Max Raabe


"Ich finde es unanständig, dass man Musik spielt, wo gar keine nötig ist, wo sie sogar stört... Wer nimmt sich das Recht, den öffentlichen Raum derart durch Beschallung zu beherrschen?"

"Selbst Konzerte können ein Gräuel sein, wenn Musik aus der Konserve läuft, ehe sich der Vorhang hebt – im schlimmsten Fall Musik des Künstlers, der auftritt."

"Wenn ich abends ausgehe, bevorzuge ich Lokale, in denen keine Musik läuft... Ich träume davon, dass es mehr solcher Orte gibt, an denen man Musik nicht benutzt, um permanent alles zuzukleistern."


Eine Albtraumerfahrung in letzter Zeit war, dass auf Skihütten Musik gespielt wird – und zwar mit Lautsprechern nach draußen. Dass es drinnen nach Schmorbraten riecht und Humtata läuft, nimmt man in Kauf. Wo viele Menschen sind, da ist Rabatz. Aber draußen finde ich es unanständig. Über die Qualität der Musik will ich gar nicht sprechen, es könnte auch Mozart laufen. Unanständig finde ich die Tatsache, dass man Musik spielt, wo gar keine nötig ist, wo sie sogar stört. 

Im Sommer ist es auch nicht besser. Da läuft in Gartenlokalen sogenannte Chill-out-Musik. Warum wird das Gezwitscher der Vögel übertönt? Das Geplapper der Menschen, das Klingen der Gläser, das Bellen der Hunde? Geräusche, die für mich den Klang eines Sommergartens ausmachen. Sie werden einem genommen, wenn man Musik hören muss, obwohl man dies lieber nicht tun würde. Wie kann man davon ausgehen, dass alle dasselbe hören wollen? Wer nimmt sich das Recht, den öffentlichen Raum derart durch Beschallung zu beherrschen? 

Selbst Konzerte können ein Gräuel sein, wenn Musik aus der Konserve läuft, ehe sich der Vorhang hebt – im schlimmsten Fall Musik des Künstlers, der auftritt. Das ist, als ginge ich essen und würde schon vor Beginn des ersten Ganges gefüttert. Ich bin schon satt, bevor das Konzert beginnt.

Wenn ich mich zu Hause vor die Stereoanlage setze, höre ich zu und mache nichts anderes. Ich kann nicht gleichzeitig Musik hören und lesen. Ich kann dann nicht einmal in Zeitschriften blättern. Was ich auflege, will ich wirklich hören. Wenn ich abends ausgehe, bevorzuge ich Lokale, in denen keine Musik läuft. Auch in Berlin kann ich diese an einer Hand abzählen. Doch komischerweise beschwert sich dort niemand darüber, dass etwas fehlt. Ich träume davon, dass es mehr solcher Orte gibt, an denen man Musik nicht benutzt, um permanent alles zuzukleistern.

Die schönsten akustischen Zufluchten, die ich kenne, sind im Sommer die Seen um Berlin, wo immer Geräusche zu hören sind: Entenschnattern, Kinderlachen, summende Insekten. Mich einfach auf eine Wiese zu legen und dem zuzuhören, der Musik des Ortes zu lauschen – das ist für mich Wohlklang.

Exzerpt von Karlheinz


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Max Raabe
"Ich lege mich auf eine Wiese und höre den Insekten zu"
ZEIT-MAGAZIN, Nr.12, 18.3.2010
aufgezeichnet von Ralph Geisenhanslüke


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