Alles wursch’t oder was?

Wer heute was verbockt, bekommt eine eigene Fernsehshow


Exzerpt eines Artikels von
ANNE RUHRFEIND und HEDWIG GAFGA


Piet Klocke, 55, Musiker und Komödiant, Bayerischer Kabarettpreis, Goldener Löwe; Buch: „Kann ich hier mal eine Sache zu Ende?!“

Bastian Sick, 47, Autor, Dokumentationsjournalist beim „Spiegel“, eigene Kolumne „Zwiebelfisch“, Ehrenmitglied im Verein Deutsche Sprache; Buch: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“

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Sick: „Der“ oder „die“ Yael, Sidney oder Kim, bei all den Vornamen, denen man das Geschlecht nicht mehr ansieht, ist man auf den Artikel angewiesen.

Sick: Nicht nur Guugl, auch Ikea trägt viel zur allgemeinen Rudelduzerei bei. In Schweden gibt es nur das Ehren-Sie, und das ist dem König vorbehalten. Weil der Kunde bekanntlich König ist, müsste der ja eigentlich gesiezt werden. Bei Ikea ist der Kunde dann wohl doch nur der Wagenschieber (und Geld-an-der-Kasse-Ablieferer).

Sick: Unterscheidungen wie „sich“ und „einander“ sind bedeutungsvoll. Das wird deutlich, wenn es zu Missverständnissen kommt.

Nach einem Rededuell Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber im Wahlkampf 2002 sagte ein Sprecher: „Beide Kandidaten erklärten sich für unfähig, das Land zu regieren.“ Ja, wenn sie sich selber für unfähig halten, warum treten die denn überhaupt zur Wahl an? Klar wäre gewesen: „Die Kandidaten erklärten einander für unfähig, das Land zu regieren.“

Chrismon: Ist es nicht ziemlich wurscht, ob ein Apostroph richtig gesetzt ist?

Sick: Im Spruch: „Das McDonald’s-Team für Sie unterweg’s“, gibt der Apostroph Rätsel auf. Aus welchem Grund wird hier ein adverbiales Endungs-S apostrophiert? Solche Gedankenlosigkeiten machen Lücken. Falsche Apostrophe findet man inzwischen längst nicht nur beim Genitiv, sondern auch beim Plural: Steak’s, Pizza’s, sogar Nudel’n.

Klocke: Sätze nicht zu Ende reden, passt blendend in unsere Zeit: „The Age of Display“. Wir alle müssen immer schneller mit allem durch sein.

Die Informationen haben heute eine derartige Geschwindigkeit, dass ich mich manchmal frage, ob die dazu passenden Ereignisse eigentlich schon …?!

Sick: Es heißt DER Apostroph, so haben es die Griechen mal entschieden. Heute sagen viele Leute „das“, weil es ja nur so ein kleines Häkchen ist. Kann man ja auch verstehen.

Chrismon: Ist das Sprachentwicklung, wenn Fehler schon nach einer Wiederholung Stil(?), (Proll-) Mode machen: „Lass ma Kino gehen …“??? – nee, dauerpubertärer Trotz und verzweifelter Profilierungsversuch. Wir haben ja sonst keine Chance mehr, Spuren in der Geschichte zu hinterlassen, was ja schließlich des Lebens Zweck ist.

Klocke: Redakteure einer Schülerzeitung fragten mich vor kurzem, wie man Kommiedi’en (Comedian) wird. Ich hasse diesen Begriff, der mir zu sehr nach Massenware, Schwemme und Ausverkauf riecht.

Humor, der ein Mittel sein kann gegen die Unbill des Lebens, gegen seine Zumutungen, hat das (eine Verramschung) wirklich nicht verdient. Ich liebe guten Mutterwitz, mag keine Scherze auf Kosten anderer, hasse Zynismus als Grundtendenz. Humor kann man nicht studieren.

Sick: Dass Wittenberg von allen nur noch als „Lutherstadt“ bezeichnet wird, hat etwas Zwanghaftes. Es gibt so viele Attribute – Universitätsstadt, Wissensstadt, Messestadt – dass es schon wieder beliebig wird.

Sick: Bei meinen Auftritten spiele ich nicht den Besserwisser, eher die Rolle eines Ratgebers oder Experten. Wie ein Arzt, der ja auch ein Experte ist und Ihnen sagt, was Sie tun sollten. Dafür zahlen Sie sogar noch.

Wenn Ihnen aber jemand sagt, das Komma ist nicht richtig, dann ist er ein Besserwisser. Wer an der Sprache herumkrittelt, krittelt an der Persönlichkeit herum. Wer das tut, ist ein Besserwisser, ein Oberlehrer, ein Klugscheißer, ein Rittmeister mit der Reitpeitsche …

Wir leben aber eigentlich in entspannten Zeiten. Wenn ein Schüler vor hundert Jahren etwas verbockt hatte, dann wurde er vor der ganzen Klasse vorgeführt, gedemütigt …

Klocke: Heute geht man ins Dschungelcamp.

Sick: Ja, heute bekommt man vielleicht eine eigene Fernsehshow.

Phrasendreschen und Nachäffen sprachlicher Moden ist ermüdend, aber dafür können die Wörter nichts. Lasst uns die Wörter behalten!


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Alles wursch’t oder was?

Bastian Sick und Piet Klocke über unvollendete Sätze, unsinnige Apostrophe – und Wörter, auf die man lieber nicht verzichten soll

Moderation: Anne Ruhrfeind und Hedwig Gafga
Chrismon begegnungen, 02.2013


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