Rockmusik kann nicht altern, weil die Platten Industrie das nicht will?

Was-n Quatsch!

Die Revolution der Rockmusik frisst mangels Enkeln ihre Großeltern? Andrian Kreye - verirrt in der Altersfrage?

Die "Eagles"-Gitarristen, Joe Walsh und Glenn Frey, bringen ihre neuen Platten heraus


Gedanken zu einem Artikel von ANDRIAN KREYE


Andrian Kreye schreibt: Rockmusik ist die "Inkarnation, die Fleischwerdung der 'Gottheiten' Subkulturen und Jugendkulturen", die „sich als Stimme einer jeweiligen Generation definiert“ und so „einem rebellischen Zeitgeist Ausdruck“ verleiht.

In den sechziger Jahren vertonte und betextete die Rockmusik „den Aufstand der Jugend und deren Ausbruch aus erstarrten Gesellschaftsstrukturen“ und wurde so zum „Soundtrack für den progressiven(?) gesellschaftlichen Aufbruch des späten(?) 20. Jahrhunderts.“

Wer nicht aufs Eis möglicher(!) gesellschaftlicher Bedeutung und Wirkung der Rockmusik gehen wollte, der wäre wohl mit folgendem Versuch "an Land" geblieben:

Rockmusik ist eine Variante afro-amerikanischer Musik aus „schwarzem“ Rhythm and Blues und „weißem“ Country and Western, „schneller Blues“. Ein Gattungsbegriff für alle Stilrichtungen, die sich in den 1950er Jahren aus dem Rock’n’Roll entwickelt haben, die im Kontext jugendlicher Rebellion entstanden, die elektroakustisch aufbereitet, verstärkt und massenmedial vermittelt werden.

Wer bei DEN Leisten der Bedeutung von Musik seit Steinzeiten bleiben wollte, der würde es wohl so oder ähnlich versucht haben:

Rockmusik erschüttert positiv, reißt mit, berührt, regt an zu tanzen oder nachzudenken, bewegt Kopf und Herz so intensiv wie sonst kaum eine andere Kunstform; Pathetisch ausgedrückt: Rockmusik ist DER Aspekt meiner Existenz, der mich emotional am Leben erhält.

Folgende "leicht-journalistische" Ergüsse wären mir (auch) nicht in den Sinn gekommen:

Da sich (fast) ausschließlich junge Menschen mit Mitteln der Rockmusik ausdrückten, stand sie für den Blöd Zeitungs Leser schließlich „für die Umkehrung der Altersdiskriminierung“, für den Wechsel von „der Hierarchie der Lebensalter zur Glorifizierung der Jugend.“

Jugendlich leichtsinnige Sprüche, wie Pete Townshends „ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde“ (man frage ihn heute mal – Pete gets old bevor he dies), der Rockmusik ins Kleingedruckte zu jubeln, ignoriert allerdings böswilliger Weise jede Menge weniger wohlfeile, und weniger dumme Texte, wie zum Beispiel den von Heinz Rudolf Kunze: „Man kann doch nicht im Ernst erwarten, dass man Recht behält“ („Man Kann Doch Zu Sich Stehen Wie Man Will“).

Wer nun fünfzig Jahre später feststellt, dass die meisten dieser Musiker trotz „Sex, Drugs’n’R’n’R“-Klischee immer noch leben, der könnte sich darüber doch ganz einfach herzlich freuen. Niemand, zumal als TechNo, HipHop, Rap oder sonst was Fään, muss darüber in Ekstase fallen, wenn die nun immer noch „ihre“ Musik machen und nicht „das Maul halten“, wie es sich, nach der Meinung einiger Prekär Gehirn Besitzer, für „Alte“ schließlich gehört (außer für Udo Jürgens. Der macht ja Pop und ist ohnehin nur Anwalt der „Alten“).

Ihnen aber „Probleme mit dem Altwerden“ zu unterstellen, ist egal von wem, verschärft extremes Steinewerfen im Glashaus. Nur Winehouse und Co kamen hier „ohne“ raus. Die Generation von Fitness Stramplern mit Sicherheit nicht.

Vor fünfzig Jahren sangen junge Menschen gegen Missstände an. War ja sonst keiner da. Die Alten „waren“ der Missstand.

Ist schon mal jemand auf die Idee gekommen, dass sich das Ganze umgekehrt haben könnte? Dass Joe Walshs „The whole world’s living in a digital dream, it’s not really there – it’s all on a screen”, sehr wohl bedenkenswert und ganz und gar nicht naïve Medienkritik sein könnte? Na klar, dann zwangsläufig auch Kritik an einem Teil der jüngeren Generation. Wie unverzeihlich ist das?

Wohin ist die Gesellschaft denn letztlich aufgebrochen? Zu hoch multiplen Klustern mit „allein erziehenden“ patchwork Kindern, die im „social web“ ihre „Familie“ finden? Die „elderly People“ für naiv halten, wenn die ihren digitalen Traum nicht ebenso inbrünstig mitträumen?

Joe Walsh vorzuwerfen, er scheitere an der Altersfrage, weil er als Anonymer Alkoholiker über sein „ausschweifendes Säufer Verhalten“ und das „Scheitern seines Gesundheits gefährdenden, radikal jugendlichen Lebensstils“ lamentiere, ist unfair und nichts weiter als peinlich.

Tatsächlich an „der Altersfrage zu scheitern“, manifestiert sich doch wohl nirgendwo deutlicher als in hoch dekorierten Jammer-Texten von Wachturm-Künstlern über aller individuellste, alltägliche Befindlichkeiten einiger Söhne vom Mittelrhein oder den Zerschmetterern von Rammelsteinen und rechts-teutonischen Tabus aus ehemals Deutschen Ostgebieten, die sich – was liegt zynischer Weise näher – auch noch als „links“ ausgeben und von Einigen auch noch als DER Pop Export Deutschlands gefeiert werden.

Glen Frey vorzuwerfen, beim Covern der Jazzballade über das Altern, „Here’s To Life“, mit „Alterstrotz“ zu beginnen, um dann am Ende „mangels emotionaler Tiefe an der Unfähigkeit zu scheitern, zwischen A-cappella-Phrasen und Orchester-Fills ohrenbetäubende Stille zu erzeugen“, ist Gott sei Dank selber nichts als Imponier Gephrase.

Zum Schluss lässt es sich Andrian Kreye dann auch noch nicht nehmen, Walsh und Frey und der Rockmusik ins Stammbuch zu schreiben, dass alle drei mit ihren neuen Platten und überhaupt in 2.0 scheiterten, weil sie aufgehört haben, auf die(?) Musik zu hören. Walsh klammere sich – oh Gott - an die Musik seiner besten Zeiten, Frey sogar an die seiner Eltern.

Im Übrigen zeige sich im „Zwang“, als Rockstar immer und immer wieder die Gesten der eigenen Jugend zu zelebrieren, der zutiefst konservative Kern des Rebellionsgestus im Rock, der sich übrigens wohl nirgends deutlicher im "Rücken zum Publikum" eines Robert Allen Zimmerman ausdrückt?! Und "konservativer Rock", ein schönes Bild: Gutes bewahren!

Weil sich die Rockmusik außerdem vollständig in die Hände der Platten-Industrie begeben habe und die jede Innovation und Weiterentwicklung dadurch abwürge, dass sie als einzige Grundlage des Erfolgs den Moment der Jugendrebellion akzeptiere, sei ein Altern im Rock erst gar nicht mehr möglich.

Was-n Quatsch!

Richtig ist doch wohl, dass es außer einigen beneidenswert guten Kabarettisten (in deutscher Sprache) aktuell nur sehr wenige Musiker gibt, die Greenpeace, slow food, lobby control und attac vertexten und – was läge näher - verrocken?

Was aus der Zeit ist, ist nicht die Rockmusik. Was in der Zeit fehlt, sind junge Musiker, die sich nicht – weiß Teufel, warum – gemeinsam mit ihrem Publikum im Selbst-Mitleid des Grunge, allgemeinem Weltschmerz und nöhlenden, privatesten Beziehungs Befindlichkeiten beim Betrachten ihres Bauchnabels virtuell besaufen.

Eine Portion noch so unbegründet erscheinenden Optimismus über die Möglichkeit von Visionen, noch so sinnlos erscheinender Wut über zum Himmel schreiende Missstände zu Musik werden zu lassen, die jenseits des Tellerrandes, wahrlich world-wide-web würdig, „auf der Straße“ liegen, das war er vor fünfzig Jahren, das ist und wird der unerschöpfliche empathische Steinbruch für Rockmusik sein – egal, wie alt man ist, wenn man sie hört, geschweige denn, wenn man sie macht.

Flower Power war vor einem halben Jahrhundert lächerlich hilfloser Blödsinn, unter Anderem auch gegen den Einsatz hochgradig keimschädigender Dschungel Entlaubungs Mittel in einem kleinen südostasiatischen Land. Keiner kann heute sagen, Flower Power habe die Welt nicht verändert, wie auch immer. Ganz bestimmt nicht 1zu1, wie sich ein "make love, not war"-Aktivist das vorgestellt hat.

Sie hat aber denen, die dabei waren, das lähmende Gefühl der Ohnmacht genommen. Das ist doch was.

Wohl das Beste, was man Musik nachsagen kann – oder?

Karlheinz


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Die Revolution frisst ihre Senioren
Die „Eagles“-Gitarristen Joe Walsh und Glenn Frey scheitern mit ihren Alben an der Altersfrage und beantworten sie trotzdem

Von ANDRIAN KREYE
Süddeutsche Zeitung, 23./24. Juni 2012


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