Der Pferdepilot

Mit acht stieg er bei der Koppel vom Rad,
um das Pferde zu streicheln. Sein Geruch faszinierte ihn.

Dreißig Jahre später hat Andrasch Starke 30.000 Pferde geritten und weiß (natürlich) nicht, wie sie heißen.

Sollte Danedream sich an ihn erinnern?
Oder:
Muss ein Traum an der anderen Seite des Regenbogens so aussehen?


Exzerpt eines Artikels von KATRIN KUNTZ


Wenn Andrasch Starke sich zum Essen setzt, geht es meist sehr schnell. Vor ihm stehen dann:
Wasser, Tee, ein Apfel (Mittwoch).
Wasser, Tee, ein Apfel (Donnerstag).
Wasser, Tee, eine Handvoll Reis, drei Pilze, drei Stücke Zucchini (Freitag).
An diesem Samstag trinkt er eine Tasse Kaffee. Ohne Zucker, ohne Milch.

Dann schwingt er sich auf das Rad, das in seinem Wohnzimmer steht, und strampelt zwei Stunden. Dann legt er sich in die Badewanne. 41 Grad, die Hitze entzieht dem Körper das Wasser, Starke muss abnehmen.

Als er gegen Mittag von Köln über die A57 zur Neusser Rennbahn fährt, wiegt Starke 54,2 Kilo. Er ist einen Meter siebzig groß. Damit die Qual sich lohnt, muss er gewinnen.

Starke, 38, ist Deutschlands erfolgreichster Berufsrennreiter. Für einen kleinen Triumph oder den ganz großen Sieg führt der Jockey ein Leben im Dauerstress. Wie ein moderner Söldner reitet er nach Auftrag, er hastet von Rennbahn zu Rennbahn, er quetscht sich in Schwitzanzüge, er hungert und rechnet.

Wenn er auf den Rücken eines Pferdes steigt, hat er wenige Sekunden, um das Tier kennenzulernen. Namen spielen für ihn keine Rolle. Was ihn interessiert, ist allein die Leistung.

An diesem Tag wird Andrasch Starke nacheinander auf vier Pferden über die Neusser Rennbahn preschen, in der Hauptsaison sind es doppelt so viele. Fünfzig Euro bekommt er pauschal für jeden Ritt, wenn es schlecht läuft, ist das alles.

Was die Pferde können, ahnt Starke, wenn er das Programmheft aufschlägt. „S6, S1, S3, S5, G7“, das ist die Kombination, die ihn jetzt interessiert. Die Ziffern stehen für die Platzierungen, die das Tier in seinem letzten Rennen erreicht hat, die Buchstaben zeigen an, ob es auf Sand oder Gras gelaufen ist.

„Es gibt verschiedene Kategorien von Pferden“, sagt Starke. „Einige laufen gut. Andere laufen schlecht und strengen sich trotzdem an, manche boykottieren alles.“ Natürlich versucht jeder Jockey, im Rennen das beste Pferd zu reiten. „Doch das klappt leider nicht immer.“

Starke ist einer der wenigen 248 deutschen Jockeys, die gut von ihrem Beruf leben können. Dass es vom Können des Tieres abhängt, wie viel Geld ein Rennreiter mit nach Hause nimmt, weiß Starke sein ganzes Leben schon.

Mit acht sitzt er zum ersten Mal auf einem Pferd, auch sein Vater ist Jockey. Wenn der Junge mit dem Fahrrad an einer Koppel vorbeifährt, steigt er ab, um das Tier zu streicheln. Der Geruch allein fasziniert ihn. Sein Vater hilft ihm, einen Ausbildungsplatz zu finden. Mit fünfzehn zieht er von Zuhause aus und wird Rennreiter.

Seitdem ist er selbstständig. Heute reitet er vor allem für den Stall „Asterblüte“ in Köln, morgens um fünf beginnt das Training. Sitzt Starke vom letzten Pferd ab, steigt er auf sein Rennrad. Danach setzt er sich in das Büro in seinem Haus in Köln-Langel und wartet darauf, dass sein Handy klingelt.

Ist Starke nicht für „Asterblüte“ unterwegs, können ihn auch andere Trainer buchen. Für das Rennen in Neuss ist es Marion Weber. Sie rennt zwischen Sattelplatz und Umkleidekabine hin und her, sechs Pferde betreut sie an diesem Tag.

Weber drückt Starke vor der Wiegestation ein Cape in die Hand, der lilafarbene Umhang ist mit schwarzen Sternen bedruckt. Später wird Starke orangefarbene Karos tragen, dann Kleeblätter auf Schwarz, je nachdem, was der Besitzer für sein Tier gewählt hat.

Bevor Starke auf die Waage steigt, klemmt er sich seinen Sattel unter den Arm. Der ist so klein und leicht, dass er auf ein Schaukelpferd passen würde. Starke steckt Blei in die Satteldecke und tritt nach vorne. Die Ziffern schnellen nach oben. „Jawoll“, sagt der Mann hinter dem Zähler und macht einen Haken in sein Buch.

Starkes Pferd muss 58,5 Kilo tragen, das Gewicht ist an seine Rennleistungen angepasst. Noch zehn Minuten bis zum Start, Starke hastet zum Führring. Auf dem kleinen Oval neben der Rennbahn begegnen die Jockeys ihren Pferden zum ersten Mal. Routine für Starke.

Rund 10.000 Rennen hat Starke in seinem Leben bisher geritten, 1971 davon gewonnen, im Jahr 2000 wird er Weltmeister in Hongkong. Es ist ein Leben, das an den Nerven zehrt. Starke fährt 60.000 Kilometer pro Jahr mit dem Auto, er wartet an Flughäfen, schläft in Hotels, elf Monate im Jahr ist er unterwegs. Mal muss er nur nach Neuss, Krefeld oder Düsseldorf.

Oft reist er auch viel weiter. „Mauritius, Johannesburg, Kapstadt, London, Paris, Hongkong, Dubai, Tokio“, die Stationen eines einzigen Monats. 30.000 Pferde hat er in seinem Leben unter dem Sattel gehabt. „Reiten, schlafen, reiten, reiten“, sagt Starke.

2001 ist der Ruhm vorbei. Die Richter des „Hongkong Jockey-Club“ erlegen Starke eine Sperre auf. In seinem Blut finden sich Spuren von Kokain, in der Szene ein beliebtes Mittel, um das Hungergefühl zu betäuben. Sechs Monate lang darf der Jockey nicht mehr auf die Rennbahn. Nach der Sperre kämpft Starke sich wieder nach vorn. Der größte Erfolg steht dem Weltmeister noch bevor.

„Ausnahmepferde gibt es nicht viele“, wird Starke später sagen. Für ihn gibt es eines. In Paris gewinnt er mit ihr im letzten Jahr beim Prix de l’Arc de Triomphe, es ist das wichtigste Galopprennen der Welt. Danedream ist eine braune Stute, Englisches Vollblut. Ein Pferd, über das Starke pathetisch sagt, er trage es im Herzen.

Die Besitzer haben sie für 9.000 Euro auf einer Auktion gekauft. Sie sollte ein "Spaßpferd" sein. Niemand denkt, dass die Stute laufen kann. Dann läuft sie. Zuerst in Mailand, dann in Berlin, in Baden-Baden. Starke sitzt auf ihrem Rücken.

Beim Rennen in Paris überholt sie alle, jetzt in Ascot noch einmal. Danedream ist kein "Spaßpferd" mehr. Sie ist das erfolgreichste deutsche Rennpferd aller Zeiten (ist das kein Spaß?).

Danedream schenkt dem Besitzer 2,2 Millionen Euro – und Starke den Höhepunkt seiner Karriere. Als in Longchamp die Sektkorken knallen, sitzt er im Auto und verlässt Paris auf der Autobahn.

Am nächsten Morgen muss er in Deutschland reiten. Auf welchen Pferden er saß? Hat er vergessen.

Auf der Rennbahn in Neuss liegt Starke nun fast über dem Pferdehals, eine halbe Runde noch, sieben Mal darf er mit der Peitsche zuschlagen, beim achten Schlag wird er disqualifiziert.

Als Starke von der Bahn reitet, tropft Schweiß vom Fell der Stute. Über ihren Hals ästeln sich prall die Adern. Es sieht aus, als pulsierte unter ihrer Haut ein Labyrinth aus überquellenden Bächen.

„Sie kam nicht vom Fleck - Nichts zu machen“, sagt Starke zur Trainerin, springt ab und hastet zur Umkleide. Das Pferd überlässt er einer Pflegerin.

Dreimal noch wird Starke an diesem Tag seine Arbeit machen.

„S2, S4, S4, S7, S3“.
Umziehen, wiegen, reiten. Letzter.

„W9, W9, G7, G6, G7“.
Umziehen, wiegen, reiten. Sechster.

„G2, W8, G5, G4“.
Umziehen, wiegen, reiten. Sieg.

S für Sand, G für Gras, W für weichen Sand. Starke klopft dem letzten Tier auf den Hals, zum ersten Mal an diesem Tag. 2600 Euro Preisgeld hat es erzielt, 130 Euro davon bekommt der Jockey, doppeltes Reitgeld – und einen Wett Gutschein. Starke sitzt ab, er wischt sich den Sand von der Nase.

Männer mit Cordmütze schütteln seine Hand. Starke lächelt höflich, dann hastet er zur Umkleidekabine und streift den Renndress ab.

Fünf Prozent Gewinnanteil, im Ausland gibt es das Doppelte.

Starke fährt nach Köln zurück. Am Abend wird seine Frau eine Paprikaschote mit Reis kochen. Das nächste Rennen ist erst in einer Woche.

Bis dahin wird Starke weiter um vier Uhr aufstehen, wird reiten und sich dann auf sein Fahrrad schwingen. In seinem Büro wird er darauf warten, dass sein Handy klingelt.

###

Steckbrief

Andrasch Starke, 38, Köln-Langel

Ausbildung: Als Jugendlicher habe ich eine Ausbildung zum Pferdewirt gemacht, Schwerpunkt Rennreiter.

Arbeitszeit: Ich arbeite jeden Tag. Um fünf Uhr morgens bin ich am Stall, dann reite ich bis um elf. Die Pferde haben so ihren Rhythmus. Ich schaffe ein Pferd pro Stunde. Danach fahre ich Rad, dann kümmere ich mich um meine Aufträge als Jockey. Wenn ich am Wochenende im Ausland reite, dauern meine Tage 18 Stunden.

Größter Erfolg: Ich habe im letzten Jahr mit Danedream den Prix de l'Arc de Triomphe in Paris gewonnen. Höher geht es nicht.

Größte Niederlage: Die gibt es nicht. Wer gewinnen will, muss verlieren können.

Traum: Mein Traum hat sich letztes Jahr mit Danedream erfüllt. Einen anderen habe ich nicht.

nach oben


Wer den vollständigen Artikel lesen möchte, gehe zu:

Der Pferdepilot
30 000 Pferde hat Andrasch Starke bislang geritten, und ihre Namen spielen für Deutschlands erfolgreichsten Jockey keine Rolle. Eine Ausnahme ist die Stute "Danedream", mit der er gerade das Rennen von Ascot gewonnen hat. So glamourös ist sein Leben nicht immer.

Von KATRIN KUNTZ
Süddeutsche Zeitung, 24. Juli 2012

und:

auf: Klartext-Magazin


nach oben

zurück zu: Dies&das

zurück zu ekdamerow