Gegen die Verführungs-Künste der Händler:

Ein selbst gewählter Preis-Anker und eine Einkaufsliste


Exzerpt eines Artikels von MALTE CONRADI und HARALD FREIBERGER


Kai-Markus Müller, 36, Neurologe und Psychologe:
Jede Entscheidung hat eine starke unbewusste Komponente, und das Unbewusste ist von außen leicht zu beeinflussen.

Ich nenne Ihnen jetzt eine Zahl, zum Beispiel 100. Dann frage ich Sie: Wie viele Länder der afrikanischen Union sind in der UNO?

70?

Gut geschätzt, aber es sind nur 54. Hätte ich vorher die Zahl 5 genannt, hätten Sie wohl eher zu niedrig geraten. Wenn ich es so anstelle, dass Sie nichts merken, wird der Effekt noch stärker. Auch wenn man den Trick kennt, kann sich das menschliche Gehirn nicht völlig dagegen wehren.

Schlaue Verkäufer nutzen diesen Effekt, den man auch „Preis-Anker“ nennt. Mein Cousin berichtete mir stolz, ein Schnäppchen gemacht zu haben: 250 Euro für einen Kaschmir-Pullover. Qualität hat ihren Preis, aber ein Schnäppchen? Der Verkäufer hatte meinem Cousin zuerst einen Gucci-Pullover gezeigt: 800 Euro. Dagegen wirkten die 250 wirklich wie ein Schnäppchen.

Manche Verkäufer nutzen den Preis-Anker-Effekt unbewusst, weil sie gelernt haben, dass er funktioniert. Interessant ist ja, dass das teure Produkt gar nicht verkauft werden soll. Es befindet sich nur im Laden, um die anderen günstig erscheinen zu lassen.

„Gut gemachte“ Speisekarten funktionieren ebenso. Ein schlauer Wirt bietet immer ein sehr teures Gericht an. Wird es bestellt, gut. Wichtig aber ist es, einen Kontrast zu den anderen Preisen herzustellen, so dass diese „billiger/günstiger“ erscheinen.

Die Gehirnforschung geht davon aus, dass sich im Hirn sogenannte Prototypen bilden. So würden die meisten Menschen sagen, dass ein i-Pad 700 Euro kostet. Das ist dann ihr prototypischer Preis für dieses Produkt.

Wenn ich ihnen jetzt ein neues Produkt für 1000 Euro zeige, lernt ihr Gehirn blitzschnell um: Ihr prototypischer Preis steigt von 700 auf vielleicht 800 Euro. Was gerade noch „normal“ erschien, erscheint plötzlich günstig.

Das Gehirn hat keine absolute Vorstellung von Preisen, es nimmt immer nur relativ, also im Verglich mit… wahr. Nur Profis können vielleicht beim Einkaufen kalkulieren, wie hoch Materialwert, Herstellungskosten eines Produktes und damit, welcher Preis angemessen wäre.

Preise sind daher immer willkürlich. Gut gesetzt, haben sie nichts mit den Herstellungskosten zu tun, sondern damit, was der Kunde bereit ist zu zahlen.

Der Boxster von Porsche war immer das preiswerteste Modell. Dann kam der Cayman, nichts als ein Boxster mit Dach. Normalerweise sind Cabrios etwas teurer als geschlossene Modelle. Der Cayman hätte also der billigste Porsche sein müssen. War er aber nicht: Porsche positionierte ihn als eigenständiges Modell – mit Preisaufschlag.

Unlogisch? Funktioniert aber: Das Ding ist ein Verkaufs-Schlager. Porsche hatte keine Entwicklungskosten, bekam trotzdem mehr Geld für jedes Auto. Wer es „geschickt anstellt“, kann als Markenverkäufer fast jeden Preis verlangen.

Preise haben den größten Effekt auf den Profit des Unternehmens. Den Preis zu erhöhen bringt viel mehr, als Kosten zu senken oder mehr Produkte zu verkaufen.

Ich habe ein Hirn-Scan-Verfahren entwickelt, mit dem ich die Zahlungsbereitschaft von Kunden ermittele. Ich helfe Unternehmen, den höchsten Preis zu finden, den der Kunde noch bereit ist zu zahlen. Ohne die maximale Zahlungsbereitschaft zu kennen, entgeht ihnen sehr viel Gewinn, wenn der Kunde das Produkt vielleicht auch für mehr Geld gekauft hätte .

Für eine Kaffeehaus-Kette, bei der eine Tasse Kaffee 1,80 Euro kostete, zeigte sich im Hirn-Scan, dass das Gehirn aber bis zu 2,30 Euro akzeptieren würde. Bei Kosten von 1,50 Euro pro Tasse, wäre der Gewinn von 30 auf 80 Cent fast zu verdreifachen.

Die Kunden handeln wirklich so, wie wir es im Hirn-Scan sehen. Nach dem Reiz entscheidet das Gehirn innerhalb von Millisekunden: Kaufen oder nicht kaufen. Alles, was danach kommt, ist ein Zusammensuchen von scheinbar rationalen, vernünftig klingenden Gründen für die längst gefallene Entscheidung.

Bei Wein ist die Zahlungsbereitschaf überhaupt nicht ausgereizt. Untersuchungen zeigten, dass unser Belonungs-Zentrum im Hirn umso stärker aktiviert wird, je teurer der Wein war, und zwar unabhängig von der objektiven Qualität des Weines. Sogar, wenn es immer derselbe ist, funktioniert dieser Effekt. Niemand, der viel für eine Flasche bezahlt, wird vom Wein enttäuscht sein.

Jeder Winzer, der seinen Wein beim Discounter verramscht, verzichtet also auf viel Profit. Meine Arbeit führt dazu, dass eine Flasche Wein, die man vorher für vier Euro bekam, nun zehn Euro kostet. Aber für vier Euro würde der Wein nicht so gut schmecken. Machen Sie also einen 50-Euro-Wein auf und genießen Sie ihn, statt sich Sorgen zu machen, ob Sie übers Ohr gehauen wurden.

Als Wissenschaftler weiß ich, dass wir Menschen unser eigenes Handeln nie ganz verstehen können. Wenn man aber die Mechanismen kennt, kann man zum Beispiel beim nächsten Pullover-Kauf erst mal bei H&M reinschauen, um einen

niedrigen Preis-Anker zu setzen.

Das „Shoppen“ vermeiden. Spontankäufe verleiten mit hoher Wahrscheinlichkeit, zu Produkten zu greifen, die mit hohen Gewinn-Margen verkauft werden, also „viel zu teuer sind“.

Eine Einkaufsliste schreiben und (möglichst!) nur das kaufen, was darauf steht!


Wer den ganzen Artikel lesen möchte, gehe zu:

„Wir sind wehrlos gegen die Verführung“

Warum geben Menschen mehr aus, als sie eigentlich wollen? Und was können sie tun, um teuren Weinen und Luxusautos zu widerstehen? Der Neurologe Kai-Markus Müller muss es wissen. Er erforscht für Firmen, wie sie Preise anheben können, ohne Kunden zu vergraulen.

Interview: MALTE CONRADI und HARALD FREIBERGER
Süddeutsche Zeitung, 30. November 2012


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