Zocken in Millisekunden mit Bob Dylan als Sicherheit

Mathematiker entwickeln Handels Programme für Computer, die in Sekundenschnelle Preisbewegungen an der Börse erkennen und (wem auch immer) profitabel nutzbar machen. Welchem Zweck das dazu benutzte (fremde) Kapital dient, spielt keine Rolle mehr.

Bob Dylans Lieder als Sicherheit für Verluste bei einer Insolvenz? The Times They Are A'Changing?!


- Verrückt "spielende" Algo-Trader
Exzerpt eines Artikels von MARKUS ZYDRA

- Bob Dylan & Wall Street
Exzerpt eines Artikels von HARALD FREIBERGER


Welche Funktion haben eigentlich die Börsen?

Seriöser Sammelplatz von Kapital zur Finanzierung der Wirtschaft in einer Gesellschaft mit ehrbaren Kaufleuten oder Spielplatz für wertfreie Wissenschafts Experimente, die das Handwerkzeug für Zocker liefern?

Ein Auto fährt in die Kurve, keine Hand am Lenkrad, der Autopilot steuert, der Fahrer liest Zeitung. So sehen Automobilbauer die Zukunft des Straßenverkehrs.

An den internationalen Börsen hat der Computer schon heute die Kontrolle übernommen. Bis zu 75 Prozent des Aktiengeschäfts werden automatisiert abgewickelt. Im Hochfrequenzhandel entscheiden Computerprogramme innerhalb einer tausendstel Sekunde, wann und wie häufig ein Aktienpaket gekauft wird.

Dabei kann schon mal der Börsenhandel, wie zuletzt in Madrid und Tokio, wegen technischer Probleme zusammenbrechen, oder die US-Handelsfirma Knight Capital an der Wall Street 400 Millionen Dollar Verlust machen, weil die Handels Software falsch programmiert war und 45 Minuten lang völlig irrsinnige Kaufentscheidungen traf. In diesen Fällen blieb der Schaden auf den Verursacher beschränkt.

Beim Flash Crash, im Mai 2010 war aber der gesamte us-amerikanische Aktienmarkt betroffen. Manche Aktien verloren binnen Minuten 90 Prozent an Wert. Ursache war ein „wildgewordener“ Algo-Trader. Diese Hochfrequenzhändler entwickeln Programme, die nach Rechenregeln = Algorithmen funktionieren.

Dabei können Fehler passieren, die die Stabilität des Finanzsystems dann nicht gefährden, wenn mit einem Notschalter "verrückt" "spielende" Systeme abgeschaltet werden.

Programme, die Programm-Fehler mindestens in der selben Geschwindigkeit erkennen, wie diese fehlerhaft "agieren", gibt es offenbar nicht. Entweder weil es für die Programm Entwickler unattraktiv, oder weil es zu schwierig ist.

Allein diese beiden Gründe würden für mich ausreichen, um den Einsatz dieser Technik an den Börsen zu ächten. Und, weil man grundsätzlich nicht alles tun muss, was möglich ist.

Für wen sind Börsen heute eigentlich noch da?

In ihrer langen Geschichte hatten Börsen zwei Aufgaben: Aufstrebende Firmen langfristig mit dem Kapital der Sparer zu versorgen und Investoren einen Markt zu bieten, wo sie ihre Aktienpakete veräußern können.

Es kam häufig vor, dass Eigentümer Aktien verkaufen wollten, doch zu diesem Zeitpunkt niemand Interesse hatte. Dann sprangen die Zwischenhändler auf dem Börsenparkett ein und erwarben die Aktien, um sie kurz danach weiter zu verkaufen, möglichst mit Gewinn.

Diese Händler vor Ort, wurden ab 1990 immer häufiger durch automatisierte Handelsprogramme ersetzt. Computer eroberten die Börse. Das Handelstempo wuchs. Jetzt dominiert der Hochfrequenzhandel den globalen Finanzmarkt und bestimmt folglich auch die Aktienkurse.

Die Programme reagieren auf kurzfristige Preistrends. Steigt irgendein Kurs eine Stunde lang, dann kauft der Algo-Trader. Hat er besonders „gute“ Software, dann erkennt er vor allen anderen – und wenn es nur eine Millisekunde ist – welche Aktien gekauft werden. Dieser Vorsprung reicht, um daraus Profit zu ziehen.

Algo-Trader fluten auch schon mal die Börse mit unzähligen Kauf-Orders, die eine Nachfrage simulieren. Kurz vor Ausführung stornieren sie und schlagen dann aus der Preisbewegung, die ihr vorgetäuschtes Kaufinteresse ausgelöst hat, Kapital.

Die Parketthändler von früher, aus Fleisch und Blut, waren auch gewieft und spielten schon mal mit falschen Karten. Doch jetzt hat sich die Balance verschoben.

Der Börsenhandel wird dominiert von Mathematikern, die Handelssysteme entwerfen, denen es gar nicht darum geht, wie gut die betriebswirtschaftlichen Aussichten eines Konzerns sind oder was der Vorstandschef kann.

Es geht darum, Preisbewegungen im Sekundentakt zu antizipieren. Es geht ums Zocken – nicht mehr um langfristiges Investieren.

Der irische Poet Oscar Wilde schrieb, ein Zyniker kenne den Preis von allem und den Wert von nichts. Genau diesen Zynismus gibt es an den internatonalen Börsen, zum Schaden der Gesellschaft.


Wer den vollständigen Artikel lesen möchte, gehe zu:

Börse
Zocken in Millisekunden

Von MARKUS ZYDRA
Süddeutsche Zeitung, 9. August 2012

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All Along The Wall Street

Darf man reich werden mit Bob Dylan, indem man seiner Verwertungs Gesellschaft Geld leiht? Darf Bob Dylan noch reicher werden als er es durch seine Lieder schon ist, indem er für eine Bank oder Unterwäsche Werbung macht?

Die Rechte-Verwertungs-Firma "SESAC" in Nashville, Tennessee (USA), sorgt wie die deutsche "GEMA" dafür, dass Musiker entlohnt werden, wenn ihre Lieder im Radio laufen.

"SESAC" hat kürzlich über den Kapitalmarkt eine Anleihe (Bond) in Höhe von 300 Millionen Dollar ausgegeben. Investoren können Anteile am Bond zu einem derzeit sehr attraktiven Zins von 5,25 Prozent kaufen.

Als Sicherheiten (colaterals) wurden Rechte von Musikern hinterlegt, deren Interessen das Unternehmen vertritt. Darunter befinden sich neben Bob Dylan auch Neil Diamond und die kanadische Rockband Rush.

Sollte "SESAC" einmal zahlungsunfähig werden, dann gehen die Sicherheiten auf die Anleger über. Die würden dann daran verdienen, wenn zum Beispiel „The Times They Are A-Changing“,

„The Spirit Of Radio“,

oder "What A Beautiful Noise" im Radio gespielt wird.

Heißt es nun: Reich werden mit Dylan, dem großen Kritiker des Kapitalismus? Darf der das selbst, wenn er in den 1990ern sein „Blowing In The Wind“ der Bank of Montreal für einen Werbespot zur Verfügung stellte, oder wenn er selber 2004 in einem Werbefilmchen der Dessous-Firma Victoria’s Secret auftrat?

Egal, "kleine" Bankkunden und Musikfreunde warten nun nur noch darauf, dass ein Algo-Trader auf die Zahlungsunfähigkeit von "SESAC" wettet und… gewinnt?!?


Wer den vollständigen Artikel lesen möchte, gehe zu:

All Along The Wall Street
So hatte Bob Dylan sich das wohl nicht vorgestellt: Seine Songs dienen jetzt als Sicherheit für eine Anleihe. Musste es wirklich so weit kommen?

Von HARALD FREIBERGER
Süddeutsche Zeitung, 10. August 2012


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