„THE RUM DIARY“, der Film über den frühen Roman von Hunter S. Thompson

Hunter S. Thompson veränderte die Literatur, wie Marlon Brando die Schauspielerei. Er ist so wichtig für uns wie Bob Dylan und die "Rolling Stones"
(Johnny Depp)

„The Rum Diary“ im Kino - Die Verwandlung des amerikanischen Traums in einen Albtraum - das große Thema der Reporter-Ikone Hunter S. Thompson. Schon bei der Verfilmung seines Buchs "Fear and Loathing in Las Vegas" war Johnny Depp die treibende Kraft. Nun hat er als Produzent und Hauptdarsteller ein Frühwerk seines Freundes verfilmt. In „The Rum Diary“ portraitiert er den jungen Schreiber auf der Suche nach sich selbst in einer tropisch-karnevalesken Achterbahnfahrt.


- Exzerpt eines Artikels von RAINER GANSERA

- Exzerpt des Interviews mit dem Regisseur BRUCE ROBINSON von DORIS KUHN


Auf dem Weg zu sich selbst

Der tolle Hund, der nur verlieren kann

"Er war ein Genie, das die Literatur so veränderte wie Marlon Brando die Schauspielerei, so wichtig für uns wie Bob Dylan und die 'Rolling Stones'." Das schrieb Johnny Depp im Nachruf auf seinen Freund Hunter S. Thompson, den legendären Reporter und Schriftsteller, der sich 2005 mit einer seiner zahlreichen Waffen erschoss.

Johnny Depp war die treibende Kraft bei der Verfilmung von Thompsons Roman "Fear and Loathing in Las Vegas" (Terry Gilliam, 1998) und auch jetzt, bei Bruce Robinsons posthumer Adaption des "Rum Diary". In beiden Filmen spielt Depp auch Thompsons Alter Ego, und man darf davon ausgehen, dass sie ein Weltbild teilen - das Weltbild vom tollen Hund, der trotz allem nur verlieren kann.

Schon Jack Sparrow hat Johnny Depp diese Mischung aus Erleuchtung und Trotteligkeit verpasst, diese Grandezza, die ein Mensch nur mit der richtigen Menge Rum erreicht: Trunkenheit als Zustand höchster Luzidität.

All das steckt dann auch in "Rum Diary", diesem halbautobiografischen Erlebnisbericht eines angehenden Journalisten, Paul Kemp – nur im Trinken schon Veteran, Möchtegern Romancier, Text-Söldner und Teilzeit-Idealist, im tropischen Exil in Puerto Rico Anfang der Sixties.

In Kemp wiederum steckt der sehr junge Hunter S. Thompson – und nun natürlich auch Johnny Depp. Ein Romanversuch, den der 22-jährige Thompson 1960 verfasste, erst 1998 veröffentlicht - und jetzt eine späte Filmhommage, die am Ende auch sein ganzes weiteres Werk in den Blick nimmt.

War "Fear and Loathing in Las Vegas" die Drogen-Overkill-Groteske, so zeigt sich "Rum Diary" munterer gestimmt als tropisch-karnevaleske Achterbahnfahrt, zwischen Slapstick, Romanze und politischem Lehrstück zu Hunter S. Thompsons Lieblingsthema: Die Verwandlung des amerikanischen Traums in einen Albtraum.

Kemp nennt es "die Invasion der Fettärsche". Er arbeitet einem Provinzblatt und lernt eine bizarre Gruppe von ultrareaktionären Kuba-Hassern und smarten Investoren kennen, die im Paradies - bisher abgesperrt und von der US-Navy für Zielübungen benutzt - ein vulgäres Freizeit-Super-Resort errichten wollen: Die Vorhut jenes "militärisch-industriellen Komplexes", vor dem Dwight D. Eisenhower 1961 warnte.

Während sich also ferne Detonationen mit Karneval-Feuerwerk und dem Tumult bei Hahnenkämpfen und Partys mischen, versuchen die Immobilienhaie, Kemp als PR-Schreiber für das Projekt zu gewinnen, ihn mit Luxus zu beeindrucken: Villa, Auto und Vorzeigeschönheit.

Als schließlich sein antikapitalistisches Gewissen erwacht, kann er den Bonzen auch fast einen Strich durch die Rechnung machen - fast.

Wir sehen also Johnny Depp als rumgetränkten Don Quijote, der natürlich auch einen Sancho Pansa, den Fotografen Sala (Michael Rispoli) hat.

Johnny Depp konturiert diese Figur zurückhaltend, macht sie zum Protagonisten einer Selbstfindungs Legende, die den innersten Kern der Story bildet. "Ich schaffe es nicht, so zu schreiben, wie ich bin", murmelt Kemp.

Am Ende des Films aber ist er auf dem Weg dorthin.

The Rum Diary, USA 2011
Regie und Buch: Bruce Robinson.
Kamera: Dariusz Wolski.
Musik: Christopher Young.
Mit: Johnny Depp, Amber Heard, Michael Rispoli.
Wild Bunch, 120 Minuten.


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Wege zum Ruhm
Johnny Depp hat als Produzent und Hauptdarsteller ein Frühwerk seines Kumpels Hunter S. Thompson verfilmt. In "The Rum Diary" porträtiert er den jungen Schreiber auf der Suche nach sich selbst.

von RAINER GANSERA
Süddeutsche Zeitung, 2. August 2012

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Keine Terror-Organisation der Welt ist so gefährlich wie McDonald’s, Pepsi oder Coke

Die "fetten Weißen" sind eine Metapher in der sich die Haltung (US)Amerikas, die Habgier, der Wunsch, sich aufzublähen, manifestiert

Interview: DORIS KUHN


Bruce Robinson, Engländer, Schauspieler für Ken Russell und Truffaut, Arbeitslosigkeit, Armut, Trunksucht. Mitte der achtziger Jahre das legendäre filmische Loser-Manifest „Withnail And I“. Obwohl von einem Ruf wie Donnerhall begleitet, hat er seitdem nur äußerst sporadisch Regie geführt, bis ihn Johnny Depp aus seiner Klause lockte.

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Bruce Robinson: Das Drehbuch zum Film „Rum Diary“ hat sich sowohl aus dem Buch und aus den späteren Schriften Hunter S. Thompsons entwickelt, der ja sehr kritisch über (US)Amerika geschrieben hat.

Ich teile Thompsons Ängste: (US)Amerika ist habgierig, imperialistisch, ein Land, das alles mit größter Selbstverständlichkeit an sich reißt. Ich glaube, eine ganze Menge (US)Amerikaner realisieren nicht einmal mehr, dass die USA sich in ständigen Kriegen befinden.

Der Film spielt in den Sixties auf Puerto Rico, da sieht es heute aus wie in Manhattan. Der einzige wilde Strand, den wir finden konnten, war der Privatstrand des Gouverneurs. Dort durften wir dann drehen.

Das heißt natürlich, dass man heute in Puerto Rico ein Politiker sein muss, um das zu haben, was das Land ursprünglich jedem geboten hat: Weite, weiße Strände, das Schönste eben, was Puerto Rico besaß.

Das ist jetzt nur noch ein Spielplatz für die Touristenmassen, für die „fetten Weißen“, wie im Film. Aber vermutlich missfällt mir nur das, was ich auch an meinem eigenen Land, an England, so hasse: Die Habgier, dieser Wunsch, sich aufzublähen.

Die fetten Weißen sind dafür eine gute Metapher. Überall diese enormen Körper, dreimal so dick wie normale Menschen. Darin manifestiert sich doch die Haltung (US)Amerikas.

Die Dicken glauben bestimmt, dass es richtig ist, dick zu sein. Sie sind (US)Amerikaner, die das tun, was sie für normal halten. Sie bemerken dabei nicht die Bedrohung, die von dem ausgeht, was sie in sich hineinstopfen.

Keine Terror-Organisation der Welt ist so gefährlich wie McDonald’s, Pepsi oder Coke. Die töten wahrscheinlich 5000-mal mehr Menschen, als al-Qaida es sich erträumen könnte.

Das Publikum hat den Film entweder gehasst oder geliebt. In einer negativen Kritik stand, er sei von einem „Commie“, einem Kommunisten geschrieben worden. Da erhebt sich das Gedanken“gut“ der fünfziger Jahre!

Einen Film wie diesen bekommt man eigentlich gar nicht finanziert. Der Grund, warum dieser hier gemacht wurde, heißt Johnny Depp.

Depp war ein großer Freund von Hunter S. Thompson, und er hat Macht in der (us)amerikanischen Filmindustrie. Außerdem hat er selber finanzielle Reserven. Wenn Johnny Depp etwas machen will, dann wird das passieren. Und dann kam dazu, dass er ein großer Bewunderer meines ersten Films „Withnail And I“ ist.

Ich hatte die Nase voll vom Filme machen. Aber Johnny Depp akzeptierte das nicht. Und wenn einer der berühmtesten Filmstars dieser Welt ständig anruft und drängelt „Du musst das machen“ – dann kann man auf Dauer auch nicht nein sagen

Die Arbeit für „Rum Diary“, die erste Regie seit zwanzig Jahren, hat aber Spaß gemacht. Ich fühlte mich nicht dazu verpflichtet, Francois Truffaut zu sein.

Ich habe Hunter S. Thompson genau ein Mal in einem Hotel Zimmer in Los Angeles getroffen. Seine damalige Freundin war mit meiner Frau befreundet und hatte vorgeschlagen, ich solle doch kommen und ihn kennenlernen.

Er saß vor Marihuana, Kokain, einer Zwei-Liter-Flasche Scotch Whiskey und hundert Dunhill-Zigaretten. Da hat er sich langsam durchgearbeitet. Wir haben zwei Stunden lang kein einziges Wort gewechselt. Er war an dem Tag nicht ganz von dieser Welt.

Der Blick auf den Alkohol hat sich seit den sechziger Jahren enorm geändert. Früher konnte man sicher sein, dass man als Held galt, wenn man sturzbesoffen Auto fuhr. Heute kann man ja nicht mal mehr eine Zigarette in einem Hotelzimmer rauchen.

Es gab Zeiten, da war ich ganz sicher, dass ich nur schreiben kann, wenn ich Rotwein trinke. Aber dann habe ich doch aufgehört. Wenn es nur am Wein läge, wäre jeder Betrunkene ein Romancier.

Auch der Journalismus hat sich massenhaft verändert. In den Sixties hat man protestiert, und die Leute hörten zu. Journalisten konnten Kritik äußern.

Heute gibt es kein Streben nach Protest. Stattdessen schütten sie uns mit Müll zu. Tag und Nacht werden wir niedergeknüppelt – von Unsinn und Lügen. Im Moment erscheint mir das schlimmer als je zuvor.

Hunter S. Thompson hat sich immer gegen belanglose und korrupte Formen von Journalismus gewehrt.

Er hat nicht gewonnen.


Wer das vollständige Interview lesen möchte, gehe zu:

"Fette Weiße sind eine gute Metapher"
Regisseur Bruce Robinson über seine "Rum Diary"-Verfilmung - und ein stilles Treffen mit Hunter S. Thompson

Interview: DORIS KUHN
Süddeutsche Zeitung, 2. August 2012

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