Jim Jarmusch

Rock’n’Roll war so "cool", weil es nicht die Musik meiner Eltern war

SZ-MAGAZIN
Heft 49/2016

Interview von Max Fellmann

Exzerpt von Karlheinz

Sie sind für eine ganze Generation von Kinobesuchern ein Mann, der »cool« definiert – auch durch Ihr Auftreten.

Gestern hat mich eine Journalistin gefragt, wann ich angefangen hätte, meine Haare zu färben. Das war ihr voller Ernst. Ich habe ihr gesagt: Gute Frau, ich bin mit 15 Jahren weiß geworden, wie auch meine Mutter, wie schon meine Großmutter. Das war keine Mode, das war Biologie.

Was macht für Sie Coolness aus?

Miles Davis hat ein berühmtes Album aufgenommen, Birth of the Cool. In dem Sinne würde »cool« den Übergang vom Bebop zum modalen Jazz bedeuten, also weg von den wilden Gefühlsausbrüchen hin zu einer eher kühlen, gefassten Art von Musik.

Ist New York immer noch cool?

Für New Yorker bedeutet heute Coolsein: Erst mal abwarten, was die anderen sagen, bloß nicht negativ auffallen. Wenn Sie in New York auf ein Konzert gehen, stehen alle da und schauen links, rechts, wie der Rest des Publikums reagiert, bevor sie sich zur einer Regung hinreißen lassen. Das ist nicht cool, das ist fake.

Was war das Erste in Ihrem Leben, was Sie cool fanden?

Als kleiner Junge sah ich in einem Autokino Thunder Road mit Robert Mitchum. Ein Film über Alkoholschmuggler und schnelle Autos. Da dachte ich zum ersten Mal, wow, sind die cool! Das waren Kriminelle, aber gute Kerle. Stark, mit schnellen Autos. Alles drin. Und natürlich Mitchum. Cooler geht‘s kaum.

Mit Robert Mitchum haben Sie später dann selbst einen Film gedreht.

Dead Man, ja. Seinen letzten.

Da war er fast achtzig – und immer noch cool?

Robert Mitchum war in seinen Filmen immer das wandelnde Understatement. Kein Ton zu laut, keine Geste zu viel. Er hat sich auf seine Wirkung verlassen. Er machte in seinen Szenen immer den Eindruck, schlauer zu sein als alle anderen, einer, der nichts beweisen muss. Wenn einem jemand das Gefühl vermittelt, da ist noch mehr, er lässt nur nicht alles raus: Das ist cool.

In den Achtzigerjahren, als Sie berühmt wurden, wollte jeder cool sein. Was bedeutete das damals?

Da bedeutete es in erster Linie, nonkonformistisch zu sein. Nicht mit dem Strom zu schwimmen. Sich abzugrenzen.

In Ihren Filmen sind es diese endlosen Einstellungen, in denen wenig passiert, die lässigen Großstädter, die irgendwo abhängen. Paul Auster hat Ihre Figuren beschrieben als »lakonische, zurückgezogene, traurige Murmler«.

Aber sie taumeln oft auch etwas. Ich glaube, mich interessieren Figuren am meisten, wenn sie genau dazwischen liegen, wenn sie cool sind, aber auch ein bisschen hilflos.

Sie haben sich viel mit Filmgeschichte befasst, viel mit Rockmusik – wie kamen Sie denn jetzt, mit Anfang sechzig, auf Dichtung?

Fasziniert hat sie mich immer schon, sie spielte nur in meinen Filmen keine große Rolle. Poesie ist großartig, weil sie manchmal so reduziert ist, manchmal fast mysteriös. Ein Dichter, ich glaube, es war Lawrence Ferlinghetti, hat mal gesagt: Du kannst ein Gedicht verstehen, ohne zu wissen, was es bedeutet. Das finde ich großartig. Außerdem lässt das Gedicht mehr Raum als der durchgeschriebene Text. Die Leerstellen erhalten einen Wert. Da sind wir wieder bei Miles Davis. Der hat gesagt: Die Töne, die ich nicht spiele, sind genauso wichtig wie die Töne, die ich spiele.

Darf man Sie für einen Nostalgiker halten?

Ach was! Ich schneide meine Filme seit 1996 auf digitalem Equipment – aber ich schreibe auch immer noch mit einem Stift. Und mein nächster Film wird wahrscheinlich wieder in Schwarz-Weiß sein. Man kann es sich aussuchen, das ist doch der Witz. Ich mag den Gedanken nicht, dass nur, weil etwas Neues existiert, das Alte sofort obsolet sein soll. Als die Fotografie erfunden wurde, hat doch auch niemand gesagt, ab sofort bitte nie mehr zeichnen.

Ihre Filme haben alle ein sehr eigentümliches Tempo. Ob Permanent Vacation, Ihr erster Film, oder jetzt Paterson, da ist alles immer wahnsinnig langsam. Warum?

Das kommt Ihnen nur so vor, weil um uns herum alles immer hektischer wird.

Trotzdem, wie ertragen Sie die viele Stille? Viele werden schon nervös, wenn sie mit anderen Leuten schweigend in einem Aufzug stehen.

Ich mag genau solche Situationen. In Night on Earth wollte ich mich mit den Momenten beschäftigen, die sonst jeder Film weglässt: Den Taxifahrten. Mich fasziniert besonders das, was wir normalerweise für nicht dramatisch, für nicht essenziell, nicht aussagekräftig halten. Ich werde nervös, wenn es irgendwo zu viel Aussage gibt. Bei zu viel Handlung ist es dasselbe – macht mich nervös. Wie Musik mit zu vielen Noten. Es gibt Gitarristen, die eine Million Töne pro Minute spielen können, technisch unglaublich professionell, aber es sagt mir rein gar nichts. Ich nehme lieber einen guten Akkord und lasse den schön im Raum stehen.

Musik hat in Ihrer Arbeit immer eine große Rolle gespielt. Was war die erste Musik, die Sie cool fanden?

Ich hatte als Teenager ein kleines Transistorradio, und nachts, wenn ich schlafen sollte, lag ich unter meiner Decke und habe Radio gehört. Da haben sie R’n’B gespielt, Black Music, ein bisschen Rock’n’Roll. Ich lag da, mit weit geöffneten Augen und dachte: Das ist alles so aufregend und mysteriös. Und so cool!

Was genau war daran cool?

Vor allem, dass es nicht die Musik meiner Eltern war. Da ging es los mit dem Nonkonformismus. Ich mochte Motown, Smokey Robinson, das wurde mir aber schnell zu nett, dann entdeckte ich das rauere Zeug, Screamin Jay Hawkins und so. Manches davon wirkte so … gefährlich. Ich hatte den Eindruck, ich kriege da als kleiner Junge schon ein bisschen was vom späteren Leben mit, von den Abenteuern der Großen. Später kam der Punkrock dazu.

Sie haben mal gesagt, ohne Rock’n’Roll, ohne die Ramones, hätten Sie keinen einzigen Film gemacht.

Ich habe mich oft mit Iggy Pop darüber unterhalten: Rock’n’Roll braucht immer ein bisschen was von dem, was wir den stupid factor nennen. Sonst wär es nicht interessant.

Max Fellmann fragte Jarmusch noch, wie er den baldigen Präsidenten Donald Trump sehe. Darauf hob Jarmusch die Hand ironisch zum Hitler-Gruß - und winkte schnell ab: »Das ist alles zu traurig. Ich will nicht mal Witze machen. Reden wir über was anderes«.

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