Offshore-Finanzsysteme,
das neue Gesicht des „alten“ Kolonialismus

Entwicklungsländer haben keine Schulden bei uns, wir haben immense Schulden bei ihnen

Eine neue Generation wird diesen Skandal beenden


Aus einem Artikel von MARKUS MEINZER


Im Jahr 2011 hatten Superreiche weltweit zwischen 21 und 32 Billionen Dollar in Steuer“oasen“ versteckt. Das sind 21 Tausend bis 32 Tausend Milliarden.

Die Kehrseite dieser gigantischen Privatvermögen sind die Schulden der öffentlichen Hand, besonders im internationalen Maßstab. Viele Entwicklungsländer, die traditionell als Schuldnerländer betrachtet werden, sind in Wirklichkeit Gläubiger gegenüber der übrigen Welt, auch gegenüber Deutschland.

Die Unternehmensberatung McKinsey untersuchte 139 Entwicklungsländer und stellte fest, dass diese den reichsten Nationen der Welt mehr als zehntausend Milliarden US-Dollar geliehen haben.

Die ärmsten Nationen der Welt finanzieren unseren Zweitwagen, das aiPhone und den Espresso-Automaten mit – ohne gefragt zu werden.

Während diese Vermögen wenigen Privatpersonen „gehören“, werden die Schulden von der „breiten“ Bevölkerung getragen.

Entwicklungsländer haben also kein Schuldenproblem. Sie haben ein Problem mit den versteckten Offshore-Vermögen. Im Kampf gegen die Armut gibt es weltweit kein größeres strukturelles Problem als das Offshore-Finanzsystem.

Statistisch gesehen ist ein Entwicklungsland umso ärmer, je geringer der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt ist, die sogenannte Steuerquote. Die ärmsten Länder haben eine durchschnittliche Steuerquote von 18,4 Prozent, Länder mittleren Einkommens von 26,4 und OECD-Länder mit hohem Einkommen eine Quote von 41,5 Prozent.

Einfach gesagt: Ein Entwicklungsland könnte Hunger und Armut aus eigener Kraft und ohne Entwicklungshilfe aus dem „reichen Westen“ überwinden, wenn es die Steuerquote auf das Niveau von Industrienationen anheben könnte. Viele innere Probleme in diesen Ländern verhindern dies – Schattenwirtschaft, Bestechlichkeit, schlechte Regierungsführung.

Es zeigt sich aber auch, dass die Entwicklungsländer durch illegale Finanzströme jährlich ein Vielfaches dessen an Kapital verlieren, was sie durch Entwicklungshilfe erhalten. Allein durch Preismanipulationen von Konzernen gehen ihnen jährlich 160 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen verloren.

Ein Beispiel für dieses Steuervermeidungsspiel liefern der Rohstoffgigant Glencore und der Bierbrauer Sabmiller, die in Entwicklungsländern nur geringe Ertragssteuern bezahlen, obwohl sie mit der Förderung von Rohstoffen, der Produktion und dem Verkauf von Waren große Gewinne machen.

Eine Sabmiller-Tochter mit Sitz in Zug/Schweiz stellt den konzerneigenen Brauereien in Afrika überhöhte Rechnungen – auch über fiktive Dienstleistungen und Patentgebühren(!siehe Internetfirmen!). So fließen allein durch Sabmillers Tricks 100 Millionen Schweizer Franken jährlich aus Afrika in Steuer“oasen“. Ungefähr 60 Millionen davon gehen in den Kanton Zug.

Der „alte“ Kolonialismus hat im vergangenen Jahrhundert die politische Bühne verlassen müssen – auf der ökonomischen Bühne spielt er weiterhin die Hauptrolle. Sein neues Gewand ist das Offshore-Finanzsystem, das den Globus umspannt und sich heute im Zentrum der Weltwirtschaft befindet. Mehr als die Hälfte des Welthandels wird auf dem Papier über Steuer“oasen“ abgewickelt.

„Offshore“ bezeichnet keinen geographischen Ort. Es bezeichnet den virtuellen Zwischenraum jenseits der behördlichen Aufsicht, die Nischen und Spalten zwischen den aneinanderstoßenden Rechts- und Wirtschaftsräumen. Diese Lücken werden mit ausgeklügelter Intransparenz und Rechtsverdrehung genutzt.

Heerscharen hochbezahlter Anwälte, Banker und Wirtschaftsprüfer sind immer auf der Suche nach neuen Steuer- und Regulierungstricks, nach Lücken in den Rechtssystemen und bei den Offenlegungspflichten. Die hochkomplexen Fluchtwege werden dann den Superreichen, Geldwäschern oder Konzernen verkauft.

Und wo sich die Lücke nicht von alleine bietet, wird nachgeholfen. Dank des unbürokratischen Austauschs mit den Gesetzgebern in den Steuer“oasen“ gibt es entsprechende Gesetzesvorlagen. Denn die Regierungen kleiner Schattenfinanzplätze sind Winzlinge im Vergleich zu den globalen Finanzkonzernen.

Das Offshore-System besteht, weil es eine einzige Dienstleistung feilbietet: Die Umgehung von Spielregeln, Gesetzen und Regulierungen anderer Staaten. Es überwindet die Regeln, die Drogen-, Menschen- und Waffenhandel verindern wollen, Bestechung, Insiderhandel, wettbewerbswidrige Monopole. Die Voraussetzung dafür ist die Geheimhaltung. Man sollte deshalb besser von „Schattenfinanzplätzen“ reden als von „Steuer“oasen“.

Nach mehr als dreißig Jahren Deregulierungswettlauf ist kaum jemand mit weißer Weste übrig. Auch Deutschland mischt mit, senkt Konzern- und Spitzensteuersätze, bevorzugt ausländische Finanzinvestoren, interveniert, um mehr Mitsprache der Entwicklungsländer bei der Gestaltung internationaler Steuerregeln zu verhindern.

2009 schränkte Deutschland die Steuerkooperation mit Entwicklungsländern ein. Nicht zufällig sind mehr als 1,3 Billionen Euro ausländisches Geld auf deutschen Konten angelegt. Wir wissen nicht, wie viel davon aus Entwicklungsländern kommt; Allein der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi hatte sechs Milliarden Euro im deutschen Finanzsystem angelegt.

Heute betriebene Entwicklungspolitik sieht sich gerne in der Geste des Helfenden. Ja: Es ist bequemer, den Armen Almosen zu schicken, als daheim für politische Reformen, für Gerechtigkeit zu streiten.

Es wird Aufgabe unserer Generation sein, den Skandal des Offshore-Finanzsystems aufzudecken und sein Ende zu besiegeln.

Viel Erfolg dabei - wir Maden im Speck der Geschichte haben in dieser Sache jämmerlich versagt!

Karlheinz

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MARKUS MEINZER, 34, ist Finanz- und Steuerfachmann beim internationalen Netzwerk Steuergerechtigkeit, das seit Jahren auf das Problem der Steuer“oasen“ hinweist.

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AUSSENANSICHT
Der neue Kolonialismus
Tödliche "Oasen": Offshore-Systeme helfen Diktatoren und Konzernen, den Armen das Geld vorzuenthalten, das sie brauchen.

von MARKUS MEINZER
Süddeutsche Zeitung, 12. April 2013


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