Gemeinwohl-Ökonomie

Kooperation motiviert Menschen stärker als Konkurrenz.

Wenn Kooperation systemisch belohnt und Verweigerung von Kooperation schlechter bestellt wird, bedeutet es letztlich für alle den höchsten Gewinn.

Der Schutz von Privateigentum beruht auch nicht auf Freiwilligkeit. Genau gleich könnten wir Egoismus in der Wirtschaft bestrafen.

Wir sollten endlich die Werte, mit denen Beziehungen gelingen, zu den Prinzipien des Wirtschaftens machen: Vertrauen, Toleranz, Rücksichtnahme, Zuhören, Zusammenarbeit.

Börsen sollten abgeschafft werden. Sie verbessern kaum mehr die Unternehmensfinanzierung. Sie sind zu einem Casino ohne unternehmerischen Geist geworden – wenn etwa Unternehmen mehr als den Vorjahresgewinn als „Dividende“ ausschütten und gleichzeitig Arbeitsplätze streichen.

„Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“ (Bayerische Verfassung Artikel 151)

Chiatian Felber


Exzerpt eines Interviews
von MAX HÄGLER und DIETER SÜRIG


Bewegungsstifter

Die Finanz- und Euro-Krise hat das Interesse an alternativen Wirtschaftsmodellen befördert – jenseits von Kapitalismus und Planwirtschaft.

Ein bekanntes Szenario ist das der Gemeinwohl-Ökonomie, die der österreichische Globalisierungskritiker und Attac-Mitbegründer Christian Felber, 38, entwickelt hat.

Dem Romanisten und Politikwissenschaftler schwebt eine Form der Marktwirtschaft vor, in der die Motive unternehmerischen Handelns nicht Gewinnstreben und Konkurrenz sind, sondern Gemeinwohlstreben und Kooperation. Werte, die zwischenmenschliche Beziehungen gelingen lassen. Wirtschaftlicher Erfolg soll daran gemessen werden, inwieweit Grundbedürfnisse, Lebensqualität und Gemeinschaftswerte geschaffen werden.

Felber hat enormen Zulauf. Seiner Idee haben sich bereits rund 810 Unternehmen und Kommunen in zehn Ländern angeschlossen. Sie alle versuchen, sich die Gemeinwohlziele auf ihre Fahnen zu schreiben. Darunter befinden sich auch die Sparda-Bank in München, mehrere Gemeinden in Südtirol sowie die Stadt Wien.

2009 hat Felber die „Bewegungsstiftung Österreich“  mitgegründet und 2010 das Projekt der „Demokratischen Bank“ angeschoben.

Der nebenberuflich als Tänzer wirkende Publizist hat mehrere Bücher veröffentlicht (zuletzt „Retten wir den Euro“) und hält oft Vorträge.

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Christian Felber: Meine Rolle ist Vordenker, Visionär. Aber ich will nichts über eine Revolution erreichen. Als Erkenntnis orientierter Mensch bin ich für die Evolution.

Wenn wir allein durch das Greifen auf die Herdplatte lernen würden, könnten wir die Universitäten zusperren.

Das bedeutet für mich auch, dass die Ideale und Ideen in der Praxis anwendbar gemacht werden müssen. Die Pionier-Unternehmen greifen nicht zu den Waffen, sondern zur Gemeinwohl-Bilanz.

Derzeit sind das Gewinnstreben des Einzelnen und Konsum die obersten Ziele des unternehmerischen Handelns. Dabei sollte es doch um die Maximierung des Gemeinwohls gehen – so steht es jedenfalls in der Bayerischen Verfassung.

Wir sollten endlich die Werte, mit denen Beziehungen gelingen, zu den Prinzipien des Wirtschaftens machen: Vertrauen, Toleranz, Rücksichtnahme, Zuhören, Zusammenarbeit.

„Corporate Social Responsibility“ großer Unternehmen sind Versuche der Camouflage am falsch laufenden System. Dass einzelne Firmen freiwillig Standards einhalten, bedeutet nicht, dass sich die Probleme weltweit mindern. Im Gegenteil. Hungerproblem, Demokratieproblem und das Umweltproblem verschärfen sich.

Es gilt unverändert: Ein Unternehmen kann ethisch agieren. Es kann innovativ sein, es kann solidarisch arbeiten – doch nichts von dem entscheidet letztlich über seinen Erfolg.

Mir geht es darum zu erkennen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Dieser Gesamtblick geht überall verloren, am gefährlichsten in der Wirtschaftswissenschaft und infolgedessen auch in der Wirtschaft.

Die Gemeinwohl-Ökonomie entstand dagegen mit Hilfe verschiedenster Philosophien und Religionen. Als letzte Instanz habe ich nur eine Legitimationsquelle: Mein eigenes Herz.

Unternehmen dürfen gern und gut verdienen und Gewinne machen, jedoch ist ihr Eigennutz rückgekoppelt ans „Wohl aller“. Wer mehr leistet für die Allgemeinheit, wer größere soziale und ökologische Rücksichten nimmt, soll es auf dem Markt leichter haben als Egoisten – ganz im Sinne „Leistungsgerechtigkeit“.

Das Ganze soll festgeschrieben werden in der Verfassung.

Eine Möglichkeit, wie der Mensch sein kann, ist genau die, die wir im gegenwärtigen System kultivieren und belohnen, der Mensch, der dem Menschen ein Wolf ist, misstrauisch, ein Kapitalist.

Aus der Psychologie und Neurobiologie wissen wir aber, dass wir auch zum Gegenteil fähig sind: Wir könnten auch solidarische Kooperationspartner werden. Wir müssen uns von Ideologien lösen, dann können wir frei entscheiden.

Max Hägler und Dieter Sürig, SZ: Sozialwissenschaftler sind da kritisch. Das Gefangenendilemma zeigt, dass zwei Spieler nicht den größten Gewinn für beide wählen, sondern – aus Misstrauen und Missgunst – einen geringeren, persönlichen Erlös vorziehen.

Die wichtigste Lehre aus dem Gefangenendilemma ist, dass unkooperatives Verhalten sanktioniert werden muss. Der Schutz von Privateigentum beruht auch nicht auf Freiwilligkeit. Genau gleich könnten wir Egoismus in der Wirtschaft sanktionieren.

Wenn Kooperation systemisch belohnt und Verweigerung von Kooperation schlechter bestellt wird, bedeutet es letztlich für alle den höchsten Gewinn. Denn dafür, dass Kooperation Menschen stärker motiviert als Konkurrenz, gibt es hinreichende empirische Belege.

Max Hägler und Dieter Sürig, SZ: Bedeutet das in der Konsequenz, kein Wettbewerb mehr?

In der Gemeinwohlökonomie wollen wir alle Unternehmen auf die Märkte lassen – ohne jegliche Barrieren. Da sind wir liberaler als das jetzige System.

Aber die Beziehungsform wird anders geregelt. Durch unsere neuen Regeln wären feindliche Übernahmen, Dumpingpreise oder Sperrpatente verboten; Jede Aggressivität gegen andere wird mit Nachteilen geahndet.

Wer dagegen kooperativ handelt, nachweisbar über die Gemeinwohlbilanz, der wird begünstigt – etwa über niedrige Kreditzinsen, Steuervergünstigungen oder öffentliche Aufträge.

Die heutige Realität, dass nur diejenigen Geld verdienen, die sich dem Wettbewerb stellen und gewinnen, ist aus meiner Sicht der falsche Anreiz. Gewinnen soll der Kooperativste mit der besten Qualität.

Max Hägler und Dieter Sürig, SZ: Aber wäre das nicht ein Rückschritt? Wettbewerb bewirkt doch Innovation, wie z.B. Smartphones.

Die gegenwärtige Innovationsgeschwindigkeit ist zum einen gar nicht mehr sinnvoll. Sie folgt einem völlig falschen Zweck, will vor allem den Produzenten neue Umsätze und Gewinne ermöglichen mit Produkten, die man teilweise gar nicht braucht.

Es wird aus der Konkurrenz-Profitstreben-Ordnung heraus tatsächlich zu viel innoviert. Auf der Strecke bleibt das eigentliche Ziel: Die Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen.

Max Hägler und Dieter Sürig, SZ: Angenommen, das würde so im Groben umgesetzt. Deutschland würde weltwirtschaftlich zurückfallen.

Der Effekt wäre ein positiver: Deutschland würde zum Hort der sozialen Verantwortung, der Menschenwürde, der Demokratie.

Vielleicht würden einige Handelsbeziehungen zum Erliegen kommen. Aber die brauchen wir auch nicht, das wären die unfairen. Stattdessen würden kooperative und humanere Formen der internationalen Arbeitsteilung entstehen, wo mit viel mehr Freude gearbeitet würde.

Innovation bedarf der Kreativität. Und Kreativität entsteht am besten dort, wo Menschen frei sind, wo sie sich vertrauen – der Druck bei Wettbewerbssituationen bringt schlechtere Ergebnisse.

Da ginge es dann nicht um Profit, sondern um die Lösung der wirklichen Probleme. Ich sehe darin auch eine Erlösung aus dem Wachstumszwang.

Die große Hoffnung ist, dass neue Ideen in der jetzigen Krise besser fruchten. Die Bankenkrise und die Staatsschuldenkrise können aber auch dazu führen, dass das Projekt Europa implodiert. Es würde für viele eine existenzielle Not bedeuten und wäre politisch eine gefährliche Situation.

Es gibt sicher eine starke emanzipatorische Bewegung in Europa, die etwas Nachhaltigeres und Gerechteres aufbauen will.

Aber Krise und Regierungslosigkeit kann auch zu einem Rückbau der Grundrechte und der Demokratie führen – und so können wir in einem autoritären System landen.

Die beiden Bewegungen könnten sich wohl auch eine Zeit lang die Waage halten, aber niemand weiß, wohin es kippt.

Die Strategie, dass die Euro-Gruppe Hunderte Milliarden in die Rettung pumpt und die Zentralbank en gros Staatsanleihen aufkauft, wird den Euro nicht retten. Denn die zu Rettenden werden mehr, die Retter weniger und schwächer.

Über kurz oder lang sind alle zusammen in der Insolvenz – oder in der Inflation. Wenn das so weitergeht, gebe ich dem Euro höchstens noch fünf Jahre.

Der Rettungsschirm ESM ist eindeutig kein Beispiel gemeinwohlorientierten Handelns, weil er einer Minderheit nützt – den Großvermögenden, Eigentümern und Gläubigern der systemrelevanten Banken, während die breite Bevölkerung „enteignet“ wird und abrutscht.

Mein Vorschlag ist deshalb, dass über EU-weit koordinierte Vermögenssteuern die Schulden solidarisch getilgt werden – ein Kinderspiel, zumal die Privatvermögen fünfmal größer sind als die Staatsschulden.

Demokratisch wäre, alle Varianten einer Volksabstimmung zu unterziehen:

a) Schulden übertragen mit Rettungsschirmen;

b) Schulden streichen;

c) Schulden inflationieren und

d) Schulden tilgen

Max Hägler und Dieter Sürig, SZ: Eine Ihrer Lösungen lautet, Abschaffung der Börsen.

Die Abschaffung der Börsen ist eine harte Forderung, die viele zuerst abschreckt. Aber bedenken Sie: In Deutschland sind nur 0,05 Prozent der Unternehmen Aktiengesellschaften. Und die Forderung ist keine Sache der Wut, sondern der Ratio:

Börsen verbessern kaum mehr die Unternehmensfinanzierung. Sie sind zu einem Casino ohne unternehmerischen Geist geworden – wenn etwa Unternehmen mehr als den Vorjahresgewinn als „Dividende“ ausschütten und gleichzeitig Arbeitsplätze streichen.

Max Hägler und Dieter Sürig, SZ: Wann hoffen Sie auf Umsetzung der Gemeinwohlökonomie?

Unsere Strategie ist die breitestmögliche Beteiligung von Personen, Unternehmen und Gemeinden. Wir wollen langsam, aber nachhaltig von unten nach oben wachsen – und über kommunale Wirtschaftskonvente einen breiten demokratischen Prozess auslösen.

2018 und 2019 wären günstig: Am 100. Geburtstag der Demokratie in Österreich und Deutschland könnten wir die ersten wirklich demokratischen Verfassungen schreiben.

Zumindest sind die Verfassungen um einen Wirtschaftsverfassungsteil zu ergänzen, der die Bestimmung

„Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“ (Bayerische Verfassung Artikel 151)

so konkretisiert, dass das einklagbar wird.


Wer den ganzen Artikel lesen möchte, gehen zu:

„Die letzte Instanz ist mein eigenes Herz“

Es geht nicht um Eigennutz, sondern darum, das Gemeinwohl zu maximieren – das ist die Grundhaltung des Kapitalismuskritikers Christian Felber. Damit erfährt er viel Zuspruch. Der Österreicher will die Börsen abschaffen und glaubt nicht, dass der Fonds ESM den Euro retten wird

Interview: MAX HÄGLER und DIETER SÜRIG
Süddeutsche Zeitung, 14. September  2012


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