitere Station für Simper: JOHNNY KIDD AND THE LAST PIRATES. Dier ersten Sessions starteten Ende Februar 1968 in einem gemieteten Landhaus in der Grafschaft Hertfordshire, in der Nähe der Stadt South Mimms. Ziel: Repertoire-Aufbau, Set-Auswahl, Probepraxis. Problem: Es fehlten noch ein geeigneter Lead-Sänger und Drummer, denn weder Dave Curtiss (voc) noch Bobby Woodman (drums) genügten Blackmores Ansprüchen. Einen geeigneten Frontmann zu engagieren war schwierig. Auditions wurden veranstaltet, Anzeigen im ‚Melody Maker’ geschaltet. Schließlich fiel aufgrund eines Vorsingens die Wahl auf Rod Evans, der den kurz zuvor auf Probe engagierten Mick Angus ersetzte. 

Rasch war auch Bobby Woodman Vergangenheit – Rod Evans empfahl aus seiner vorherigen Band THE MAZE Ian Paice. Dieser war von nun an – und bis heute! – der Mann am Drumkit von DP. Pünktlich vor Beginn der ersten Plattenaufnahmen war Ian Paice für DEEP PURPLE präsent – und der dritte wichtige Musiker nach Lord und Blackmore in der Band, der über ein ausgezeichnetes Potential verfügte.
 

Erste Verträge, Concerts und das Debüt-Album: „SHADES OF DEEP PURPLE“ 

Für erste Aufnahmen waren die Voraussetzungen gegeben: Band-Quintett komplett, Produzent (Derek Lawrence), Studio: Trident studios, Company (HEC Enterprises Ltd.), Label (Parlophone PMC). Die akustische und vertriebliche Infrastruktur stand! Es ging aber noch nicht um die Einspielung des Debüt-Albums, sondern vielmehr um Demos einiger Songs für das (über HEC kontaktete) amerikanische Label Tetragrammaton, welches gerade Ausblick nach einer neuen britischen Band hielt. Die eingespielten Titel waren „Hush“, „Help“ (zwei Coverversionen) und die Eigenkompositionen „Love Help Me“ und „Shadows“. DEEP PURPLE hatten enormes Glück: Zum richtigen Zeitpunkt kamen die richtigen Leute am richtigen Ort zusammen. 

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Band bisher noch gar nicht unter dem Namen DEEP PURPLE  firmierte. Die Gruppe nannte sich noch immer ROUNDABOUT (was mit einer verrückten, so nie realisierten Idee von Chris Curtis zusammenhing). Mit Curtis wollte man nichts mehr zu schaffen haben, folglich auf keinen Fall mit dem Namen ROUNDABOUT auf Tour gehen. Letztlich setzte Ritchie Blackmore seinen Namenswunsch durch: DEEP PURPLE waren nun auch ‚offiziell geboren’! Die erste Tournee führte im April/Mai 68’ kurioserweise nach Skandinavien. Neben den Live-Auftritten von DEEP PURPLE (Konzert-Debüt: 20. April) entstanden in Dänemark auch die ersten offiziellen Portrait-Fotografien. Ebenso trat man mit der Coverversion von „Help“ von THE BEATLES erstmals im Fernsehen auf. 

Zurück in England, wurde der frischgegründeten Band schon der US-Deal für den amerikanischen Vertrieb der Debüt-Scheibe zugesichert. Man buchte in den Pye Studios at ATV House on Great Cumberland Place, London ein und nahm die Platte in sagenhaften zwei Tagen an einem Wochenende auf (11./12. Mai 1968). 

In Amerika erschien „SHADES OF DEEP PURPLE“ im Juli 1968 (bei Tetragrammaton Records) um zwei Monate früher als im englischen Heimatland, September 1968 (bei Parlophone PMC). Auf dem englischen Album-Cover kann man die Musiker mit den herrlich schrägen Pilzkopffrisuren bewundern. E.M.I. Records bewarben das Debüt-Album von DEEP PURPLE unter dem Slogan EMI’s Sound Attack – links daneben THE HOLLIES mit einer ‚Best Of’-Präsentation und rechts davon TYRANNOSAURUS REX mit ihrem Album „MY PEOPLE WERE FAIR AND HAD SKY IN THEIR HAIR BUT NOW THEY’RE CONTENT TO WEAR STARS ON THEIR BROWS”. Beat-Marketing des Jahres 1968! 

Die auf Wunsch der amerikanischen Plattenfirma ausgekoppelte und vorab erschienene Single „Hush“ stieg rasch in die US-Charts ein, kurz danach sprang dort auch „SHADES OF DEEP PURPLE“ in die LP-Hitparade. Mit der Entscheidung für „Hush“ bewiesen die Manager von Tragrammaton Records ein feines Näschen – die Band favorisierte als Single-Auskoppelung „Help“ (Lennon / Mc Cartney). Die Cover-Versionen waren ‚I’m So Glad“ (SKIP JAMES), „Help“ (THE BEATLES) und „Hey Joe“, einem der ganz großen Hits von Superstar JIMI HENDRIX. Obwohl noch nicht ganz perfekt, bewältigte Blackmore die Herausforderung mit Auszeichnung und erwies Meister Hendrix einen würdigen Tribute. Als Intro zu „Hey Joe“ variierte Lord klassische Motive aus einem Ballett des spanischen Komponisten Manuel de Falla. 

Blackmore, Lord & Co. steuerten vier Songs pros eine Introdution aus eigener Feder bei. Ein wildes Instrumental-Intro mit Orgel-Clustern von Jon Lord waren die Visitenkarte von DEEP PURPLEs LP-Karriere: „And The Address“. „One More Rainy Day“ ist mit Ausnahme seiner einleitenden Sound-Effekte in seiner Behäbigkeit für den heutigen Hörer nur schwer goutierbar. „Love Help Me“ klingt wie ein Klontitel der BEATLES. Bemerkenswert fällt das Prelude „Happiness“ aus, das der Cover-Version von „I’m So Glad“ vorausgestellt ist. Der beste eigenkomponierte Song des Albums ist unzweifelhaft „Mandrake Root“. Das Lied um die Alraunen-Wurzel zeigt schon sehr exemplarisch die Stärken von DP: Sehr gut geschriebene Gesangslinien, sehr heavy und exzessiv eingesetzter Gebrauch der Hammond B3, hier kann ohne weiteres schon vom expressiven Einsatz einer ‚Schweineorgel’ gesprochen werden. Fabelhaftes, sehr progressives Drumming von Ian Paice. Blackmore setzte hier stark auf Übersteuerung und Verzerrung. Die Wah-Wah-Effekte lasen hier schon die spätere Entwicklung bis hin zum Intro von „Speed King“ vorausschauen. Als Song-Opener kamen diverse Sound-Effekte zum Tragen (Wolfsgeheul auf „Hush“; Gewitter- und Regenklänge auf „One More Rainy Day“ usw.) Dies suggerierte eine aufwendige Produktion. Wollte man im Größenwahn gar den britischen Psychedelic-Göttern Pink Floyd Konkurrenz machen? Mitnichten. Diese akustischen ‚Fremd’-Einlagen stammten simpel und einfach von einem Tondokument aus einem Archiv der BBC, wo diverse spezifische Klänge gesammelt aufbewahrt wurden – heute würde man sagen ‚gesampelt’... 

Ob der unvorstellbar kurzen Produktionsdauer von „SHADES OF DEEP PURPLE“ konnte man von dem Debüt-Album natürlich nicht einen Genie-Streich erwarten. Die Auswahl von genau 50 % Fremdkompositionen auf einem Album bedingte schon in sich eine gewisse Uneinheitlichkeit. Nur selten gewinnt der Hörer den Eindruck stilistischer Geschlossenheit. Dennoch fiel das Debüt sehr beachtlich aus!
 

Erfolge in den USA – und die zweite Scheibe: „THE BOOK OF TALIESYN“ 

Drei Monate nach „SHADES OF DEEP PURPLE“  waren die aufstrebenden Jungspunde bereits wieder in London im Studio (De Lane Sea), um die zweite Scheibe „THE BOOK OF TALIESYN“ im August 1968 einzuspielen. Der Album-Titel spielt auf die Poems eines mittelalterlichen Barden an der Tafel des legendären König Arthur’s an, das Cover stammt von dem Kinderbuch-Illustrator John Vernon Lord, der aber kein Verwandter des Band-Organisten war. Während die Scheibe im Oktober 1968 (Tetragrammaton Records) in den Staaten herauskam – eine im selben Monat beginnende, ausgedehnte und erfolgreiche USA-Tour als Support für die Star Group CREAM (Trio um Eric Clapton, Jack Bruce, Ginger Baker!) war der Lohn für die Senkrechtstarter – erfolgte die Veröffentlichung im Vereinigten Königreich erst ein knappes Jahr danach, im Juli 1969 (Harvest). Harvest fungierte damals quasi als underground dependance der EMI. 

Die künstlerische Qualität des Zweit-Werkes fiel wiederum uneinheitlich aus – insgesamt gelang es aber, die Qualität des Vorgänger-Albums trotz der wiederum knappen Produktionszeit zu überbieten. Das Problem war die amerikanische Plattenfirma. Um Geld zu verdienen und in den Charts zu landen, coverte man ebenso wie bei „SHADES OF DEEP PURPLE“ gleich reihenweise Titel wie „Kentucky Woman“ (als Single-Auskoppelung der Nachfolger von „Hush“) von Neil Diamond, „We Can Work It Out“ von den BEATLES (Song-Credits für Lennon / McCartney) und „River Deep, Mountain High“, einem Hit von Ike & Tina Turner. 

„Listen, Learn, Read On“ geriet zur unfreiwilligen ‚Hommage’ an die US-Götter „THE DOORS“. Die drei Cover-Versionen waren trotz einiger sehr gelungener Instrumental-Passagen/-Soli weder Fisch noch Chips. Weil das US-Label Tetragrammaton Records unbedingt den großen Erfolg der Hit-Single „Hush“ re-pushen wollte, versuchte man mit Bewährtem die Verkaufszahlen zu steigern. Für die künstlerische Entwicklung der Band erwies sich der Druck der Plattenfirma als hinderlich. Der Neil Diamond-Song „Kentucky Woman“ hatte auf einer DEEP PURPLE-LP schlicht nichts verloren (trotz guter Soli von Blackmore / Lord). Überflüssig: Das THE BEATLES-Cover „We Can Work It Out“ (trotz starken Orgel-Solos von Lord im Mittelteil). Immerhin beeindruckte Lords dramatische Instrumental-Exposition zu einem Thema des russischen Komponisten Peter Iljitsch Tschaikowsky. Die episch überladene Cover-Version (10:12 Minuten!) von „River Deep, Mountain High“ ‚besticht’ durch grauenhafte Vocals von Rod Evans, der diesen Song leider völlig versiebte. Die Band pendelt hier unentschieden zwischen beachtlichen Psychedelic-Instrumental-Passagen (Blackmore) und gängiger Beat-Konvention. Als Intro brachte Lord wiederum eine Klassik-Paraphrase ein – diesmal aus Richard Strauss’ großem Orchester-Werk „Also sprach Zarathustra“. Hierbei übernahm sich Lord eindeutig: Zu wenig Dramatik, zu langsame Tempi. 

Zur progressiven und somit zur gelungenen Seite des Albums – der beste Titel aus „THE BOOK OF TALIESYN“ ist denn auch bezeichnenderweise ein ausgefeiltes Instrumental, Track Nr. 2: „Wring That Neck“. „Den Hals umgedreht“ – diese echte Talentprobe ist einer der besten Kompositionen der frühen Phase in der Geschichte von DEEP PURPLE und lässt die weitere Entwicklung, wohin die Richtung geht und die Zukunft der Band besteht, wirklich erahnen. „Wring That Neck“ klingt endlich wie eine ‚echte’ Purple-Komposition und hätte zumindest vom Riffing her genauso gut auf einem Album der 70er placiert sein können (das Stück wurde zurecht bei der späteren Live-Präsentation eines Drei-Song-Sets im Rahmen der einmaligen Aufführung von „CONCERTO FOR GROUP AND ORCHESTRA“ performt). Das Eingangsriff spielte aber nicht etwa Ritchie Blackmore, sondern Jon Lord, der hier einen seiner bis dato besten Einfälle sehr effektiv zur Geltung brachte. Als herausragender Könner an der Hammond limitierte sich Lord weder auf Begleitung noch auf aufwendige Soli. Es war Lords Innovation, dominante, ostinative Akkorde auf der Hammond B3 wie E-Gitarren-Riffs einzusetzen. ‚Hart’, ‚aggressiv’ oder ‚schnell’ gespielt, erzielte Lord bei so mancher Song-Introduktion frappierende Wirkung. Und Ritchie Blackmore bewältigte sein Solo mit Bravour. Atmosphärisch die Komposition „Shield“. Hier bringt Evans seine einzig wirklich überzeugende Performance auf dem Album. Klasse: Jon Lord am Piano, die fabelhafte Percussion-Arbeit von Ian Paice am Ende des Songs und die hervorragenden, ‚schrägen’ Gitarren-Harmonien von Ritchie Blackmore. „Anthem“ ist – trotz der schmusig-kitschigen Chor-Vocals – ein hervorragender Song, geschrieben von Lord/Evans. Leider zeigt die musikalische Umsetzung des Songs exemplarisch die krassen Leistungsunterschiede innerhalb der Gruppe auf – während alle Instrumentalisten glänzten, versagte Evans auf der ganzen Linie. Mit schmalzigen Vocals klang er hier wie ein peinliches, zweitklassigens Imitat von Elvis Presley. Bemerkenswert an „Anthem“ waren mehrstimmige, diesmal gute Chorus-Passagen und das multiinstrumentale Talent Lords: Er setzte erstmals bei DP ein damals supermodernes Keyboard-Instrumentarium ein, den Moog (benannt nach seinem Erbauer, Phil Moog). Jon Lord – sate of the art! Zudem besorgte er die String-Arrangements. Der Streicher-Einsatz colorierte diesen Song klanglich noch farbiger. 

Für die Feststellung des Status Quo der Band ist „THE BOOK OF TALIESYN“ ein bedeutendes Album gewesen. Warum? Weil der aufgebaute Druck und die vorgegebene Kommerzialisierung durch die Plattenfirma sowie die sich konträr entwickelnden Musiker-Philosophien innerhalb der Band letztlich DP dazu zwangen, in fragmentarischen Schritten ‚die Spreu vom Weizen’ zu trennen. Unzweifelhaft fand in der Band ein unsichtbarer Kampf statt – der nach einer sinnmachenden Perspektive mit Zukunft. Blackmore, Lord und Paice waren über jeden Zweifel erhaben – hier ging es eindeutig in die progressive Richtung. Die Co.-Songwriter und Mitmusiker, die diese progressiven Songwriter-Ideen letztlich auch kreativ und optimal umsetzen sollten, hießen aber noch nicht Gillan und Glover, sondern leider nur Simper (der hier aber respektable Arbeit ablieferte) und vor allem Evans. Ebenso hörbar ist hier aber auch die Tatsache, dass Blackmore lauter, schneller und härter sein wollte, als er ‚durfte’.

Das dritte Album innerhalb von 11 Monaten: „DEEP PURPLE“ 

Für DEEP PURPLE standen weitreichende Entscheidungen an: Weitere schwerpunktmäßige Ausrichtung der Konzertaktivitäten auf die USA (viele hielten Purple für eine Amy-Band!) oder verstärkte Präsenz auf den britischen Inseln, wo man noch keineswegs die Fans für sich gewonnen hatte? Künstlerische Ausrichtung des neuen Albums: Progressive Weiterentwicklung mit eigenständigen Ideen und Songmaterial oder künstlerische Stagnation als ‚Spezialisten’ für Cover-Versionen? Line Up: Wechsel? Simper? Evans? 

Zuerst setzte man wieder auf die amerikanische Karte: “DEEP PURPLE” kam im Juni 1969 in den USA (Tetragrammaton Records) heraus. Veröffentlichung in Great Britain bei Harvest im November. Die Aufnahmen zu dem neuen Album fanden vom Januar bis März 1969 im De Lane Lea, London, statt. Damit hatte man das Kunststück fertiggebracht, als Newcomer-Band innerhalb eines Jahres drei Studio-LPs einzuspielen! Die eigens eingespielte Single „Emmaretta“ erschien aber erstmals vor dem US-Markt in Großbritannien. Nach und nach stieg das Interesse in der englischen Presse doch merklich an. In den USA startete man im April die zweite ausgedehnte US-Tour. Es stellte sich bald heraus, dass das amerikanische Label das investierte Geld zu schnell verbrannt hatte. Konsequenz für Tetragrammaton Records: Das Aus und zugleich das Ende des amerikanischen Traumes von DEEP PURPLE. 

Der große Unterschied von „DEEP PURPLE“ zu den Vorgänger-Alben „SHADES OF DEEP PURPLE“ und „THE BOOK OF TALIESYN“ war einfach der, dass man viel besser ausgearbeitetes Songmaterial vorbereitet hatte und sich endlich auch im Studio die Zeit nahm, die Songs ausgereift arrangiert aufzunehmen. Von den acht aufgenommenen Tracks entsprangen sieben der Band-Kreativität. Diese Gründe und eine viel progressivere Ausrichtung führten dazu, dass mit „DEEP PURPLE“ der Band das mit Abstand beste Album des Mark-I-Line Up gelungen ist. Als Cover-Artwork wurde ein Gemälde von Hieronymus Bosch ausgewählt (worin die Purple-Musiker miteinkopiert wurden), weswegen in England lächerlicherweise einige Record Stores en Verkauf des neuen Albums boykottierten. Bedauerlich auch, dass das Team um Produzent Derek Lawrence und Bandmanager John Coletta nicht imstande war, einen vernünftigen Titel für das Album zu finden. Dabei wäre die Lösung so einfach gewesen: ‚Purple Progressions’... 

Die einzige Fremd-Komposition stammt aus der Feder von Pop-Märchenprinz DONOVAN: „Lalena“. Von der Band wurde das Poem filigran lyrisch-melancholisch umgesetzt – Purples Beitrag als Hommage der zu Ende gehenden Flower Power-Ära. Ausgerechnet bei einem nicht Purple-Song erbrachte Rod Evans seine beste Gesangsleistung, wunderbar trägt hier seine Stimme die Donovan’schen Lyrismen. Bei Balladen bewies Evans also, dass er auf Linie singen kann. Das härtere Material – und das dokumentieren die verbliebenen Live-Dokumente eindeutig – waren seine Sache nicht. Evans war für Lord, Paice und Blackmore ein klarer Kandidat für die Ausmusterung – trotz seiner insgesamt zufriedenstellenden und stark verbesserten Leistung auf „DEEP PURPLE“. Bei „Lalena“ lassen Lords Orgel und Paices Becken-Einsätze die Instrumentierung des späteren „Child In Time“ vorausahnen. Glücklichmachend: Ritchie Blackmores gefühlvolle Phrasierung. Blackmre entwickelt immer mehr Magie. Die Ballade „Blind“ (hervorragende Lord-Komposition) wurde von Evans ebenfalls sehr gut gesungen. Aufhorchen lässt einmal mehr Jon Lord, der hier seine Klassik-Leidenschaft frönt, indem er ein Spinett rondoartig zum Einsatz bringt. Höhepunkt des Albums (und des bisherigen Schaffens von DP) ist die Blackmore/Lord-Komposition „April“ mit höchst depressiven Lyrics über den ‚grausamen# Monat April. Den Löwen-Anteil der Arbeit hat hier eindeutig Jon Lord geleistet. „April“ kann als Paradebeispiel dessen angesehen werden, was Jon Lord damals als Stilbegriff prägte: Symphonic Rock. Die Technik von Arrangement und Orchestrierung hatte Lord sich als Autodidakt erarbeitet. „April“ schimmerte dank der Integration eines Streichquartettes (mit Flöte, Violine und Cello) in prächtiger philharmonischer Colour. Lords Ehrgeiz und Vision für eine Klassik/Rock Fusion im größeren Ausmaß zeichnetesich am Horizont schon ab. Gute Rock ‚n’ Roll-Nummern wurden mit „The Painter“, „Why Didn’t Rosemary“ geboten, bei dem Ritchie Blackmore sein bislang brillantestes Solo zauberte und Ian Paice mit afrikanisch inspirierter Percussion zu begeistern wusste. Sehr progressiv und gelungen das ungewöhnliche Instrumental „Fault Line“. Um einen einzigen Hammond-Akkord legte Lord eine immer wiederkehrende Intervall-Struktur ein, während Simper und Blackmore unabhängig davon ihre Motive darüberschichteten. Ziemlich abgefahren. Zu gefallen wusste auch der groovige R & B bei „Bird Has Flown“. Die Tage von Nick Simper sollten ebenso bald gezählt sein, zu wenig (gerade bei zwei Songs als Co.-Autor genannt) konnte er zur Verbesserung der künstlerischen Qualität beisteuern. Simper war musikalisch einfach eine Spur zu bieder. Das Personal-Karussell drehte sich schon heftig, das Thema Umbesetzungen war offiziell jedoch (noch) ‚top secret’.
 

Teil II 

Kometenhaft schlug im Juni 1970 das Album „DEEP PURPLE IN ROCK“ in die Welt der Rockmusik ein. Dem noch so jungen Mark II-Line Up gelang hier ein bahnbrechendes Meisterwerk, das mit sieben Tracks für alle Zeit neue Maßstäbe im vor allem in England stark aufkeimenden Genre des Hard & Heavyrock setzte. 

Ein Album-Cover (Idee: Tony Edwards) wie ein surreales Dali-Gemälde: Erhaben thronen auf dem Mount Rushmore statt der US-Präsidenten die in Stein gemeißelten Köpfe von DEEP PURPLE: Ian Gillan (voclas), Ritchie Blackmore (guitars), Jon Lord (organ), Roger Glover (bass) und Ian Paice (drums) – Deep Purple in Rock! Blenden wir zurück... 

Am 31. Mai 1969 beendeten DEEP PURPLE eine ausgiebige USA-Tour. Für Backmore, Lord und Paice war es beschlossene Sache, einen neuen Sänger und Bassisten zu suchen. Die Pläne der längst fälligen Re-Strukturierung der Band hielt man gegenüber Nick Simper und Lead-Vocalist Rod Evans aber noch geheim. Schließlich wurden mit List zwei Wunschkandidaten aus der Gruppe EPISODE SIX abgeworben. Mit dem neuen Vocalisten Ian Gillan und dem kurze Zeit später zusagenden Bassisten Roger Glover hatte man zwei glänzende Musiker gewonnen. 

Der Besetzungswechsel kam nicht ad hoc zustande. Sowohl Gillan als auch Glover hatten aus Vertragsgründen noch einige Auftritte mit ihrer bisherigen Formation EPISODE SIX zu absolvieren. Zwischendurch nahmen DP mit Ian Gillan und Roger Glover bereits die (mäßige) Single „Halleluja“ auf, ohne dass die Noch-Mitglieder Simper und Evans auch nur den blassesten Schimmer davon hatten! Blackmore, Lord und Paice drückten ihre Besetzungsänderungen rigoros durch – Line Up Mk 2 war geboren! Der finale Gig in der Mk 1-Besetzung fand am 4. Juli in Cardiff im Top Rank statt, während das neue Line Up am 10. Juli 1969 im seinerzeit berühmten Speakeasy unter dem angekündigten Motto „Back from their second successful USA tour“ debütierte. Ian Gillan dazu: „Mein Debüt mit DEEP PURPLE werde ich nie vergessen. Es war so überwältigend, dass ich zu Tränen gerührt war!“ 

Diese Hintergründe sind wichtig für das Verständnis zur Entstehung von „DEEP PURPLE IN ROCK“. Mit dem allzu begrenzten künstlerischen Potential des bestenfalls mittelmäßigen Sängers Rod Evans und des etwas antiquierten, keinesfalls progressiven Bassspiels von Nick Simper war auf Dauer kein Staat zu machen. Aus drei hervorragenden Einzel-Musikern wurde ein Ensemble, das im Teamwork kompositorisch höchstes Niveau erreichte. Diese fünf Individualisten entwickelten trotz ihrer Unterschiedlichkeit progressive Ideen en masse. Alle Bandmitglieder erwiesen sich als sehr begabte Songwriter. 

Zur Freude einer zunehmenden Fangemeinde stellte das Quintett seine Fähigkeiten eindrucksvoll in zahlreichen Live-Gigs unter Beweis. Besonders glänzte DP durch ihre Improvisations-Fähigkeiten. Mit Ian Gillan präsentierte sich ein ganz anderes Kaliber als der bemühte Rod Evans. Gillan erwies sich als einer der besten Rocksänger des Globus! Allein sein Stimmvolumen mit einem Umfang von drei Oktaven war enorm. Neben Power und ausgeprägter Höhenstärke dieses Vocalisten faszinerte auch das unverwechselbare Timbre seiner Stimme bald ein Millionenpublikum. 

Gillan verfügte vor allem über jene Gabe, die man nicht erlernen kann – den Instinkt, jedes Wort und jede Strophe mit interpretatorischer Intensität so zu phrasieren, dass sowohl die schnellen Nummern des DP-Repertoires als auch die getragenen Song-Passagen klanglich adäquat umgesetzt wurden. Roger Glover bestach durch progressives Song-Writing („Speed King“, „Hard Lovin’ Man“!). Darüber hinaus bewies er mit konzeptionellen Ideen und Organisationstalent beachtliche Management-Qualitäten. 

Die ersten Pre-Sessions für das erste Studio-Album der neuen Formation im ideal geeigneten Hanwell Community Centre verliefen demzufolge sehr vielversprechend. Die Chemie der Band entwickelte sich fabelhaft. Dennoch konnte man die Aufnahmen zu „DEEP PURPLE IN ROCK“ nicht an einem Strang durchziehen. Gründe waren ein längerer Krankenhausaufenthalt Glovers, zahlreiche Tourneedaten in UK und einzelne Gastauftritte in Europa sowie in dem ambitionierten, sehr ehrgeizigen Projekt „A CONCERTO FOR GROUP AND ORCHESTRA“ von Jon Lord. Vertraglich fixiert und vom DP-Management so gewünscht, musste dieses gewagte Experiment, das auf revolutionäre Weise klassische und populäre Musik fusionierte, ‚zwischendurch’ stattfinden. Nach der erfolgreichen Welturaufführung am 24. September 1969 in The Royal Alber Hall konnten die Arbeiten an „DEEP PURPLE IN ROCK“ endlich weiter vorangebracht werden. 

Der große Erfolg des „Concerto For Group And Orchestra“ steigerte die Publicity der Band enorm. Statt „Deep Purple In Concert“ war jedoch die Zeit reif für ein hartes Heavy Rock Album: „DEEP PURPLE IN ROCK“! Das von Ritchie Blackmore kompromisslos formulierte Crede für die neue Rock-Scheibe war: „Alles, was nicht heroisch, dramatisch und aufregend klingt, hat auf dem neuen Album keine Chance!“ Dies galt es, nun konsequent umzusetzen.

 

„CONCERTO FOR GROUP AND ORCHESTRA“
in three movements:__________________

First movement: Moderato-Allegro;

Scond movement: Andante;

Third movement: Vivace – Presto

Komposer: Jon Lord;

Director: Malcolm Arnold

Performance: DEEP PURPLE,

THE ROYAL PHILHARMONIC ORCHESTRA

Welt-Uraufführung: The Royal Albert Hall, London;

Date: 24/09/1969;

Recording: Live

DEEP PURPLE Set: “Child In Time” – “Wring That Neck” – “Hush”

 

Die harten Arbeiten in den fragmentarischen Sessions (bis April 1970), das Feilen an den Songstrukturen (das Intro von „Speed King“ wurde in einem anderen Studio eingespielt als der eigentliche Song) und die zahlreichen Proben in diversen Studios (neben dem bereits erwähnten Hanwell Community Cntre noch das IBC’s Studio A in Portland Place sowie De Lane Lea/Kingsway und Abbey Road) machten sich letztlich bezahlt. Wesentlichen Anteil am Gelingen von „DEEP PURPLE IN ROCK“ hatte auch die praktisch ständig aktive Stage Presence der Band. Die live immer wieder gespielten verbesserten und umarrangierten Stücke brannte man quasi authentisch und ‚roh’ auf Vinyl. Ferner bemerkenswert: Die Aufnahmen des Albums entstanden ohne Produzent. Wahrscheinlich konnte gar nichts Besseres passieren als die uneingeschränkte experimentelle Freiheit der Band in der musikalischen Realisierung ihrer Ideen. Jon Lord prägte interessanterweise erneut einen Stil-Begriff: ‚Rock-Jazz’. 

„DEEP PURPLE IN ROCK“. A monster was born – in der modernen Rockmusikszene war nach dem 1. Studio-Album von Mk II nichts mehr wie zuvor! Spektakulär das Intro von Ritchie Blackmore zu „Speed King“. Mittels Wah-Wah-Effekten verzerrt, katapultierten die übersteuerte Gitarren-Cluster DP raketenartig in den anbrechende Ära des Heavyrock. Blackmore zersplitterte in nur 50 Sekunden die gängigen Konventionen der Beat-Ära und machte die 60er Jahre der Pop-Musik zur Historie. Nach kurz eingestreuten Allegretto-Akkorden aus Lords Hammond, explodierte „Speed King“ in Sachen Power und Speed alles bisher Gewesene! „Bloodsucker“ schloss sich nahtlos wuchtig-aggressiv an, bevor eine Komposition folgte, die völlig konkurrenzlos war: „Child In Time“ – geboren aus dem genuinen Chaos einer tief-purpurnen Rock-Supernova. 

In außergewöhnlicher Art und Weise wurden Poesie und Dramatik zu einem progressiven Monumental-Epos der Extra-Klasse verwoben. Bestechend die hypnotisierende Orgel-Introduktion von Lord, die von Paice brillant percussierten, silbrig-schimmernden Becken-Klänge (Ideen für die Song-Struktur entnahm Lord dem Song „Bombay Calling“ der Gruppe IT’S A BEAUTIFUL DAY). Ian Gillans markantes Organ krönt den philosophischen Gehalt des Textes mit fabelhafter emotionaler Ausdruckskraft. Mit wunderbaren piani beginnt Gillan seine Lyrics: „Sweet Child in time you’ll see the line... the line that’s drawn between the good and the bad…” und steigert die Vocals von lyscher Schönheit in ekstatisch-schneidende Schreie, die fortan zu einer Art Markenzeichen von Ian Gillan wurden. Der Song kulminiert in einem Gillanschen Total-Orgasmus – „Aaaahhhh, Oooohhh... Baby, I wanna hear you scream!“ 

Allein mit der Interpretation dieses Songs setzte sich Ian Gillan schon zu Lebzeiten ein Denkmal. Und noch eine für DP wegweisende Trademark wurde mit diesem Song gesetzt: Die infernalische ‚Schlacht’ Hammond/Lord contra Fender Stratocaster/Blackmore in der Mitte / Ende des Stückes. Ritchie Blackmore bewies mit einem ausbordenden Solo im Mittelteil seine Musikalität und virtuose Fingerfertigkeit und demonstrierte, von wem die progressivsten Impulse im aktuellen Hardrock Business jener Zeit ausgingen. Und Roger Glover? Wer hat vor ihm ein galoppierendes Riff wie in „Hard Lovin’ Man“ geschrieben? Damit hat Glover Legionen von späteren Metal-Bands stilistisch mitgeprägt. Ein abgefahrener Song mit vielen Breaks und Solos. 

„Flight Of The Rat“, „Into The Fire“ und „Living Wreck“ vervollständigten kompakt das Super-Album. “DEEP PURPLE IN ROCK” erwies sich als LP-Chartbreaker in zahlreichen Ländern. Bedeutsam: Der Erfolg im Heimatland. „DEEP PURPLE IN ROCK“ hielt sich über ein Jahr in den UK-Charts! Die obligatorische Single entwickelte sich auch noch zu einem Klassiker – „Black Knight“ (nicht auf dem Album enthalten) mit einem genialen Riff der Marke ‚Blackmore prägnant’ kletterte die Charts hoch (und gehört 30 Jahre später noch immer zum Standard-Live-Repertoir der Band). UK-Charts im Mai 1970: Rang 2!
 

Lord’sche Klassik-Intermezzi und „FIREBALL“ – DEEP PURPLE in Progression 

Von Ende 1970 bis Mitte 1971 war der Tourkalender von DP mit Konzertdaten prall gefüllt: US-Live-Premiere von „A CONCERTO FOR GROUP AND ORCHESTRA“, Festival-Auftritte in UK und Frankreich, umfangreiche Konzertaktivitäten u.a. in Deutschland, Holland, Großbritannien, Australien, USA, Kanada. Und ein neues Rock-Album in Planung! Von September bis Anfang Dezember 1970 kam man ob der zahlreichen Verpflichtungen jedoch nur fragmentarisch mit der Arbeit am Nachfolge-Album von „DEEP PURPLE IN ROCK“ voran. Kein Wunder – wurden doch ‚nebenbei’ noch Lord’sche Fingerübungen wie das am 17.09.1970 uraufgeführte Opus „GEMINI SUITE“ eingeflochten, wiederum eine Klassik/Rock-Fusion in drei Teilen. Die Weltpremiere des BBC-Auftragswerkes mit DEEP PURPLE und dem London Symphony Orchestra fand erneut in der Royal Albert Hall statt. Fortan führte Lord seine ambitionierten klassischen elektronischen Werke (1974 „WINDOWS“ als Hommage an Fugen-Maestro J.S.Bach und 1976 „SARABANDE“ mit barocken Tanz-Elementen – Dirigent: Jeweils Elektronik-Papst Eberhard Schoener) oder impressionistischen Eingebungen (wunderschön: „PICTURED WITHIN“ 1998 u.a. mit Miller Anderson) konsequent außerhalb ‚der Ehe’ mit DEEP PURPLE weiter. Sogar an Filmmusik versuchte sich Lord: Er lieferte 1971 Soundtrack-Material zu „THE LAST REBEL“. 

Ritchie Blackmores Konzept, progressiven Hardrock zu spielen und experimentell weiterzuentwickeln, hatte sich aber letztlich schon durchgesetzt: „FIREBALL“ zündete die nächste Hardrock-Rakete. Unter streng angesetzten künstlerischen Kriterien konnte das Album jedoch trotz der mehrheitlich sehr guten Tracks nicht restlos überzeugen. 

Ende Dezember konnte die Band zwei Wochen konzentriert am Nachfolge-Album von „DEEP PURPLE IN ROCK“ arbeiten. Als ‚Proberaum’ wählten DP bewusst keinen lokalen Standort in der Londoner City, sondern ein großes, etwas abgelegenes Farmhaus in der Nähe der Kleinstadt Welcombe: The Hermitage. Ablenkender Rummel sollte vermieden werden. Das provisorische Recording der Rehearsels realisierte Roger Glover mittels eines von ihm erstandnen Revox Tape Recorder. Die eigentlich gute Absicht, in relaxter Atmosphäre die besten kreativen Ideen auszuarbeiten und in aufnahmefertige Songs umzuwandeln, kehrte sich rasch ins Gegenteil um. Die Arbeitsdisziplin ließ alsbald sehr zu wünschen übrig, mit Ausnahme des Bassisten Roger Glover hatten alle Musiker zudem ihre Frauen oder Freundinnen dabei und der ausgedehnte Gang zum nächsten Pub war die Regel, nicht die Ausnahme. 

Eine Ahnung dieser Fun Atmosphäre vermitteln die auf dr Anniversary Edition veröffentlichten Session-Dokumente. So kann man sich auf einem der Bänder u.a. an einer herrlich-schrägen, mit falschen Tönen gespickten Variante von Gioacchino Rossinis berühmter „WILHELM TELL“-Ouvertüre (aus seinem letzten Bühnenwerk, komponiert 1829) erfreuen (vergl. Track 13, letzter Teil von „The Noise Abatement Society Tapes“). Glover weiß über jene Tage haarsträubende Anekdoten zu berichten. So amüsierte man sich nicht nur mit Wein, Weib und Gesang, sondern trieb groben Unfug mittels Seance-Praktiken. Laut Glover riefen die Aktivitäten der Hobby-Spiritisten buchstäblich die Geister auf den Plan. Ritchie Blackmore hatte seit jeher einen Hang zum Dunklen und Übernatürlichen und fühlte sich Schabernack treibend besonders wohl – das Image des ‚Prince of Darkness’ verfolgt ihn bis heute. 

Trotz Spaß und Unsinn keimten auch erste Spannungen und Rivalitäten innerhalb der Band auf. Roger Glover erinnert sich: „Looking back, it was a time when various frictions within the band began to grow“. Ian Paice brachte die Rehearsel-Arbeit in der Hermitage eine bahnbrechende Erkenntnis. Der Hall seiner Snares klang im Floridor erheblich besser! ‚Paicey’ trommelte bei nachfolgenden Alben-Einspielungen aus Gründen der Klang-Qualität lieber in kalten Korridoren außerhalb der Studio-Türen. 

„FIREBALL“, seit Januar 71 in Arbeit und zwischen Konzert-Tourneen in diversen Studios etappenweise aufgenommen, war gegen Ende Juni 1971 de facto ‚im Kasten’ und wurde im August/September in UK und Europa veröffentlicht (Harvest). Es war das Album von Ian Gillan. In Interviews erwähnt der charismatische Sänger noch heute „FIREBALL“ als seine Lieblingsscheibe. Gillan schrieb die Lyrics im Alleingang, während die Songcredits wie immer auf alle fünf Musiker gleichermaßen verteilt wurden. Diese Tantiemen-Regelung, die aufgrund einer Art solidarischen Ehrenkodexes innerhalb der Band 1969 verabschiedet wurde, war zunehmend umstritten. Heute leugnet keiner der Musiker mehr, dass Blackmore in jener Phase die entscheidenden musikalischen Akzente setzte. Ein Track auf „FIREBALL“ hätte eindeutig besser auf ein späteres Gillan-Soloalbum  gepasst: „Anyone’s Daughter“, ein hübsch gemachter Mix aus Blues und Country & Western, der aber auf einem Purple-Album fehl am Platze war. „No One Come“ ist nicht mehr als ein durchschnittlicher Rock-Song mit mäßigen Harmonien. „The Mule“ gar klingt – ausgenommen die filigrane Solo-Gitarrenzauberei von Blackmore und die ausgefeilten Drum-Parts von Ian Paice – wie ein Relikt aus der Evans/Simper Ära. 

Die viel besseren, ‚echten’ Purple-Songs wie „Freedom“ und „Slow Train“ fanden unverständlicherweise nicht den Weg auf das Album und sind lediglich als Bonus-Tracks der 1996 remasterten Version zu bewundern. Tendenziell steht „FIREBALL“ jedoch für innovativ-hervorragenden Hardrock. Der fantastische Opener und Titelgeber des neuen Albums, „Fireball“, fräst sich dank Lords hämmernden B3-Stakkato-Akkorden sowie Glovers treibenden Bass mit ungehöriger Power in die Gehörgänge – ein würdiger Nachfolger für „Speed King“! 

Ein zweites „Child In Time“ gelang nicht mehr, dafür aber mit „Strange Kind Of Woman“ (der ursprüngliche Song-Titel „Prostitute“ wurde gerade noch umbenannt!) eine absolut würdige Nachfolge-Single für „Black Night“. Songs im Midtempo-Bereich wurden mit einem simplen, aber prägnanten Blackmore-Riff und melodisch-eingängiger vocal hook zu einem der Trademarks der Ära von Mk II. Zu dieser Kategorie harter, tempi-verschleppter Rocksongs gehörte außer „Strange Kind Of Woman“ auch der exzellente Song „Demon’s Eye“. Im Prelude von „Fools“ erwies sich der unentwegt tüftelde Percussion-Spezialist Ian Paice einmal mehr als Meister der Snare-Drums, bevor im Anschluss und gegen Ende dieses Songs die purple-typischen ‚Brecher’-Elemente voll zum Tragen kommen. Kontrastierend dazu der Mittelteil: Suggestiv getragene Passagen, die stark an Musik der frühen Berliner Elektronik-Schule erinnern (TANGERINE DREAM; POPOL VUH). Roger Glover skizzierte die Original-Vover-Idee mit den abgespaced durch das All driftenden Purpur-Köpfen. 

DPs „FIREBALL“ startete nur am Heimatmarkt bis auf Platz 1 der Album-Charts durch. Auf dem europäischen Kontinent und in den USA hingegen ließen die Absatzzahlen zu wünschen übrig. 1972 änderte sich das grundlegend...
 

PURPLESTERIA: „MACHINE HEAD“ UND „MADE IN JAPAN“ 

Vom 6. bis 21. Dezember 1971 spielte man im Grand Hotel in Montreux / Schweiz das sechste Studio-Album ein: „MACHINE HEAD“. Aus steuerlichen Gründen produzierte man erstmals ein Album im Ausland. Was herauskam, war nicht nur ein atemberaubender Kurz-Trip, der in eine Beinahe-Katastrophe mündete, sondern das klassische Hardrock-Meisterwerk schlechthin. In silbrig-bläulicher Metallic-Schrift wurde „MACHINE HEAD“ auf Purple Records im März 1972 in UK, Deutschland und Frankreich und für Warner Bros in USA und Japan veröffentlicht. In der englischen Sprache steht der Begriff machine head als Fachbegriff für die Kopfplatte der Gitarre ( nach einer Idee von Roger Glover sollte ursprünglich dessen Bassklampfe auf dem Album-Cover abgebildet werden). Die ursprüngliche (und nie realisierte) Idee war, mit „MACHINE HEAD“ ein Doppel-Album der besonderen Sorte zu produzieren: Die erste Seite der LP mit  neuen Studio-Aufnahmen, die zweite mit einem Live-Mitschnitt. Dazu hätte das Album im Casino von Montreux, wo ein Tonstudio eingerichtet war und auch Konzertveranstaltungen stattfanden, aufgenommen werden sollen. Während eines Konzertes von FRANK ZAPPA, zu dem die Bandmitglieder als Gäste geladen waren, wurde das Casino durch leichtfertig verursachte Brandstiftung restlos zerstört. Zum Glück gab es dabei keine Todesopfer, der Täter („some stupid with a flare gun burned the place to the ground...“) entkam ungestraft. 

Unter abenteuerlichen Bedingungen fanden dann die Aufnahmen zu „MACHINE HEAD“ letztlich improvisiert im Grand Hotel statt. Neu war das geleaste Rolling Stones Mobile Studio. Die rollenden Steine um Mick Jagger vermieteten ihr mobiles Aufahme-Studio seinerzeit, um sich ihre immer aufwändiger werdenden eigenen Bühnenshows (und den Lebensstil auf der Überholspur) zu finanzieren. Das fahrbare Mobil parkte man unmittelbar in der Nähe zum Hotel, um alle Tonspuren möglichst sauber zu hinterlegen. 

Bei DP war 1971 genügend kreatives Potential vorhanden, das Songwriting ‚zwischendrin’ zu betreiben. So entstanden die musikalischen Ideen häufig spontan. Jeder Ort und Platz war ein potentialer ‚Raum’ für einen neuen Song: Der Nightliner (Tour-Bus) für die Konzertreisen, das Hotelzimmer, die gebuchten Studio-Räume. So entstand die Grund-Idee von „Highway Star“ im fahrenden Bus im Beisein und vor den Ohrten von staunenden Fach-Journalisten! Auch unmittelbar erlebte Ereignisse dienten als Song-Vorlage. In diesem Fall löste das beklemmende Ereignis des Flammen-Infernos die Intention für die bis heute erfolgreichste DP-Komposition aus, denn die Natur-Kulisse des wunderschönen Genfer Sees verwandelte sich rauchschwadengetränkt („...a fire in the sky“) in eine düster-grell vernebelte Horror-Kulisse: „Smoke On The Water“ war geboren! Die Lyrics dieses Songs sind nichts anderes als die minutiöse Schilderung der desaströsen Vorgänge samt der Schwierigkeiten der Platten-Produktion, mit der sich DP unfreiwillig konfrontiert sahen.
 

„We all came out to Montreux

On the Lake Geneva shoreline

To make records with a mobile

We didn’t have much time

Frank Zappa and the Mothers

Were at the best place around

But some stupid with a flare gun

Burned the place to the ground

Smoke on the water, fire in the sky”

“Highway Star”, “Lazy” (beide vor Album-Einspielung bereits erfolgreich live-erprobt!) und „Space Truckin’“ erwiesen sich allesamt als perfekte Purpel’sche Dampfhammer-Songs mit Abonnement auf das DP-Live-Set. „Maybe I’m A Leo“, „Pictures Of Home“ (Riffing / Harmonie-Struktur klingt sehr verdächtig nach geistigem Diebstahl von URIA HEEPs „I’ll Keep On Trying“ aus dem Jahr 1970) und „Never Before“ rockten und rollten prächtig ab. Allerdings floppte die Single-Auskoppelung von „Never Before“ ganz übel. 

Das Juwel auf der B-Seite fand dagegen den Weg nicht auf das Album: „When A Blind Man Cries“. Der Band gelang ein musikalisch-textlich ausgereiftes Poem höchsten Grades. Die von Gillan anklagend vorgetragenen Lyrics sind von bedrückender Wirkung. Blackmore ‚malt’ das balladeske Fresko vom vereinsamt-erblindeten Mann in elegischer Klangfaben-Ornamentik – magic purpur Blackmore! Es gehört zu Blackmores Geheimnissen, wieso er sich stets weigerte, diesen großartigen Song live zu spielen. Nur einmal, am 6. April 1972 in Quebec City, wurde „When A Blind Man Cries“ live von DP performt. Die Klampfe bediente hier aber nicht der erkrankte Ritche Blackmore, sondern nur für dieses eine Konzert der hochtalentierte Gitarrist Randy California von der experimentellen Jazz-Rock-Formation SPIRIT. Trotz einer famosen Leistung von California – es blieb eine einmalige Performance. Nach 1993 rehabilitierten DP die brillante Ballade endlich auch on stage. 

Apropos Ritchie: Mit „Smoke On The Water“ präsentierte Blackmore ein Lead-Riff, das diesen Song nicht nur als Allzeit-Klassiker unter allen Purple-Hits als unübertroffene Nr. 1 ausweist. Ritchie gelang das populärste Riffing der Hardrockgeschichte. Es gibt keinen Rock-Gitarristen, der an diesem schlichten, aber genialen Riffing vorbeikommt – vier Griffe für die Ewigkeit! Generationen von Hard & Heavy-Fans simulierten ihr Luftgitarrenspiel zu „Smoke On The Water“. Auch die gesanglich unschlagbare Refrain-Hookline: „smoke on the water... a fire in the sky“ gehört zur Grammatik eines Hardrock-Fans. Darüber hinaus entwickelte sich der Superhit im Laufe der Zeit zum Allgemeingut zeitgenössischer Populär-Kultur, das auch die letzten Hinterbänke erreichte. Die musikalische Verdummungsmaschinerie von MTV verwurstete das Riff über die animierten Kult-Dumpfbacken Beavis & Butthead. Auf dem Münchener Oktoberfest wird der ‚Evergreen’ dazu missbraucht, die vom rauschigen Bierkonsum ohnehin schwer betäubten Kampftrinker-Birnen rhythmisch noch mehr zu zermatschen. Prost! 

Resümee: „MACHINE HEAD“ klingt heute erfrischender und lebendiger denn je und enthält ausnahmslos gelungene Kompositionen. Dem Mark II Line Up gelang es, Songwriting, Instrumentierung, Interpretation perfekt ausbalanciert auf den Punkt zu bringen. Das Album fiel schnörkellos, kompakt und in sich stimmig aus wie kein anderes Purple-Produkt zuvor oder danach. In England kletterte die Hit-Scheibe erneut auf Platz 1, insgesamt verkaufte sich „MACHINE HEAD“ damals mehr als 3 Millionen mal. In den USA hielt sich das Album jahrelang in den vorderen Hitparadenplätzen. Mit dem Super-Hit „Smoke On The Water“ enthielt es den populärsten und bestverkauftesten Rock-Song der gesamten Purple History (bis heute mehr als phänomenale 12 Millionen mal verkauft!) – und dank Ritchie Blackmores Genialität zugleich das markanteste Gitarren-Leadriff der Hardrockgeschichte. 

Epilog und wichtiger Hinweis für Neu-Interessenten, die noch nicht über eine komplette Purple-Discografie verfügen: Pflicht ist der Kauf der Anniversary Edition insofern, da die 1997 von Roger Glover und Peter Denenberg re-mixten Aufnahmen soundtechnisch das Original (das re-mastered zum Vergleich als 2. CD ebenfalls beiliegt) deutlich toppen. 

DEEP PURPLE galten in der Rock-Szene als einer der besten Live Acts der Welt – aber noch immer hatte man kein entsprechendes Tondokument aus einer Konzertserie mitgeschnitten. Diese Situation galt es umgehend zu korrigieren – und heraus kam das für alle Dekaden maßstabsetzende und zukunftweisende Live-Dokument schlechthin: „MADE IN JAPAN“. Mitgeschnitten wurden die überwältigenden Darbietungen von DP im fernen Osten an drei Orten: Osaka, 15./16. August und Tokio am 17. August 1972. Die Spannungen, die in der Band mittlerweile nicht mehr zu kaschieren waren, übertrugen DP in Live-Darbietungen voll berstender Energie. Alle Musiker agierten in Japan so hochkarätig-professionell, dass ob der bestechenden Form der fünf Superkönner soundmäßig nichts mehr verändert geschweige denn nachträglich akustisch ‚retuschiert’ werden musste. Purpurne Glückseligkeit aus der Pionier-Zeit des Heavyrock! 

Die akustischen Schlachten, die sich Blackmore und Lord dabei auf der Bühne lieferten, wurden Legende – sagenhaft die knapp 20minütige Delirium-Version von „Space Truckin’“! Grandios auch das Jam-Frage-(Blackmore) und Antwort-Spiel(Gillan) von Gitarrist und Sänger. Zirzensisch kommunizierte Ian Gillan bei „Strange Kind Of Woman“ und „Speed King“ seine vokal-akrobatischen Jazz-‚Antworten’ an Blackmores Strat-‚Fragespiel’ perfekt zurück. Gillan bewies hier vokale Fähigkeiten, wie sie später nur noch von Glenn Hughes (in seiner Solo-Karriere als Sänger nach seiner Zeit als Bassist bei DP!) übertroffen werden sollten. Der von Paice und Glover gelegteRhythmus-Teppich zeichnete sich durch Spontanität und spieltechnisch höchste Präzision aus. Die Set-Zusammenstellung war vom Allerfeinsten: „Highway Star“; „Child In Time“; „Smoke On The Water“; „The Mule“(Drum-Solo Paice); „Strange Kind Of Woman“; „Lazy“, „Space Truckin’“. Als Zugabe spielte man in den drei Japan-Shows “Black Night”, “Speed King” (zweimal) und ein einziges Mal eine Cover-Version: “Lucille” von Collins/Penninman. Die Encores (Zugaben) variirten also von Abend zu Abend.
 

Mk II – Final Cut mit „WHO DO WE THINK WE ARE“... und das Aus für Gillan und Glover

 “Never change a winning team” – das Erfolgsteam um DEEP PURPLE als Produzent ihrer eigenen Werke (stets in Abstimmung mit dem bewährten Tontechniker Martin Birch und dem Management um Tony Edwards und John Coletta) war mit “FIREBALL” und „MACHINE HEAD“ bestens eingespielt. Nachdem man bereits im Juli 1972 mit Teilen der Album-Produktion (in Italien) begann, verzögerte sich die Fertigstellung von Studio-Album Nr. 4 des Mk II Line Ups bis Anfang 1973 (Purple Records)! Die Gründe dafür waren mannigfaltig... 

Aus kommerzieller Sicht hatte man den Sprung von einer ‚underground band’ 1969 zu einer ‚megaselling group’ 1972/1973 mit Schallgeschwindigkeit erreicht. Die Ego-Trips innerhalb der Band hatten jedoch bedenkliche Ausmaße angenommen – auf Dauer konnte das nicht mehr kaschiert werden. So ‚verriet’ die Titelgebung (nach einer Idee von Ian Paice) des neuen Werkes zugleich das Innenleben der Band: „WHO DO WE THINK WE ARE“. 

Musikalisch hinterlässt das Album passend zum Titel einen zwiespältigen Eindruck. Vielversprechend der Beginn. Als Opener funktioniert der auch als Single ausgekoppelte Hit „Woman From Tokyo“ prächtig. Eingängiges Lead-Riff, der titelgebende Gesangs-Refrain, Glovers rollender Bass, Paiceys Licks, Lords hervorragender Boogie Woogie am Piano – alles wusste zu gefallen. Songs wie „Woman From Tokyo“ oder zuvor „Strange Kind Of Woman“ enthielten Lyrics, welche europäische Vorstellungen über asiatische Exotik(Eroti?) reflektierten. Den Text zu „Woman From Tokyo“ schrieb Gillan mit Blickwinkel auf das noch bevorstehende Japan-Debüt der Band (August 1972). 

Fakt war aber, dass man bei den ersten Aufnahmen in Rom mehr Wein und Grappa trank als neue Lieder aufnahm. Auch der Swimming Pool war gefragter als der Gang ins Studio, allerdings hing die Unproduktivität in Teilen auch mit technischen Problemen zusammen (erneut nahm man mit dem Rolling Stones Mobile Studio auf). Man brachte das ‚Kunststück’ fertig, in Italien nur den Titeltrack einzuspielen! Der ebenfalls aufgenommene Song „Painted Horse“ schaffte den Weg nicht auf das Album. Die weiteren Aufnahmen entstanden dann erst im Oktober in Deutschland in einer kleinen Villa in Waldorf-Nord (in der Nähe von Frankfurt). Hervorragend: „Mary Long“ (sehr bluesig, mit exzellenten Blackmore-Soli und Slideguitar-Passagen von Ritchie). Glanznummer des Albums ist ohne Zweifel „Our Lady“, ein melodisch akkurat balancierter Heavy-Song mit äußerst kraftvoll unterlegten Drum & Bass Lines. Lords Elektronik-Experimente verkünstelten leider einige Tracks („Super Trouper“ und „Rat Bat Blue“) unnötig in die falsche Richtung. „Smooth Dancer“ ist musikalisch ein missglückter Abklatsch von „Speed King“ (textlich aber eine hochinteressante Abhandlung Ian Gillans über seine zunehmende Frustration und deren Gründe!). Peinlich gerieten bei „Place In Line“ die unverhohlenen Anleihen an einen Klassiker des Blues-Gottes Muddy Waters. 

Weder Jon Lord noch Ritchie Blackmore erreichten auf diesem Album ihre Bestform. Gillan überzeugte hingegen auch auf „WHO DO WE THINK WE ARE“. Trotz hervorstechender Leistung der Rhythmus-Sektion Glover/Paice – vom Songwriting her traten Purple auf der Stelle. Welch Wunder, bringt man die Aufnahmen zum Album in den zeitlichen Kontext der Bandsituation. Die Arbeitswut der Band lässt sich 1972 in beeindruckenden Zahlen dokumentieren: DEEP PURPLE spielten mehr als 120 Konzerte – allein fünf Major USA-Tours standen auf dem Programm – Raubbau pur! Auf dem künstlerischen Höhepunkt angelangte Hardrock-Formation wie DEEP PURPLE, BLACK SABBATH, LED ZEPPELIN oder URIAH HEEP wurden Anfang der 70er von ihrem jeweiligen Management für ein paar Dollar bis zum Erbrechen ausgequetscht. Die Konsequenzen dieser rücksichtslosen Ausbeutung menschlich-künstlerischer Ressourcen ließen dann auch nicht sehr lange auf sich warten... 

Schon Ende 1972 beschloss Gillan seinen Austritt aus der Band und teilte dies vorab auch dem Management mit. Gillan fühlte sich nicht mehr wohl im Bandgefüge. Übermüdet und frustriert (nie gab es längere Ruhepausen), hatte er geistig längst gekündigt. Zudem belastend: Blackmores persönliche Abneigung gegen den Sänger hatte abstruse Ausmaße angenommen. Gillans letzten Auftritten im auseinanderbrechenden Mk II Lin Up sah man die Qual an, wie er mit physisch letzt Kräften um die richtigen Tonlagen rang. Gillan erlitt ob der permanenten Stress-Überlastung einen völligen ‚Burn-Out’. Die Konsequenz: Der Top-Shouter quittierte seinen Dienst bei DEEP PURPLE am 30. Juni 1973. 

Zu dieser Zeit war Gillan (Jahrgang 1945) noch keine 30 Jahre alt. Vier Jahre DEEP PURPLE reichten also aus, um aus dem Ausnahmesänger einen arbeitsunfähigen Künstler zu machen. Schon auf „Never Before“ (auf „MACHINE HEAD“) sang Gillan: „I can’t hide my misery...“. Fast zwei Jahre brauchte Gillan, um Verbitterung und Depression zu überwinden und wieder Spaß am Music Biz zu finden. Seine stimmlichen Qualitäten setzte Gillan, der 1970 auch in der Titel-Rolle der weltberühmt gewordenen Rock Opera “JESUS CHRIST SUPERSTAR“ von Andrew Lloyd Webber (mit Platteneinspielung) brillierte, vielfältig ein. Er veröffentlichte Solo-Alben, gründete die IAN GILLAN BAND (mit der er bis Mitte der 80er Jahre zehn Alben einspielte), sang in Roger Glovers Projekt „THE BUTTERFLY BALL & THE GRASSHOPPER’S FEAST“, verirrte sich aber auch 1983 für eine Studio-Produktion bei BLACK SABBATH (aus einer finanziell prekären Lage heraus, Gillan war stellenweise bankrott). „BORN AGAIN“ war Gillan künstlerisch schon längst, bei BLACK SABBATH konnte er jedoch weder auf Platte noch auf der Bühne überzeugen. Erst 1984 war die Zeit wieder reif für DEEP PURPLE. 

Anders lag der Fall bei Roger Glover. Zwar erlitt der Könner am 4-Saiter schon früh am 8. März 1971 einen Zusammenbruch wegen permanenter Überanstrengung. Der sympathische Bassist verlor unter dubiosen Vorwänden seinen Job bei DP. Von seinen eigenen Band-Kollegen wurde er aus der Gruppe gemobbt und geekelt! Ein Verhängnis, denn mit Glover verloren DP nämlich ihren ‚heimlichen’ spiritus rector. Den Mann im Hintergrund, der clever, intelligent und integrativ die Entscheidungs-Fäden mitzog und vieles innerhalb DP stark mitbeeinflusste. 

Der Vorhang für das vielleicht legendärste Line Up in der Geschichte des Hardrock fiel endgültig am 29. Juni 1973. An einem Ort, an dem man noch ein knappes Jahr zuvor unvergleichliche Triumphe feierte: in Osaka. Mark II mit Ian Gillan und Roger Glover war für 11 lange Jahre Geschichte...

Teil III
 

DEEP PURPLE ‚in wax’ – Mark III mit zwei Gesangsprimadonnen

 

Gestresst und ausgebrannt hatte Sänger Ian Gillan im Juni 1973 seinen Dienst bei DEEP PURPLE quittiert. Auch Bassist Roger Glover verließ die Band allerdings unter etwas dubiosen Umständen. Noch im selben Jahr starteten DEEP PURPLE jedoch mit ihrem achten Studio-Album „BURN“ in neuem Line Up – Mark III – wider Erwarten erfolgreich durch. 

Mit der Neuverpflichtung David Coverdales als Leadsänger sowie Glenn Hughes’ als Bassisten und Vocalisten verfärbte sich das tiefe Purpur des Classic Hardrock von DEEP PURPLE in ein betont stärker werdendes ‚Blau’ (Coverdales Vorliebe für Rhythm & Blues) und ‚Schwarz’ (Hughes’ Bekenntnis zu den afro-amerikanischen ‚schwarzen’ Wurzeln der Rock-Musik). 

Coverdale war ein nahezu unbeschriebenes Blatt und erkämpfte sich den Job bei DEEP PURPLE wie weiland 1968 Rod Evans durch eine im ‚Melody Maker’ geschaltete Anzeige und einer Audition. Das Engagement von Hughes erwies sich dagegen als nicht unproblematisch. Vertraglich war der neue Mann am Viersaiter, der zuvor bei TRAPEZE mit Mel Galley und Dave Holland musizierte, noch einige Monate an seine bisherige Plattenfirma gebunden. So fungierte Hughes bei DP zu Beginn als ‚anonymes Gruppenmitglied’ und erhielt auf „BURN“ trotz aktiven Mitwirkens am Kompositions-Prozess keine Song-Credits. 

Aufgenommen wurde „BURN“ im November 1973 noch einmal in Montreux mit dem Rolling Stones Record Mobile unter der bewährten Leitung von Toningenieur Martin Birch. Diesmal fackelte zwar nichts mehr ab, doch der Dunstkreis von Feuer und Rauch blieb. Zum Albumtitel „BURN“ präsentierten sich DEEP PURPLE – ‚in wax’! Auf dem Backcover verglimmen die auf dem Frontbild noch erhaben illuminierten Purpur-Musiker (mit einer Kerze auf dem Kopf) drastisch zu Wachs-Grimassen – ein Sleeve Design als Metapher und unfreiwilliges Menetekel zugleich. 

Noch war man aber künstlerisch wie kommerziell äußerst erfolgreich: „BURN“ erschien im Februar 1974 auf dem Markt und knackte im Nu in den USA wie UK und Europa die Top Ten der Album-Charts. Mit Ausnahme von „Mistreated“ (Coverdale) sangen Hughes und Coverdale die Lead Vocals abwechselnd oder im Chorus, auch wenn der Gesangspart natürlich durch Gillan-Nachfolger Coverdale dominiert wurde. Das war tatsächlich eine Neuerung, die im idealen Fall neue Farben in den Purple-Sound brachte. Da beide Stimmen ihre Vorlieben für Blues (Coverdale) und Jazz & Soul (Hughes) nicht leugneten, änderte sich der Purple-Sound dramatisch – eine gewagte Mixtur, die auf „BURN“ in einem feurigen Cocktail aus Boogie, Rock ‚n’ Roll und hartem Rhythm & Blues gelungen endete. 

Künstlerische Ausrichtung (Geschmackssache!) und Input von Coverdale wie Hughes demonstriert der zweite Album-Track (und Single-Auskoppelung) „Might Just Take Your Life“. Exemplarisch für den neuen Wechsel-Gesang Coverdale/Hughes stehen „You Foool No One“ (mit funky Percussion von Paice) und „What’s Going On Here“. „Sail Away“ groovt und swingt prächtig! Mit dem Titeltrack „Burn“ zündeten DP eine echte Hardrock-Rakete – Blackmore ‚feuerte’ einleitend ein wahres Killer-Lead-Riff dazu ab. Jon Lord entflammte auf dem Album variable Keyboard-Teppiche mit dem Einsatz seines kompletten Tasten-Equipments (Hammond B3, Moog, Synthesizer, E-Piano). Erfolgreich: Das Songwriter-Duo Blackmore/Coverdale. Mit „Mistreated“ gelang musikalisch und textlich ein glühender Hardrock & Blues-Song in Vollendung. 

Live erwies sich Coverdale als Frontmann mit beachtlichen Show- und Entertainer-Qualitäten. Kaum zu glauben, dass der selbstbewusste Künstler und erklärte Mädchenschwarm einst von Jon Lord in das gleißende Licht der Bühnenwelt ‚geschubst’ werden musste. Als er am 8. Dezember 1973 zum ersten Mal mit seinen Kollegen ein Konzert bestritt (in Dänemark, auch hier eine Analogie des Starts von Mark I zu Mark III), schrie er dem Kopenhagener Publikum sein legendäres „How are yer?“ im North Yorkshire-Akzent entgegen. Coverdales Nervosität war besiegt und die Konzerte mit ‚den Neuen’, Hughes und Coverdale, gerieten zu Triumphzügen vor ausverkauften Arenen. Den in die Band gekommenen Musikern gebührt Anerkennung dafür, die Purple-Musiker der ersten Stunde – Lord, Blackmore und Paice – wieder zu neuen Spitzenleistungen angetrieben zu haben. Trotz dieser nicht zu leugnenden Erfolge – an den Live-Darbietungen der Herren Coverdale und Hughes schieden sich schon früh die Geister. Für Fans, die Ian Gillan nachtrauerten, waren die live dargebotenen Interpretationen von Song-Material aus Mk II schlicht ein Greuel – „Child In Time“ oder „Highway Star“ wurde in ihren Ohren akustisch vergewaltigt. 

Trotz unbestreitbaren Talents und Total-Einsatzes wurde Coverdale der Nachfolge von Ian Gillan nicht in vollem Umfang gerecht. Gillan erwies sich mit seiner spezifischen Stimme im Nachhinein einfach als zu prägend für den Gesamtsound von DEEP PURPLE. Die Stimme von David Coverdale passte dagegen nur bedingt zu DP, obwohl er harte Songs wie „Burn“ oder „Mistreated“ ideal bewältigte. Künstlerisch optimal entwickelte sich Coverdale erst nach seiner DP-Phase mit seinen Solo-Scheiben „WHITESNAKE“ und „NORTHWIND“. (Daraus resultierte die Gründung DER bluesorientierten Hardrockband Ende der 70er Anfang der 80er Jahre schlechthin – WHITESNAKE!). 

Auch Glenn Hughes war zu der Zeit von DEEP PURPLE noch längst nicht ‚The Voice Of Rock’, wie er später unter Fachkollegen mit größtem Respekt genannt wurde. (Nur ein Hörbeispiel wahrhaftiger Hughes’scher Gesangsmeisterschaft: „BURNING JAPAN LIVE“ aus dem Jahre 1994 – sechs Purple-Tracks aus der Ära Mk III/IV. Unglaublich, wie brachial-stimmgewaltig Hughes „Burn“ als Album-Opener live in die asiatischen Konzertsäle shoutete!). 

Im Ergebnis klang schon auf „BURN“ ein bluesiger Boogie wie „Lay Down, Stay Down“ ungeachtet der Soul-Elemente, die Hughes vokal noch obendrauf hinzufügte, nach einer zu früh unter falschem Bandnamen veröffentlichten ‚Embryo’-Version von WHITESNAKE. DEEP PURPLE ‚in wax’ erwies sich leider nur als kurzlebiges ‚Strohfeuer’, das aus diversen Gründen zum vorzeitigen Verglühen bestimmt war.
 

Ende einer Ära: „STORMBRINGER“ und Blackmores Farewell 

Schon im August 1974 spielten DEEP PURPLE im Musicland, München, das zweite Studio-Album der noch jungen Mark III Phase ein. Das Musicland war Mitte der 70er Jahre eine First Class-Adresse für technisch hochwertige Studioaufnahmen. Betreiber war niemand Geringerer als der mit Pop-Produktionen und Soundtrackbearbeitungen zu Starruhm gekommene Perfektionist Giorgio Moroder (u.a. die Neu-Vertonung des Stummfilm-Klassikers „Metropolis“ von Fritz Lang). Das Studio in den Kellergewölben der renommierten Arabella-Hotels existierte knapp 20 Jahre lang. Heute erinnert praktisch nichts mehr daran, dass sich hier einst die Rockprominenz von THE ROLLING STONES, QUEEN bis zu URIAH HEEP (spielten dort Anfang 1974 „WONDERLAND“ ein) die sprichwörtliche Klinke in die Hand gab. 

Während der Produktionsphase von „STORMBRINGER“  hatte Blackmore jedoch geistig längst gekündigt. Durch die unterschiedliche musikalisch-stilistische Ausrichtung der Neulinge Coverdale und Hughes sowie deren erstaunlich rasch zunehmender Dominanz in der Band wurde Gründungsmitglied Blackmore immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Der Meistergitarrist, der das Phänomen DEEP PURPLE – gemeinsam mit Jon Lord – überhaupt erst ermöglichte, fühlte sich ob der starken Neuorientierung (aus seiner Sicht: Desorientierung!) und musikstrukturellen Umgewichtung innerhalb der Band schlichtweg überflüssig. Auf „STORMBRINGER“ muss man sehr darauf achten, seine Griffe, Licks und Soli wahrzunehmen. So blass und konturlos war Blackmore auf keiner anderen Purple-Scheibe! Grund war nicht zuletzt, dass seine eigenen Songideen von den – neuen! – Bandkollegen teilweise geschmäht wurden. In Blackmores Augen zu Recht ein Frevel. 

Auf „STORMBRINGER“  nahm der Sängerwettstreit zwischen Coverdale und Hughes mitunter groteske Züge an. Bei allem Respekt vor dem gewaltigen stimmlichen Potential von Glenn Hughes – vokale Verfärbungen und Verrenkungen, wie bei „Love Don’t Mean A Thing“ zelebriert, grenzten an Profilierungssucht und waren schlicht fehl am Song. Hughes’ ausgeprägte Neigung zu expressiv übersteigerten Soul & Funk-Phrasierungen um jeden Preis waren für den Purple-Sound wenig gewinnbringend. „Holy Man“ passte gut zu Glenn Hughes, aber in keinster Weise zu DEEP PURPLE! So entfernte man sich künstlerisch auf leichtfertige Art immer mehr von den Trademarks. 

Abgesehen vom gelungenen Opener ist die erste Hälfte von „STORMBRINGER“ musikalisch die seichteste seit dem zweiten Album des Mark I (!) Line Up. Guten Hardrock, progressive Passagen, elektrisierende Gitarrensoli oder elegische Balladen findet man erst am Ende der Scheibe. Tracks wie das funkige „You Can’t Do It Right“ oder „Hold On“ haben mit DEEP PURPLE musikalisch so gut wie nichts mehr gemein – kaum zu glauben, dass Ritchie Blackmore hier musikalisch etwas beigesteuert haben soll. „High Ball Shooter“ hat nicht zuletzt dank eines prächtigen Orgel-Solos von Lord eine gewisse Klasse – das Riff klingt aber nicht nach DP, sondern gefährlich nahe nach einer aufstrebenden Band downunda, AC/DC. Ritchie irrt auf den Riff-Spuren eines gewissen Angus Y. – das konnte unmöglich gut gehen! 

Ein DP-Album quasi ohne Lead-Gitarrist? Nicht ganz. Überragend, mit allen Ingredienzien, die den Sund von DP so unverkennbar und berühmt machten, fiel der pompös instrumentierte Titeltrack (mit durchschlagenden Bassläufen von Glenn Hughes zu Beginn und den progressiv hämmernden Instrumental-Stakkati im Mittelteil) aus. Auch Blackmore bewies, dass er sehr wohl noch gelungene Licks und ein elektrisierendes Solo zum Gruppensound beisteuern konnte. Klasse war auch die vielschichtig aufgebaute Rock-Komposition „The Gypsy“. Glänzend gelang der Abschluss des Albums mit Song Nr. 9: „Soldier Of Fortune“, eine schwermütige Ballade des Songwriter-Duos Blackmore/Coverdale (stunning vocals!). 

Aber drei Hochkaräter („Stormbringer“; „The Gypsy“; „Soldier Of Fortune“) machen leider noch keine Diamanten-Miene: Das Album „SORMBRINGER“ war künstlerisch unausgegoren, obwohl gerade die Lyrics und die Musik des Titelsongs für das stürmisch-abwechslungsreiche Schaffen DEEP PURPLEs symbolisch-repräsentativ stehen könnten. 

Nach Ablauf der Europa-Tournee von „STORMBRINGER“ (März/April 1975) machte Blackmore mit seinem längst gefassten Beschluss Ernst: Der ‚Geburtshelfer’ des Hardrock schmiss hin und quittierte nach gut sieben Jahren seinen Dienst bei DEEP PURPLE! Somit brach in kürzester Zeit – nach dem Weggang des unersetzbaren Ian Gillan und des wertvollen Roger Glover – schlicht DIE tragende Säule des Purple-Sounds weg. Auf uninspiriertes Musizieren hatte Blackmore keine Lust, ‚Soft Purple’ war mit Ritchie nicht machbar! 

Blackmore feilte bereits emsig an einer neuen Rock-Formation... Während sich der (künstlerische) Niedergang von DP rapide beschleunigte, nahm am Firmament ein spektralfarbenes Gebilde immer stärker schillernd Kontur an, das sich alsbald in mystischen Klangwelten entlud und die weltweite Gemeinde der Blackmore-Jünger aufs Neue entzückte: „I saw a RAINBOW rising...“!

DEEP PURPLE goes funky Jazz: „COME TASTE THE BAND“ – Mk IV mit Tommy Bolin und das ‚endgültige’ Aus 

Im Jahre 1975 engagierten DP einen sehr jungen, fraglos hochtalentierten Gitarren-Virtuosen, der sich in Insider-Kreisen längst einen ausgezeichneten Ruf erspielt hatte: Tommy Bolin. Es ist ein Kuriosum in der Bandgeschichte, dass außer Ritchie Blackmore kein britischer Gitarrero seinen Sold bei DEEP PURPLE verdiente. An der Leadgitarre wehte stattdessen immer ein US-Banner: Tommy Bolin (1975/1976), Joe Satriani (1993/1994) und seit 1995 Steve Morse. 

Sessionerprobt und mit einer expliziten Vorliebe für Jazz-Rock (u.a. bei ENERGY, THE JAMES GANG) war Bolin ein interessanter Musiker, der mit seinem eigenwilligen Gitarrenstil seine akustischen Spuren schon auf zahlreichen Rondokumenten hinterlassen hatte. Nach einer von David Coverdale vermittelten Audition (die zuvor Dave ‚Clem’ Clempson von COLOSSEUM / HUMBLE PIE / GREENSLADE nicht bestand!) erhielt er sofort den Zuschlag für die Blackmore-Nachfolge. Lord schwor darauf, dass die Session mit Bolin auf dem gleichen Qualitäts-Level wie zu Blackmores besten Zeiten lag. 

„COME TASTE THE BAND“ (August/Anfang September abermals in den Musicland Studios München aufgenommen) kam mit Debütant Tommy Bolin im Oktober 1975 auf den Markt – und geriet zum Abgesang einer ganzen Ära. Nur ein halbes Jahr später lösten sich DP offiziell auf, die Musiker zerstreuten sich in alle Richtungen. (Coverdale gründete WHITESNAKE und zog Jon Lord und später Ian Paice mit zur ‚weißen Schlange’; Hughes schaffte nach Drogenproblemen doch noch eine außergewöhnliche und bis in die heutige Zeit andauernde Solo-Karriere.) Doch wie kam dieses Desaster zustande? 

Auf dem einzigen Album von Line Up Mk IV kommunizierte Bolin musikalisch nicht nur via E-, Slide- und Rhythmus-Gitarre, sondern sang auch einige Vocals ein. Mit Ausnahme von „Lady Luck“ und „You Keep On Moving“ war der im eigentlichen Wortsinne viel-saitige Amerikaner auch stark in das komplette Songwriting involviert. „COME TASTE THE BAND“ hatte Spannung und Groove und bot in Teilen durchaus einen aufregenden und sehr gelungenen Mix aus unterschiedlichen Stil-Elementen: Hardrock goes funky Jazz! Mit Bolins Eintritt wurden nie gekannte Funk-Einflüsse mit dem Hardrock- und Blues-Sound von DEEP PURPLE fusioniert. Man höre nur den dritten Track auf dem Album, „Gettin’ Tighter“ – funkier geht’s wirklich nimmer! Stilistisch in der selben Kerbe: „I Need Love“. 

Traditionell eingestellten DP-Fans gefiel diese Entwicklung jedoch immer weniger. Ohne Zweifel auf der Habenseite: Der Opener des Albums, „Comin’ Home“, den Bolin in der Introduktion mit elektronischen Soundverfremdungen und gelungenen Wah-Wah-Verzerrungen verpackte und „Lady Luck“ mit einem stark engagierten Coverdale. Glanzpunkte: „Love Child“ mit einem straighten, ohrwurmartigen Riff, das Bolin allerdings ‚geleast’ hatte und einem David Coverdale, der den feucht-schlüpfrigen Text („Squeeze ‚n’ tease me, honey, when you shake your body“) bis an die Grenze zur Heiserkeit erotisierte. „You Keep On Moving“ ist der atmosphärisch dichteste Song des Albums und entstammt der Feder Coverdale/Hughes: Geheimnisvoll gezauberte Keyboardstimmungen von Lord, Bolins ganze Magie auf Slide- und E-Guitar, poitisch-wehmütige Lyrics in einprägsamen, melodischen Gesangslinien. Misterwerk für die Purple-Galerie! 

Bemerkenswert: „Dealer“ und „Drifter“, da hier Motive in den Songtexten aufgegriffen wurden, die im Schaffen DEEP PURPLEs in loser Folge immer wieder auftauchten. In stimmiger Weise wurde die Thematik des ‚Drifters’, des ziel- und planlos umhertreibenden Menschen, des Außenseiters, der nirgendwo wirklich zugehörig ist, packend in Songtexte und kongeniale Musik umgesetzt. Vereinsamte, verarmte und gebrochene Helden und Nonkonformisten, die an den gesellschaftlichen Regeln scheitern, finden wir in „Child In Time“, „When A Blind Man Cries“, „Mistreated“ oder „Soldier Of Fortune“. Trotz der zuvor genannten Highlights – ob der so eklatant akzentuierten Funk-Einflüsse hing die Zustimmung oder Ablehnung des Werkes schlicht vom jeweiligen Musikgeschmack des Hörers ab. Fakt war, dass der Sound der britischen Hardrock-Institution nun noch weiter von den ursprünglichen Band-Wurzeln entfernt war. 

Des weiteren war Bolin nicht nur am Instrument und ob der Haarpracht eine schillernde Persönlichkeit. Er nahm Drogen (Heroin), verhehlte dies aber über längere Zeit geschickt gegenüber seinen Bandkollegen. Erst spät merkte die Band, was los war – zuerst schenkte man den Ausreden Bolins noch Glauben. Es gab Konzerte, die belegen, dass Bolin gerade mal die elementarsten Griffe spielen konnte, um einen Purple-Song überhaupt noch identifizierbar zu machen. Am 15. Dezember 1975 wurde in Japan ein Album mitgeschnitten, das unter dem Titel „LAST CONCERT IN JAPAN“ erst im März 1977 veröffentlicht wurde. Hier ist das Dilemma akustisch nachvollziehbar: Lord sprang mit Hammond-Soli bei den Passagen ein, die Bolin auf der Gitarre nicht mehr spielen konnte! 

Dann wiederum gab es auch brillante Darbietungen von Bolin, aber sein Leistungspotential schwankte gravierend. Auf der USA-Tour im Januar 1976 präsentierte sich Bolin in glänzender Verfassung. Schwer traf den sensiblen Bolin die gnadenlose Ablehnung der englischen Fans während der England-Tour im März (fünf Dates), die lauthals ihren Unmut kundtaten und nach Blackmore skandierten. Bolin kam mit dem Druck, der auf ihm bürdete, nicht zurecht. Live traten DEEP PURPLE in Liverpool am 15. März 1976 zum letzten Mal auf. Die Bandleistung war katastrophal, unter Tränen ging damals Sänger Coverdale von der Bühne und verkündete seinen Abschied von der Gruppe! Coverdale im O-Ton: „Ich hatte es am Schluss leidlich satt, mir die Eier für Nichts rauszubrüllen...!“ 

Das Management brauchte länger, um der Öffentlichkeit die Fakten zu präsentieren. Am 6. Juli wurde per Presseerklärung offiziell bekannt gegeben, dass die Ära von DEEP PURPLE zu Ende sei (angeblich „auf dem Höhepunkt ihres Erfolges“). 

Tommy Bolin ging mit der TOMMY BOLIN BAND auf Tour – seine Arbeitskraft schien ungebrochen. Im Studio und auf der Bühne war er mit diversen Projekten und Konzerten permanent präsent. Da er aber auch noch alkoholabhängig wurde, nahm seine persönliche Tragödie den unvermeidlichen Lauf. Am 10. Dezember wurde Tommy Bolin in derselben Stadt zu Grabe getragen, in der er 25 Jahre zuvor geboren wurde – in Sioux City, USA. Nur ein paar Tage zuvor spielte er dort am 24. November 1976 noch ein beeindruckendes Konzert. 

1980 versuchte der erste Sänger, Rod Evans, unter dem Namen DEEP PURPLE ein Comeback, das mehr als kläglich scheiterte und deswegen hier keine weitere Erwähnung finden muss. ‚Richtig’ weiter ging es erst im Jahr 1984, als das Mark II Line Up original wieder auferstand und mit der Zelebration von „PERFECT STRANGERS“ eines der triumphalsten Comeback der Rockgeschichte feierte.
 

Teil IV 

Im Sommer 1976 hatte das Management offiziell das Ende der Ära DEEP PURPLE verkündet. Über Jahre berichteten einschlägige Medien immer wieder über eine angebliche. Fakt ist, dass sich Musiker und Manager 1983 zu einer Besprechung einer Wiedervereinigung getroffen hatten. Im Oktober 1984 kam ein künstlerisch eindrucksvolles und selbstbewusstes Album von DEEP PURPLE auf den Markt: „PERFECT STRANGERS“. Sensationell: Das Mark II Line Up, das zwischen 1969 und 1973 für die absoluten Highlights der Purple History verantwortlich zeichnete, fand original besetzt mit Ian Gillan, Jon Lord, Ritchie Blackmore, Roger Glover und Ian Paice den nicht mehr für möglich gehaltenen Weg zurück ins Rampenlicht!
 

I am the echo of your past... das glanzvolle Comeback von DEEP PURPLE mit “PERFECT STRANGERS” (1984) 

Ihr Comeback-Album nahmen DEEP PURPLE im April 1984 im mobilen Aufnahmestudio, dem ‘Le Mobile’, in Vermont auf. Das Album wurde im Tennessee Tonstudio Hamburg abgemischt, vermittelt von Schlagerrecken Drafi Deutscher! Produziert hatte das Album der erfahrene Roger Glover. Tontechniker war Nick Blagona, der Glover schon bei den Aufnahmen der RAINBOW-Scheiben „STRAIGHT BETWEEN THE EYES“ und „BENT OUT OF SHAPE“ unterstützt hatte, aber auch mit Bands wie APRIL WINE, POLICE oder CHICAGO zusammenarbeitete. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung konnte nicht passender platziert werden: Um die besten Chartnotierungen buhlten Heavy-Recken bzw. Bombastrock-Größen wie VAN HALEN (Album: „1984“), QUEEN („THE WORKS“), HEART („HEART“), FOREIGNER („AGENT PROVOCATEUR“) oder MÖTLEY CRÜE („THEATRE OF PAIN“) gegen Musiker wie WHAM! Oder BILLY OCEAN. 

Gleich beim Opener des Albums wurden die Hörer Zeugen eines perfekt inszenierten Spannungsaufbaus. Dezente Hammondorgelklänge und darüber geschichtete (gesampelte) Streicher, nach 17 Sekunden rhythmusverstärkt durch einen Basslauf, in dessen Groove Ian Paice nach 33 Sekunden mit dem Drumkit einsteigt, bis uns Blackmores Gitarre nach 40 Sekunden die Melodie vorgibt und wir mit dem Einsatz von Gillans Gesang „Sweet Lucy was a dancer...“ enthusiastisch zur Kenntnis nehmen dürfen: Purple IS BACK! 

Auch wenn die buchstäbliche Schlüpfrigkeit des Openers „Knocking At Your Back Door“ weniger doppelsinnig scheint, können die Textzeilen „Feel it coming“ oder „The point of no return“ ausnahmsweise mal nicht die angedeutete sexuelle Anzüglichkeit, sondern eher die Chemie zwischen der Band während der Aufnahme hervorheben. Gillan, brillanter Texter der er ist, persifliert hier einfach mit dem Umkehrschluss vorgeblich ‚harmoser’ Texte, die von sexuellen Metaphern strotzen. Das ganze Album wirkte sehr intuitiv, aber konzeptionell wohldurchdacht. Der Jamsession-Charakter mündet immer wieder in filigraner Verspieltheit mit Zitaten (Elgars’ Werk „LAND OF HOPE AND GLORY“ bei „Under The Gun“) oder augenzwinkernden Texten („Hungry Daze:“...we all came down to Montreux, but that’s another song...“), der bei Purple immer existente Blues-Charakter entwickelte sich neben den markanten Melodiebogen zu ausgereiften, songdienlichen Zutaten. Packend die schnellen Harmonie-Wechsel von Gitarre / Orgel bei „A Gypsy’s King“ – und die ausgezeichneten Soli von Blackmore / Lord. Die gefühlvolle Ballade „Wasted Sunsets“ beschert absolute Gänsehautmomente mit tragenden Gitarrenelementen und Text mit Tiefgang. 

Höhepunkt auf „PERFECT STRANGERS“ sind zum einen das 10minütige Instrumentalstück „Son Of Alerik“, welches bei einer Studiosession aufgenommen und um einen Blackmore-Gitarrenlick aufgebaut wurde. Die Balance am Anfang des Songs zieht sich wie ein roter Faden durch das Lied, akzentuiert unterbrochen von den Solo-Darbietungen einer stimmig wirkenden Band. „Son Of Alerik“ erschien zunächst nur als Single B Side, wurde jedoch auf der 1999er CD-Edition des Albums berücksichtigt. Der andere Höhepunkt, der Titeltrack, wird von Jon Lord mit rasiermesserscharfen Orgelklängen eingeleitet und demonstriert im Anschluss exemplarisch Gillans Gesangsfähigkeiten: „Can you remember, remember my name“ Gillans Stimme bereitete auch im Jahr 1984 noch wohlige Schauer. Und dann dieser berühmte Riff nach dem Refrain, dieser hypnotisch einsetzende Komplementärrhythmus (dessen sich auch LED ZEPPELIN schon bei „Kashmir“ bedienten), der eine orientalisch anmutende Klangatmosphäre erzeugt. „Perfect Strangers“ besteht als einziger Track dieser Platte noch heute im Liveprogramm. 

Die LP-Chartplatzierungen konnten sich sehen lassen (USA: 17 / UK: 5 / GER: 2). Bedingt durch die guten Kritiken in der Musikpresse und die hervorragende Resonanz bei den Käufern überraschte dennoch die Harmonie innerhalb der Band, wobei sich die Presse auf die angeblichen ‚liebsten Feinde’ Lord und Blackmore beschränkte und meist völlig den alten Hader zwischen Gillan und Blackmore außer Acht ließ. 

Nach einigen Rehearsals flog man first class gen Australien, um die Welttournee für „PERFECT STRANGERS“ zu starten. Die sogenannten ‚warm up’ Gigs zeigten eine glänzend aufgelegte Band, deren Spiellaune auf das Publikum übersprühte (so enterte z.B. George Harrison in Sydney die Bühne zu einer Jamsession von Little Richards „Lucille“). Die Tournee wurde im Januar 1985 in den USA fortgesetzt – selbstredend ein Triumphzug vor ausverkauften Arenen! Die Setlist dieser Tournee war klug zusammengestellt: Eine gelungene Mischung aus Songs, die eine Wiedervereinigung so nötig machte, und aus neuen Songs und bewährten Purple-Klassikern. Der Opener, nach einem bombastischen Klassik-Intro von Bachs „Toccata in Dm“, war standesgemäß „Highway Star“. „Nobody’s Home“ folgte – bevor DP nach einem Blues die Zeitreise in das Jahr 1971 mit „Strange Kind Of Woman“ fortführten (darin eingebaut: Der berühmte Refrain von „Jesus Christ Superstar“ und YARDBIRDS „Still I’m Sad“). 

Dass die Band kein Risiko scheute, zeigten die vier(!) folgenden Stücke von „PERFECT STRANGERS“: „A Gypsy’s Kiss“, das unvergleichliche „Perfect Strangers“, wobei beim berühmten und schon erwähnten Riff eine außerordentliche Lasershow dargeboten wurde, „Under The Gun“ und die in den USA ausgekoppelte Single „Knocking At Your Backdoor“, „Lazy“ kam in einer beschwingten Art daher und verwunderte den Fan mit einem „Rat Rat Blue“ Riff (vom 73’er Album „WHO DO WE THINK WE ARE“), bevor sich am Schlagzeug Ian Paice effektiv austoben durfte. 

„Child In Time“ brauchte natürlich nur wenige Sekunden, um die entsprechend euphorischen Publikumsreaktionen einzufordern. Dass dieser Klassiker gespielt wurde, war im Vorfeld oftmals von der Musikpresse angezweifelt worden, da man der Meinung war, dass Gillan seine schneidend-markanten Schreie in exponierter Tonlage nicht mehr erreichen würde. Rückblickend ist klar (dank unzähliger Bootlegs, die von dieser Tournee kursieren), dass Gillan dieses purpurne Monumental-Fresko je nach Tagesform gut bis brillant performte. 

Nun bildete „Difficult To Cure“, basierend auf Beethovens „9. SINFONIE“, die Plattform für eine gut zehnminütige Session. Ein mit Laser projizierter Beethoven dirigierte die Band zu seinen Klängen „Freude schöner Götterfunken“, die über ein Keyboardsolo und einem Pianoboogie in Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ mündeten. Letzteres auch bekannt aus dem Film „2001: A Space Odyssey“. Darauf konnte natürlich nur „Space Trucking“ folgen. Zwar wurde der Song nicht mehr halbstündig in orgiastischer Breite gespielt, aber Blackmore traktierte seine Gitarre auch nach zehn Minuten in altbekannter Manier. Gnädigerweise steckte Blackmore die Bühne nach „Space Trucking“ nicht mehr in Brand (Remember 1974? California Jam!), so dass die „Woman From Tokyo“ in einer modifizierten Form die Bühne, zumindest musikalisch, betrat. Das angekündigte „depressivste, traurigste und langsamste Lied aller Zeiten“ (Gillan) entpuppte sich als „Speed King“ in einer regelrechten ‚Killer’-Version, wobei sogar der Anfangsriff von „Burn“ gespielt wurde. Leider weigerte sich Gillan mit der berühmten Textpassage „The sky is red...“ einzustimmen. Begründung von Gillan: „Die Alben „BURN“ und „STORMBRINGER“ kommen mir nicht ins Haus“. Die Zugaben waren natürlich die erfolgreichsten Singles der Band: „Black Night“ und „Smoke On The Water“. 

Die Gigs in Europa wurden ebenfalls frenetisch abgefeiert. Beim Knebworth Festival in England harrten 70.000 Fans in strömendem Regen stundenlang aus, um DP als Headliner zu erleben (Blackmore spielte in Gummistiefeln!). In Deutschland gab es nur zwei Auftritte, die aber entsprechende Aufmerksamkeit fanden (Mannheim: 65.000; Nürnberg: 45.000)! 

Für Blackmore war diese Reunion wohl von vornherein auf ein Album und eine Tournee begrenzt. Seine Band RAINBOW hatte er nach eigenen Angaben nicht aufgelöst, sondern nur temporär auf Eis gelegt. Und da sowohl DEEP PURPLE als auch RAINBOW bei Polydor unter Vertrag waren, hätte man die ausstehenden Alben jeweils problemlos realisieren können. Der durchschlagende kommerzielle Erfolg des Comeback-Albums gab eindeutig den Aufschlag für ein neues Studio-Werk von DP. Während Blackmore eher seiner eingeschlagenen Mainstream-Richtung der letzten RAINBOW-Alben nacheifern wollte, besannen sich Gillan, Lord und Paice auf die purple-typischen Wurzeln und Traditionen. Glover als Produzent musste zwischen den Parteien vermitteln.
 

Experimente auf
„THE HOUSE OF BLUE LIGHT“ – und der Ausbruch neuerlicher Streitigkeiten
 

Wieder mit dem mobilen Aufnahmestudio ausgerüstet, begab man sich erneut nach Vermont um „THE HOUSE OF BLUE LIGHT“ einzuspielen. Der Titel zitiert den berühmten Chuck Berry Song, der bekanntlich schon bei Purples „Speed King“ zitiert wurde. Daraus sollte man aber nicht eine Retro-Platte herleiten, da Glover und Koproduzent Nick Blagona verstärkt Drumcomputer, Synthi-Bass und Gitarrensynthesizer einsetzten. Es ist schwierig, für eine Platte zu argumentieren, von der die Musiker, die diese Songs einspielten, sich später distanzieren. Tatsache ist, dass die Homogenität von „PERFECT STRANGERS“ nicht mehr erreicht wurde. Nachdem dem Abmischen im Münchner Union Studio kam „HOUSE:::“ im Januar 1987 auf den Markt. 

Das Album wurde stimmungsvoll mit einer Kirchenorgel eingeläutet, Gillan röhrte „Take a look at these dirty hands“ und es schien so hart wie auf „PERFECT STRANGERS“ weiterzugehen. Der Opener „Bad Attitude“ umfasste aber schon den gesteigerten Einsatz der Synthesizer, die übrigens von Glover eingespielt wurden. Wenn man zwei Extreme der Platte aufzeigen will, muss man die jeweils auf ihre Weise attraktiven Songs „The Unwritten Law“ und „Mitzi Dupree“ gegenüber stellen. Auf der einen Seite ein von Drum-Computern und Synthiebass begleitetes Lied mit eingängigem Refrain und üppigem Backgroundgesang („Unwritten Law“) – auf der anderen Seite quasi eine Demoeinspielung eines Songs („Mitzi Dupree“). „Unwritten Law“ ist, trotz der vielkritisierten Effekte aus dem Computer, erstaunlich kompakt. Der Refrain nutzt sich nicht ab, und Ian Paice, der die hier eingesetzten Drum-Computer programmierte, setzt zum Schluss zu einem Schlagzeugpart – akustisch gegen elektrisch – an. 

Gleichwohl sind die Purple-Merkmale nicht wegzudiskutieren. Gillans Stimme kann sich auch in diesem ungewohnten Umfeld behaupten, die allgegenwärtige Lordsche Orgeluntermalung, Blackmores teils abgehackten Gitarrenlicks und ein songdienliches Solo vor der dritten Strophe. Das Lied „Mitzi Dupree“ hingegen, welches eine Flugbegebenheit erzählt, die Gillan während seines kurzen Gastspiels bei BLACK SABBATH widerfuhr (seine Sitznachbarin hatte den Namen Mitzi Dupree), ist ein reinrassiger Blues Song. Blackmore hasste ihn, so dass die LP-Version identisch mit dem Originaldemo ist. 

Sehr kontrovers wurde die erste Single „Call Of The Wild“ aufgenommen. Zu bieder versuchte man die Charts zu entern. Das Video zu diesem Lied hingegen ist eine witzige Umsetzung zum Thema ‚Rockstars und die Bereitwilligkeit, ein Video zu drehen’. „Dead Or Alive“ und „Black And White“ sind ‚Purple at their best’. “Strangeways” ist nicht einfach einzuordnen. Die ersten Sekunden des Liedes lassen ein wenig das Gefühl eines Gospels aufkommen, um dann in einem „Perfect Strangers“-ähnlichen Riff einzumünden. Die wunderbaren Lyrics, vielleicht die besten, die Gillan für dieses Album geschrieben hat, werden mit dem verzerrten Gesang beim Refrain symbolisch untermalt. Lord zaubert aus seinen Tasteninstrumenten eigenartige und dennoch passende Klänge, so dass man die Szenerie „the alien has landed, finger in his ear, can’t hear a word I am saying, but that ain’t such a bad idea“ geradezu bildlich vor Augen hat. Um dieses Stück in all seiner Pracht zu genießen, muss man die CD- der LP-Version vorziehen, da auf Vinyl die meisten Lieder in editierte Form gepresst wurden (Beispiel „Strangeways“: auf LP nur 5:55 Minuten, auf CD jedoch 7:36!). 

Obwohl Gillan zu „HOUSE OF BLUE LIGHT“ die Ansicht vertritt, dass diese Platte „keinen Geist, keine Bindekraft“ besitze und die Fans eher irritiert waren, erreichte das Album einen sensationellen 1. (ersten!) Platz in den deutschen Album-Charts (US: 34 / UK: 10)! Dennoch war einiges im Argen. Gillan und Glover mussten ihres Erachtens zu viele Kompromisse auf dieser Purple-Scheibe eingehen und fassten relativ schnell nachdem Bearbeiten der „HOUSE...“-LP den Entschluss, ein Album („ACCIDENTALLY ON PURPOSE“) unter dem Banner Gillan/Glover einzuspielen. 

Die Tournee startete im Januar 1987 in Ungarn. Von „HOUSE..“ fanden die Lieder „Bad Attitude“, „Unwritten Law“, „Dead Or Alive“ (gute Version!) und „Hard Lovin Woman“ den Weg in die Toursetlist. De Singleauskoppelung „Call Of The Wild“ fiel noch schneller aus dem Set wie weiland 1972 “Never Before”. Ansonsten wurden dieselben Klassiker wie auch bei der „PERFECT STRANGERS“ World Tour dargeboten, vom Reunion-Album wurden die sträksten Songs „Knocking At Your Backdoor“ und „Perfect Strangers“ berücksichtigt. Leider eskalierten die Streitereien zwischen Blackmore und Gillan erneut. Die Zusammenarbeit war nur noch eine Frage der Zeit. 

Die Veröffentlichung der Tournee-Mitschnitte konnte nicht überzeugen. Seltsam lustlos klang in Teilen „NOBODY’S PERFECT“, so, als ob der obskure Titel dieses Live-Albums (das zugleich das Vertragsende bei Polydor bedeutete) wie eine Art Band Assetment (Selbst-Einschätzung) zu werden wäre... 

Ab Januar 1989 machte die Band GARTH ROCKETT & THE MOONSHNERS die englischen Clubs unsicher. Eingeweihte wussten schnell, wer sich hinter dem Pseudonym verbarg, war doch „Garth Rockett“ Gillans Alter Ego aus seiner Anfangszeit in den Sechzigern. Die Gerüchte, die hinter vorgehaltener Hand kursierten, bestätigten sich im April 1989, als Gillan telefonisch und über das Management (!) seine Kündigung von DEEP PURPLE erhielt. Abermals brach die berühmte Mark II Besetzung auseinander, wenn auch dieses zweite Intermezzo 61 Monate aushielt (zum Vergleich: ‚Ehe’ Nr. 1 dauerte ‚nur’ 47 Monate). Gillan selbst hab anlässlich seines unrühmlichen Rauswurfes und Abgang Nr. 2 klar zu verstehen, dass er sich „lieber die Kehle durchschneiden würde, als zurück zu Purple zu gehen“...
 

1990: „SLAVES AND MASTERS“ – das künstlerische Desaster mit Joe Lynn Turner 

Voreilig hab Jon Lord in einem Interview an, dass man sich für Terry Brock von der AOR (Adult Oriented Rock) Band STRANGEWAYS entschieden habe und schon fleißig am Songschreiben wäre. Bock kam jedoch nicht zum Zuge. Der neue Mann am Mikro war diesmal alles andere als ein unbeschriebenes Blatt, es war kein Geringerer als der frühere Lead Vocalist von RAINBOW – Joe Lynn Turner!

Der Tenor auf die Verpflichtung Turners schwankte zwischen Verwunderung, Bestürzung und totaler Ablehnung. Joe Lynn Turner (geb. 02.08.1951) nahm in den Siebzigern drei LPs mit der Band „Fandango“ (Gitarrist: Rick Blakemore!!!) auf, die im Bereich softer Gitarren Rock, Funk und Bluesrock pendelten. Der Durchbruch gelang Turner, als er bei Ritchie Blackmores RAINBOW einstieg und somit auf den Pfaden von Ronnie James Dio und Graham Bonnett wandlte. 

Es war natürlich ungerecht, einen Sänger zu verurteilen, bevor man ihm die Chance gab, sich zu beweisen. Fakt war, dass im Oktober 1990 „SLAVES AND MASTERS“ (die erste Aufnahme für RCA/BMG, das 13. Studio-Album von DP und das Debüt von Line Up Mark V) in den Plattenregalen stand und dass selten zuvor eine Purple-Scheibe dermaßen skeptisch beäugt wurde. 

Zwei Elemente trennen dieses Werk auffallend in zwei Klangwelten. Da sind zum einen die auf Turners Singstimme maßgeschneiderten Tracks „King Of Dreams“ (erste Singleauskopplung und gewissermaßen die Beantwortung auf das von Gillan 1973 geschriebene „Smooth Dancer“, seinerzeit an Blackmore gerichtet), die Ballade „Love Conques All“ und das atmosphärische „Truth Hurts“, allesamt in einer reduzierten Instrumentierung gehalten. Jon Lord kann zwar seine entsprechende Ader für Streicherarrangements bei „Love Conquers All“ unter Beweis stellen, dennoch bleibt ein Wiedererkennungsfaktor bei den angesprochenen Songs gänzlich aus, ein purple-spezifischer Sound war hier nicht mehr verifizierbar. 

Grundschlecht indes, vor allem „Truth Hurts“, sind die Tracks nicht. Die Platte wurde immer dann spannend, wenn sich Lortd mit Blackmore messen konnte, diese Duelle klangen aber nur skizzenhaft instrumentiert zum Ende einiger Stücke an. Gänzlich gelungen ist auf „SLAVES AND MASTERS“  lediglich „Wicked Ways“, welches durchgehend mit allen Beteiligten überzeugen kann und Turners beste Leistung bei DP ist. Hier sind die von Purple zu erwartende Dramatik, Detailverliebtheit und Melodienfülle allgegenwärtig. Dass die Platte größtenteils bei den Fans durchfiel (Charts: USA 87 / UK 45 / GER 23), verwundert nicht wirklich. 

Dem Erwartungsdruck trotzend sorgte auf Tournee gleich der Opener für einen Paukenschlag: „Burn“! Endlich wurde im Live Set wieder ein Klassiker aus der Coverdale/Hughes-Ära (Mk III) integriert, gesanglich achtbar geboten, obwohl Turner hier und da schon einmal den Text vergaß. Bei den Songs der Mark II Phase waren Disharmonien unüberhörbar, egal ob bei „Black Night“, „Perfect Strangers“ oder „Lazy“ – Turner kämpfte tapfer, aber vergeblich gegen das unerreichbare ‚Phantom’ Ian Gillan an. Das Konzert am 28. September 1991 in Tel Aviv war denn auch schon wieder das Ende der kontroversen 5. Band-Besetzung, obwohl man nach Tourende noch einige Backingtracks für das nächste Album aufnahm. Der Druck der Plattenfirma, die Mark II Besetzung erneut zu reaktivieren, wuchs und Turner musste peinlicherweise nach gerade mal einem Studio-Album gehen. Turners Karriere indes erlitt keinen wirklichen Knick – jüngst begab sich Turner in einer Aufsehen erregenden Kooperation mit dem ehemaligen Purple-Mitglied Glenn Hughes ins Studio und auf Tournee.
 

Ein letztes mal das legendäre Mark II Line Up: „THE BATTLE RAGES ON“ 

Glover schaffte 1992 das Kunststück, Ian Gillan ohne „durchgeschnittene Kehle“ zu DEEP PURPLE zurückzuholen. Zum dritten Mal stellt Ian Gillan seine an guten Abenden immer noch beeindruckende Stimme in die Dienste von DEEP PURPLE. Gillan hatte seit seinem Hinauswurf 1989 zwei sehr gute Soloplatten veröffentlicht: „NAKED THUNDER“ und „TOOLBOX“. Warum sollte sich Gillan wiederum auf den abzusehenden Stress mit seinem hochstilisierten Erzfeind, dem launischen ‚Divo’ Blackmore, einlassen? Und warum sollte sich Blackmore bereit erklären, wieder mit dem nicht immer textsicheren Gillan auf der Bühne zusammenzuarbeiten? Money makes the world go round – erst recht im Musikgeschäft. Blackmore wurde insofern ruhig gestellt, als dass ihm die Plattenfirma zwei Millionen Dollar für die Aufnahmen einer Soloplatte (vorzugsweise unter dem Namen RAINBOW) in Aussicht stellte. Und Gillan? Zuletzt wird das anstehende 25jährige Bandjubiläum und die damit verbundenen Einnahmen keine kleine Rolle gespielt haben. Und zum zweiten Mal war der Gillans Nachfolger bei DEEP PURPLE auch sein Vorgänger...

 Die Recordings zum neuen Studio-Album „THE BATTLE RAGES ON“, so der Titel, kann man schon als bizarr bezeichnen, wurde doch die Platte von den Musikern einzeln und oftmals in verschiedenen Studios aufgenommen. Aus diesen Puzzleteilchen sollten Roger Glover und Thom Panunzio (u.a. GOLDEN EARRING, U2, JEFF HEALEY BAND) eine homogene Produktion anfertigen. Ein nahezu unmögliches Unterfangen, und auch nur wirklich gelungen beim Titeltrack sowie bei „Anya“ (der besten Singleauskoppelung seit 1984) und bei „A Twist In The Tale“. Hätte die gesamte Platte dieses Niveau gehalten, wäre das die beste Purple-Scheibe sit wenigstens „PERFECT STRANGERS“ geworden. Blackmores & Lords Intro zu „Anya“ mit akustischer Gitarre und Cembalo erzeugten eine Spannung, die sich ohrwurmartig in der berühmten Melodie auslud und zeigte, dass man sowohl kommerziell eingängig als auch mit verworrenen Taktwechseln harmonieren konnte. Die unvermeidliche Tour stand zu allem Überfluss unter einem noch schlechteren Stern, als es die abnorme Konstellation ohnehin schon vermuten ließ: Sämtliche Termine in den USA wurden gecancelt. Die Platte verkaufte sich zäh (USA: 192(!!) / UK: 21 / GER: 14) und Blackmore und Gillan mussten sich sehrt disziplinieren, um nicht wiederholt prügelnd übereinander herzufallen. 

Die Konzerte hingegen waren, zumindest auf der Deutschlandtournee, erstaunlich gut, wenn nicht sogar sensationell! Von der „BATTLE“ wurde der Titeltrack, „Talk About Love“, “A Twist In The Tale“ und direkt nach „Child In Time“ (then was then, and now is now...) eine alles überragende Version (12 Minuten!) von „Anya“ gespielt. Man kramte „Anyone’s Daughter“ von „FIREBALL“ hervor und zitierte wieder klassische Stücke (Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“, Haydn, Beethoven), dass es eine wahre Freude war. Die Venues waren gut besucht (z.B. Kiel 8.000, Stuttgart 13.000) und alles hätte so wundervoll sein können, wenn es nicht diese unsäglichen Dauer-Dispute zwischen den unverbesserlichen Streithähnen Blackmore und Gillan gegeben hätte. 

Blackmore packte entnervt und erleichtert zugleich seine Gitarren bei DP endgültig ein, nicht ohne zuvor die von BMG/RCA versprochenen zwei Millionen Dollar einzusacken. Danach reaktivierte Blackmore RAINBOW mit gänzlich neuen Musikern (1995 erschien unter dem Regenbogen-Banner „STRANGER IN US ALL“). 

Im Herbst 1993 fanden DP Ersatz für Blackmores verwaisten Gitarrenthron. Niemand geringerer als Joe Satriani, einer der weltbesten Gitarristen, rettete die anstehende Japan-Tournee. Satriani verstand sein Engagement von vornherein als zeitlich begrenzt, DP & Management akzeptierten das. Satriani, auch Seminar-Leiter für Gitarre, beherrscht düstere Stimmungen oder vertrackte Soli ebenso gut wie Balladen oder lupenreinen Rock ‚n’ Roll. Satrianis Soli waren nicht nur spieltechnisch brillant, sondern auch experimentell und zeigten eine neue Sichtweise einiger DP-Stücke auf! Erfreulicherweise wurde mit dieser DP-Besetzung (Mk VI) 1994 auch das europäische Publikum verwöhnt. Im Juli 1994 war das Gastspiel schon wieder beendet. Es gibt keine offiziellen Aufnahmen mit Satriani bei DP, weil sich die Plattenfirmen nicht einigen konnten. Regulär blieb Satrianis Zeit undokumentiert und kann nur anhand von Bootlegs nachverfolgt werden. Satriani arbeitete weiter an einer erfolgreichen Solokarriere (u.a. G3 Projekt mit Steve Vai). 

Die Live-CD „COME HELL OR HIGH WATER“ kam im Oktober 1994 heraus. Aufgenommen wurde die CD während der 1993er Tour in Stuttgart, München und Birmingham – eine überzeugende Resteverwertung vom Nachlass aus Mk II. Wesentlich besser und druckvoller als der letzte Live-Output „NOBODY’S PERFECT“, ist diese Aufnahme ein guter Beweis, wie kreativ diese legendäre Besetzung trotz interner Querelen sein konnte. Das gleichnamige Live-Video zeigt das ausverkaufte Birmingham-Konzert und enthält den zornigen Pappbecherwurf Blackmores auf einen Kameramann. Diese beiden Tonträger kann man getrost zur Referenz der Purple-Ära der 90er heranziehen, weil hier neben der musikalischen Klasse auch die persönlichen Widersprüchlichkeiten zwischen den Musikern dokumentiert sind.
 

Morse-Zeichen bei DEEP PURPLE 

Für die Suche nach einem Blackmore-Nachfolger nahm man sich diesmal die entsprechende Zeit. Im November 1994 war es soweit – einhellig fiel die Entscheidung auf Steve Morse (geb. 28. Juli 1954 in Hamilton OH). Morse bestach seit je her durch seine Vielseitigkeit und ist – wie Satriani – auf höchstem spieltechnischen Niveau zu Hause. Mitte der Siebziger kam die heute sehr gesuchte LP „THE GREAT SPECTACULAR“ von seiner Band DIXIE DREGS in kleiner Stückzahl auf den Markt. Die Musik, die zwischen Jazz, Country und Rock fusionierte, deutete schon an, wie vielschichtig die Karriere des sympathischen Musikers noch verlaufen sollte. „Dixie Dregs“ erfreuten sich immer größerer Beliebtheit. Alben von höchstem Neveau: „DREGS OF THE EARTH“ (1980) und „UNSUNG HEROES“ (1981) erfüllen höchste Ansprüche. Nachdem sich die DREGS 1982 auflösten, musizierte Morse als Soloprojekt, bevor er später den Nukleus der STEVE MORSE BAND als Trio bis heute weiterführen sollte. Größere Bekanntheit erreichte er mit seinem Gastspiel bei der amerikanischen Progband KANSAS, die Morse für zwei Alben verpflichten konnte (1986: „POWER“ und 1988: „IN THE SPIRIT OF THINGS“). Schon bei KANSAS wagte er sich in große Fußstapfen, sollte er nicht nur den Mastermind Kerry Livgren ersetzen, sondern darüber hinaus auch noch live mit der Gitarre die Geigenphrasen spielen. Dass Morse auch interessante Hardrock-Soli spielen kann, bewies er zusammen mit Rik Emmett auf der TRIUMPH-Scheibe „SURVEILLANCE“ und dem Hammersong „Headed For Nowhere“! 

„PURPENDICULAR“  ist das erste DP-Studioalbum seit „COME TASTE THE BAND“, dessen erste Töne von einer Gitarre kommen. „Ted The Mechanic“ ist ein stampfender und druckvoller Opener. Weitere Eckpfeiler der CD sind die lange vermissten sessionartigen Songs wie „Rosa’s Cantina“ und „Cascades: I’m Not Your Lover“, die von Lord angeführt werden und eine schöne Liveclub-Atmosphäre suggerieren. Die ruhigen Songs „A Touch Away“ und das irisch klingende „The Aviator“ kommen im gemäßigten und angenehm knappen Arrangement daher (letzterer Titel wurde auch von dem deutschsprachigen Deep Purple Fanclub als Nmensgeber übernommen, deren Homepage www.the-aviator.de dem geneigten Fan als Surftipp empfohlen sei). 

Quintessenz von „PURPENDICULAR“ ist jedoch der 7:29 Minuten Übersong „Sometimes I Feel Like Screaming“, der schnell zum Klassiker avancierte. Die ‚singende’ Gitarre, die dezenten Klavietöne, die wie zu ihren besten Zeiten tighte Rhythmussektion und ein glänzend aufgelegter Sänger markierten einen neuen, magischen Höhepunkt in der umfangreichen Band History. „PURPENDICULAR“ stellt die stimmigste Arbeit seit „PERFECT STRANGERS“ dar und konnte sich in UK auf Platz 58 und in Deutschland auf Platz 16 positionieren. Eine überzeugende Europatournee stellte klar, dass DP nicht gewillt waren, dieses Zusammenspiel als nur kurzfristig zu akzeptieren. Höhepunkte waren die musikalischen Duelle zwischen Morse und Lord, wobei Lord sich immer als ‚bezwungen’ gab, um den skeptischen Fans Morses herausragenden Qualitäten klar zu machen! 

Das Jahr 1997 wurde für einige Soloprojekte innerhalb der Band genutzt (Ian Gillan: „DREAMCATCHER“, Jon Lord arbeitete an „PICTURERD WITHIN“. Steve Morse promotete sine „STRESSFEST“-CD) und DP nahmen sich eine kleine Auszeit, die sie mit der Live-Doppel-CD „LIVE AT THE OLYMPIA ’69“ überbrückten. Diese Liveaufnahme aus Paris, nicht in bester Tonqualität, besticht durch ansprechende Versionen von „No One Came“, „The Purpendicular Waltz“ und „Highway Star“, bei denen drei Blechbläser zur Unterstützung mit auf der Bühne waren. Nomen est omen auf ein Classic Revival?
 

„ABANDON“ – 16. Studio-Album und... A Band On… Tour… A Band On… Classic Trip

 Zunächst stand dide Veröffentlichung von “ABANDON”, Studioalbum Nr. 16, auf dem Pflichtprogramm von DP. ABANDON wurde zwischen 1997 und 1998 aufgenommen. Leider gibt es deutliche Abstriche in der Qualität im Vergleich zum Vorgänger. „Seventh Heaven“, „Watching The Sky“ und das etwas unterbewertete „Fingers To The Bone“ (ein Lied, das partiell noch aus Morses Zeit von KANSAS stammte) erreichten die Klasse von „PURPENDICULAR“, während die belanglosen „She Was“ oder „Evil Loui“ nach Füllstoff klingen. Ob es nun am guten Feedback zur „PURPENDICULAR“ lag, dass man sich vielleicht zu sehr unter Druck gesetzt hatte oder ob die einzelnen Soloprojekte die Musiker zu sehr abgelenkt hatten – „ABANDON“ blieb bei den Fans ein sehr umstrittenes Album, obwohl das komplexe Werk von der Band mit ausreichend Vorlaufzeit und voller Hingabe (=abandon) eingespielt wurde. 

DEEP PURPLE – „ABANDON“ = „A.Band.On.tour“ 1999 (dieses Wortspiel passte auch auf die bevorstehenden Tourneedaten, wo die Gruppe u.a. nach 14 Jahren wieder in Australien spielte und davon eine Live-DVD und Doppel-CD mit dem Titel „TOTAL ABANDON“ im Juli 1999 veröffentlichte). 

Hinter den Kulissen stand jedoch schon eine neue Sensation an – die Planung für die Jubiläums Performance von „A Concerto For Group And Orchestra“, dreißig Jahre nach der Welturaufführung, lief auf Hochtouren. Fast af den Jahrestag genau feierten DEEP PURPLE ein unvergessliches 30-Jahres-Jubiläum dieser bahnbrechenden Rock/Klassik-Fusion (s. hierzu auch das Interview mit Jon Lord in der November-Ausgabe 2002 von ECLIPSED auf S. 18/19.). 1999 gab es natürlich den Vorteil, dass die Orchester-Mitglieder gegenüber einem Projekt dieser Art sehr viel aufgeschlossener waren. Das Programm um das „Concerto...“ herum war schlicht sensationell, angefangen mit drei Songs aus Lords letztem Soloalbum „PICTURED WITHIN“ („Sunrise“, „Pictured Within“: voc. Miller Anderson; „Wait A While“). Danach enterte Ronnie James Dio die Bühne, um Roger Glovers “Sitting In A Dream” und “Love Is All” vom “BUTTERFLY BALL…”-Album einzustimmen. Ian Paice hatte sein Forum mit der swingenden Version „Wring That Neck“ und zeigte nebenher, dass er immer noch zu den Besten seiner Zunft gehört! Die STEVE MORSE BAND präsentierte „Take It Off The Top“ und “Night Meets Light”, Gillan Sang den Gillan/Glover Song “Via Miami” und “That’s Why God Is Singing The Blues” vn seiner letzten Solo-CD “DREAMCATCHER”. Die Purplesongs, die teilweise vom London Symphony Orchestra begleitet wurden („Ted The Mechanic“, „Watching The Sky“, „Pictures Of Home“, „Sometimes I Fee Like Screaming“(Gänsehaut=Goosepimples!) und eine von allen Musikern begleitete Super-Version von “Smoke On The Water”), beschlossen das Konzert und verabschiedeten ein begeistertes Publikum in die abhendliche Septemberluft. Das war ein Event der Superlative und DP in absoluter Weltklasse-Form! Rechtzeitig zum 1999er Weihnachtsgeschäft kam die Auswertung in Form einer Doppel-CD und iner visuellen Video/DVD-Verarbeitung. Im September 2000 ging man dann endlich auch mit Orchester auf Tournee in Südamerika und Europa, darunter auch sieben umjubelte Konzerte in Deutschland. 

Für Jon Lord bedeutet die „A CONCERTO FOR GROUP AND ORCHESTRA“ Tournee eine riesige Anerkennung und Bestätigung seiner Arbeit. Da DP natürlich auch weiterhin reichlich ‚orchesterlose’ Hardrock Concerts gaben, reifte in ihm der Beschluss, nach fast 34 Jahren ‚Ehe’ mit DP die ‚Scheidung’ einzureichen. Im März 2002 trennte sich Jon Lord offiziell von DEEP PURPLE, gelegentlich trat und betritt er noch bei diversen UK Gigs als Gaststar die Bühne. Nachfolger wurde – Don Airey!

Mk 8 – Zukunft mit Don Airey? 

Es bleibt die berechtigte Frage, inwieweit die Fans den Abschied von Hammond-Papst Jon Lord bereit sind zu akzeptieren. Mit seinem Ausstieg verursachte Lord nicht mehr und nicht weniger als den zweiten musikalischen und melodieprägenden Fassaden-Einsturz des purpurnen Grundfundamentes. Nun, die Musiker werden sagen, solange Fans zur Show kommen, hat diese Band jede Daseinsberechtigung. Auffällig jedoch sind die vielen Sidesteps der einzelnen Künstler in den letzten Jahren. So war Ian Paice für Paul McCartney tätig und absolvierte in unregelmäßigen Abständen kleine Tourneen / Workshops, unterstützt von Pete York. Roger Glover veröffentlichte kürzlich sein hervorragendes Soloalbum „SNAPSHOT“. Steve Morse gar holte DIXIE DREGS aus der Versenkung! Don Airey (geb. 21. Juni 1950, u.a. WHITESNAKE, RAINBOW, GARY MOORE) war von jeher in den Studios der Welt zuhause und kann mit einer ellenlangen Discografie aufwarten – will er sich auf eine Band konzentrieren? 

Jede Hypothese ist nur so zeitgemäß, bis das nächste Album veröffentlicht wird. Und so bleibt uns nicht übrig, als Ian Gillan zu zitieren:

„It was a dream,
a silent scream,
out of the blue
a new beginning...“
 

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