Bildungsfernsehen
oder
wie legitimiert man Dummheit

Fernsehzuschauer haben ein Recht auf ein anspruchsvolles Angebot

Martin Wiebel


Exzerpt eines Artikels von PETER RICHTER


Im WDR der 1970er hat kein Mensch von Quoten gesprochen. Im Dritten wurden die gar nicht erhoben. Bildungsfernsehen war noch das Gegenteil des Schimpfworts, das es heute ist.

Bildungsfernsehen war das Ideal.

Es gab nicht die Vorstellung, man müsse dem Zuschauer hinterherlaufen und ihn da abholen, wo er steht. Sondern, dass man ihn dazu bringen kann, sich für etwas anderes zu interessieren.

Das ist sein Recht auf ein anspruchsvolles Angebot.

Anspruch galt nicht als etwas Schreckliches. Sondern als etwas Richtiges. Man soll den Menschen ein Angebot machen. Sie müssen es nicht annehmen. Aber wenn sie es annehmen, haben sie was davon.

Pause.

Zwanzig Jahre später hörte sich das aus dem Mund eines Fernsehdirektors so an: "Wiebel, machen Sie doch einmal einen Film für Menschen ohne Abitur!"

Das waren dann die 1990er, in denen das Fernsehen endgültig umgekippt ist. Die Privaten hatten sich etabliert. Schmonzetten der ARD-Tochter Degeto und das Dünnbrett-Eventfernsehen ersetzten den Blick auf das Weltgeschehen.

Geht es denn eigentlich um Fernsehen für Akademiker? Geht es nicht schlicht um gute oder schlechte Fiktion, um gute oder schlechte Unterhaltung?

Deutschlands Einwohner alimentieren den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt jährlich mit mehr als sieben Milliarden Euro. Trotz weiterer Hunderte Millionen durch Werbung, haben sich Menschen unter 60 in Deutschland von ARD und ZDF, vor allem von der Fiktion in diesen Sendern, mehr oder weniger verabschiedet.

Viele fressen stattdessen US-Serien wie „Mad Men“ oder „Homeland“ am liebsten staffelweise an einem Wochenende in sich hinein – denen man all das anmerkt, was dem deutschen Erzählfernsehen trotz der Milliarden abgeht:

Eine Ausstattung, gegen die das „Adlon“ im ZDF als schnurrende Peinlichkeit abschmiert, Dialoge und Figuren von literarischer Qualität, kein Pappkameradentum, mehr Mut, mehr Mühe, mehr, ja, eben:

Bildungsfernsehen.

Stattdessen Genre-Geschichten. Krimi: wird geguckt. Eine Liebesgeschichte mit Kitsch und Fransen: wird geguckt.

Alles mit mehr Anspruch: Lieber nicht!

Die Konsequenz: Zynismus aus Feigheit und ab Anfang der 1990er, als „Ober-Zynismus“, die immer mitschwingende Frage:

Wie legitimiert man Dummheit?


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Gute Unterhaltung

Es gab eine Zeit, da waren ARD und ZDF das Paradies. Man traute sich vieles – auch zu scheitern. Das ist lange her. Der Redakteur Martin Wiebel kannte diese Zeit. Und ihr Ende. Ein Besuch

Von PETER RICHTER
Süddeutsche Zeitung, 22. Januar 2013


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